7. Symphoniekonzert © Jan Philip Welchering
Was machen Klassik-begeistert-Autoren, wenn Sie sich angesichts einer Vielzahl klassisch-romantischer Verlockungen einfach nicht entscheiden können?
Es wird maßlos, gleich zwei Konzertbesuche an einem Tag, und der Sonntag ein Fest.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756‑1791) – Klavierkonzert Nr. 27 B-Dur KV 595
Anton Bruckner (1824‑1896) – Sinfonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 »Romantische«
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Stefan Vladar– Dirigent
Stefan Vladar – Klavier
Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 5. Mai 2024
Carl Maria von Weber (1786 – 1826) – Ouvertüre zu »Oberon« J 306
Béla Bartók (1881 – 1945) – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 Sz 95
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) – Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60
Symphoniker Hamburg
Sylvain Cambreling – Dirigent
Pierre-Laurent Aimard– Violine
Laeiszhalle, Großer Saal, 5. Mai 2024
von Jörn Schmidt und Regina König
Was machen Klassik-begeistert-Autoren, wenn Sie sich angesichts einer Vielzahl klassisch-romantischer Verlockungen einfach nicht entscheiden können?
Es wird maßlos, gleich zwei Konzertbesuche an einem Tag, und der Sonntag ein Fest.
Bruckner mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter Stefan Vladar ist ohnehin Pflicht und Pierre-Laurent Aimard auch, zumal wenn er auf Sylvain Cambreling trifft. Auf der Strecke bleiben musste die Elbphilharmonie, vormittags spielte dort zeitgleich das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano und Abends das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan Gilbert. Das war nicht zu schaffen, war aber gar nicht schlimm. Beethovens 9. Sinfonie (Gilbert) ist ja sowieso eher was für den Jahreswechsel. Die 4. Sinfonie von Beethoven klingt dagegen nach Frühjahr, das passt.
Mozarts letztes Klavierkonzert wird gerne mit Bruckner kombiniert, Bernard Haitink wählte diesen vordergründigen Kontrast 2019 für seinen Abschied von den Berliner Philharmonikern. Wenn die Erinnerung nicht trügt, nahm er Mozart duftig-leicht, Bruckners 7. Sinfonie geriet dagegen wie ein donnernder Abgang.
Stefan Vladar griff zu einer früheren Sinfonie und ging auch sonst einen anderen Weg. Die 4. Sinfonie war Bruckners erster großer Publikumserfolg, das Klavierkonzert Nr. 27 dagegen Mozarts letzter großer Erfolg in der Gattung Solistenkonzerte. Grund genug anzunehmen, dass beide Komponisten mit sich selbst beschäftigt waren, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen.
Hier setzte Vladar an, trotzt recht schneller Tempi und ständiger Bewegung war der Orchesterklang seines Mozart voll und dunkel abgetönt. Was er dem Orchester auferlegte, beherzigte auch der Solist Vladar. Insgesamt ebenfalls auf der schnelleren Seite, aber mit grüblerischen Untertönen. Da half es sehr, dass Mozart Pauken und Trompeten und auch die Klarinetten weggelassen hatte. So klingt’s einfach intimer, oder auch sakraler.
Anton Bruckner haderte viel mit sich und seinen Mitmenschen, nichts war ihm gut genug, erst recht, wenn er Gegenwind bekam. Davon zeugen die weit und breit diskutierten Umarbeitungen seiner Sinfonien. Weniger bekannt ist vielleicht, dass Bruckner den 4 Sätzen der „Romantischen“ zeitweise auch Titel zugewiesen hatte: „Waldesrauschen“, „Vogelgesang“, „Jagdscherzo“ und „Volksfest“. Vladar entschied sich übrigens für die zweite Fassung von 1878 mit dem dritten Finale von 1880. Das ist Mainstream, aber überhaupt nicht schlimm. Erst recht, weil man fast meinen möchte, dass Stefan Vladar die Sinfonie als Volksfest auffasste, dass er zu Ehren von Anton Bruckners Durchbruch als Komponist ausrichten wollte.
Dieser Eindruck passt natürlich so gar nicht zur Einschätzung von Bruckner-Schüler Viktor Christ, der den 4. Satz als „Schauer der Nacht“ beschrieb, wie man ihn kennt, wenn man mal richtig schlecht träumt. Schlecht träumen lässt uns dieser Bruckner mitnichten, die Grundstimmung war fröhlich und hell. Rhythmisch ging es Bruckner-like steil nach vorn, und wenn die großen und monumentalen Bruckner-Spannungsbögen im Blech ankamen, spürte man die tiefe Gläubigkeit des Katholiken.
Dabei blieben alle Gefühlsschwankungen im Gleichgewicht, das alles ganz ohne Grübelei: Mega.
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Am Abend (die Oberon-Ouvertüre unterschlagen wir, weil irgendwie nicht, wie erhofft, leicht als ob von Rossini, sondern ziemlich schwergängig) ging es volkstümlich weiter, die perkussive Kraft von Bartóks Klavierkonzert Nr. 2 ist tief der ungarischen Volksmusik verwurzelt.
Pierre-Laurent Aimard ging seinen Part mit einem ziemlichen Furor an, auch weil Sylvain Cambreling und seine Mannen beherzt dagegenhielten. Am Ende gab’s einen Punktsieg für Aimard. Der schnaufte zwar hörbar, konnte dabei aber jedem noch so metallharten Anschlag unendlich viele gefühlige Schattierungen abringen. Haben wir noch nie so intensiv erlebt. Hätte man das im Autoradio gehört, Soundsystem und Infotainment hätte es zerstört.
Mit der Eroica hatte Beethoven Mozart und Haydn weit hinter sich gelassen, als Nr. 4 folgte noch mal eine Referenz an Haydn. Damit steht das Werk mitnichten im Schatten der Eroica, mit dem Selbstbewusstsein des Vorgängers im Rücken gelang quasi ein eigener Haydn 2.0. „Recomposed“ geht selten gut, hier aber gelang ein Volltreffer.
Die Symphoniker und Cambreling hatten ihre Freude und vermieden es, Beethoven auf Haydn zu bürsten. Beethoven klang hier wie Beethoven, zwar revolutionär, reaktionsschnell und historisch angeschärft. Dabei wurde alles romantischer Klangfülle untergeordnet, ohne Zwänge historischer Erkenntnisse zu Beethovens Metronom und dergleichen. Brust raus und tief durchatmen, Beethoven kann so einfach sein.
Jörn Schmidt und Regina König, 5. Mai 2024,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Symphoniker Hamburg, Martha Argerich, Sylvain Cambreling Laeiszhalle, 25. April 2024