Pinchas Zukerman © Paul Labelle
English Chamber Orchestra
Pinchas Zukerman
Programm
Paul Hindemith
Trauermusik für Viola und Streichorchester
Wolfgang Amadeus Mozart
Rondo für Violine und Orchester C-Dur KV 373
Georg Philipp Telemann
Concerto G-Dur TWV 51/G9 für Viola, Streicher und Basso continuo
Wolfgang Amadeus Mozart
Sinfonie A-Dur KV 201
Elbphilharmonie, 5. April 2024
von Harald Nicolas Stazol
Da dreht er sich doch um, Maestro Pinchas Zukerman, der Weltbürger mit dem Welt-Orchester, und bittet mit nach unten strebenden Armen, nun 2100 Menschen dirigierend, zur Ruhe hin, kein Zwischenapplaus bei Mozarts Sinfonie A-Dur bitte, dem letzten Programmpunkt soll das heißen – das Konzert an sich dauert mit 25-minütiger Pause nur anderthalb Stunden – aber wie könnte man nicht klatschen? Bei jedem Satz, bei jedem Takt, bei jeder Note?
„We are the English Chamber Orchestra, and you may listen to us“ – wir sind das ECO, und ihr dürft uns zuhören“ könnten sie sagen, die ultra-phantastischen Engländer, es ist, als hätte man am Radio unverhofft die BBC eingeschaltet, also den Feindsender, doch Spaß bei Seite:
Die Freude, die uns alle umströmt, schon beim ersten gespielten Stück, das Paul Hindemith über Nacht aber als Trauermusik komponiert, anlässlich des Todes von King George V., und das nun Zukerman in seltener Einheit seiner Viola und seines britischen Klangkörpers gibt, dass man auch obschon der durchaus moderneren-komplizierteren Tonfolgen rasch ein Bild gewinnt, nicht nur von Hindemith, sondern auch des ungeahnten Könnens des Bratschisten, der ja auf einem Instrument spielt, das zu Unrecht meist in eine nachgeordnete Rolle gerät: „(Die Viola) dienet zu Mittel-Partien allerhand Art (…) und ist eines der nothwendigsten Stücke in einem harmonieusem Concert, denn wo die Mittelstimmen fehlen/da sind die Harmonie abgehen/und wo sie übel besetzet sind/da wird alles übrige dissonieren“ schreibt Jonathan Mattheson 1713 – nun, nicht einmal bei Hindemith, wider Erwarten keine Dissonanz!
Wie auch? Das „English Chamber Orchestra“ wurde schließlich zuerst, 1960, von Benjamin Britten geleitet (also ist es zu Dissonanzen durchaus fähig), und gilt heute als das meist eingespielte Kammerorchester der Welt, was uns beim nun folgenden Mozart Rondo – Zukerman nun also an der Violine – wieder den Eindruck entstehen lässt, als ticke hier einer der berühmten nautischen Zeitmesser von Greenwich, die als genaueste, mechanische Chronometer überhaupt gelten…
Da ist diese unglaubliche Wärme des Instruments, wohlig wird einem und niederfrequent, und der schlagende Beweis, dass der Virtuose mit seinen Virtuosen kaum, nein keine Abstimmung benötigt? Zukerman dreht sich nur halb, mal links, mal rechts zu seinen Musikern, den Bogen zum Taktstock adelnd, aber das alles läuft ab und wie das Schnurren des silbernen Aston Martin in einem Bond-Film mit Sean Connery.
Und es mag schon zu den besonderen Zufällen gehören, wenn man keine zwei Tage später aus familiären Gründen im ICE nach Frankfurt neben einer Mutter und ihrer Tochter Platz nimmt, die ebenfalls das Elphi-Programm „English Chamber Orchestra“ auf dem Klapptisch haben, im ersten Moment denke ich noch, wie ist denn die Frau an mein Büchlein gekommen, und schon entspinnt sich ein Gespräch: „Wir sind aus Baden-Baden gekommen, das war ja wirklich unvergesslich!“ – „Ich kam aus den Hamburger Vororten, aber vergessen werde ich das auch nicht!“
Was mich direkt zu meinem Begleiter und Faktotum George bringt, der ebenso hingerissen noch nicht mal nach dem Opernglas verlangt.
Die 1. Violine hat Zukerman gerade abgeklatscht wie ein Fussballtrainer, ja, er hat etwas von einem Rockstar, nichts da vom konventionellen Händedruck mit dem Konzertmeister, hier geht es lustig und lässig zu, angeführt von einem etwas älteren Herren, dessen Vita sich wie das „Who is who“ der internationalen Klassikwelt liest: „Mit einer gefeierten Karriere, die sich über fünf Jahrzehnte erstreckt, gehört Pinchas Zukerman zu den gefragtesten und vielseitigsten Musikern unserer Zeit – als Geigen- und Bratschensolist, Dirigent und Kammermusiker.
Er ist als Virtuose bekannt und wird für die ausdrucksstarke Lyrik seines Spiels, die einzigartige Schönheit seines Tons und seine tadellose Musikalität bewundert, die sich in seiner Diskografie von über 100 Alben widerspiegelt, für die er zwei Grammy®-Preise und 21 Nominierungen erhielt.“ – und dann die weltweite Abfolge von Berühmtheiten und noch berühmteren Orchestern von Chicago bin New York – und das hört man auch!
Der Telemann – what a question – wieder so perfect wie eine CD-Einspielung. Und als der ganze Saal bittet und bettelt, da folgt noch das finale „Presto“ der „La passione“ Sinfonie von Haydn, da kann man nur die Ohren anlegen:
Da lauert der Kritiker, und es gibt einfach nichts zu mäkeln… und Pinkas und sogar George scheinen zufrieden – und endlich endlich darf ich mein Opernglas wiederhaben!
Harald Nicolas Stazol, 9. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Herzenslieder aus Amerika und Afrika Elbphilharmonie, 21. März 2024