Kantaten-Ring 2018, Bachfest Leipzig
Foto: Bachfest Leipzig (c)
von Guido Müller
Am Wochenende wurde das Bachfest in Leipzig mit einem Zyklus der 33 schönsten und bekanntesten Kantaten von Johann Sebastian Bach festlich, innig und berauschend eröffnet.
Vier der besten Bach-Dirigenten wurde die Auswahl zusammen mit dem neuen Intendanten Michael Maul anvertraut. Sir John Eliot Gardiner dirigierte am 8. Juni 2018 das erste und am 10. Juni 2018 das letzte Konzert des Zyklus, der an die Dimensionen des „Rings“ des anderen berühmten Leipzigers Richard Wagner erinnert. Jedes der drei Konzerte an einem Tag dauert etwa eineinhalb Stunden, ähnlich den Akten einer „Ring“-Oper.
Zwischen die jeweils drei oder vier Kantaten eines Konzerts sind A-Capella-Chorkompositionen und kurze Auszüge aus der Bibel zu den Anlässen der Kantaten im Kirchenjahr sinnvoll eingefügt.
„Nun komm, der Heiden Heiland“ (BWV 61) eröffnet das erste Konzert Gardiners, „Unser Mund sei voll Lachens“ (BWV 110) beschließt es. In der Mitte „Schwingt freudig euch empor“ (BWV 36) und „Wachet! Betet! Betet! Wachet!“ (BWV 70).
Die vier Titel kennzeichnen auf das Trefflichste die Art der dramatisch akzentuierten Interpretation Gardiners, seines Monteverdi-Choir – eines der besten Chöre weltweit – und der English Baroque Soloists, alles wahrliche Meistersolisten auf ihren Instrumenten, und natürlich der Gesangssolisten Hana Blazikova (Sopran), Julia Doyle (Sopran), Reginald Mobley (Altus) und Peter Harvey (Bass).
Wie Michael Maul in seinem erhellenden Vortrag über Bachs Weimarer Kantaten am Sonnabend anschaulich deutlich machte, sind die Kantaten wie kleine Opern, so farbig und reich instrumentiert, so sinnlich gesungen, so abwechslungsreich in Stil und Besetzung.
Ton Koopmann mit dem Amsterdam Baroque Orchestra and Choir und den Solisten Maarten Engeltjes, Tilman Lichdi, Klaus Mertens (der umjubelt vom Publikum „Ich habe genug“ (BWV 82) stimmschön zelebriert) steht in seinen beiden Kantatenkonzerten den Londonern in nichts nach. Welche Frische und Unmittelbarkeit der Darbietung! Großartig „Sie werden aus Saba alle kommen“ (BWV 65) und ganz besonders „Liebster Immanuel, Herzog der Frommen“ (BWV 123) . Dieses Konzert war ganz um das Thema der Heiligen Drei Könige und der Taufe Jesu arrangiert.
Masaaki Suzuki, der Bach-Spezialist aus Japan, dirigiert in seinem ersten Kantatenkonzert am frühen Abend des 9. Juni 2018 das Bach Collegium Japan mit „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (BWV 1), „Himmelskönig sei willkommen“ (BWV 182), „Der Himmel lacht! Die Erde jubilieret“ (BWV 31). Zum Schluss in der voll besetzten Thomaskirche – der Zyklus war wenige Stunden nach Beginn des Vorverkaufs bereits ausverkauft! – traumhaft schön „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ (BWV 6). Die Solisten Hannah Morrison (Sopran), Robin Blaze (Altus), Makoto Sakurada (Tenor) und vor allem der Bass Dominik Wörner gestalteten ihre Gesangspartien eindringlich.
John Eliot Gardiner begann sein Abschlusskonzert des zweiten Tages des Zyklus mit einem monumental dargebotenen „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ (BWV 12) und einem tänzerisch-beschwingten, rauschhaften „Ihr werdet weinen und heulen“ (BWV 103). Daraufhin folgte die herrliche Pfingstkantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“ (BWV 34) mit drei tollen Naturtrompeten und zwei Flöten und vor der großartigen Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“ (BWV 20) der zutiefst berührende dramatische Chorsatz „Timor et tremor“ von Giovanni Gabrieli (1554 – 1612). Die letzte besonders opernmäßige Kantate, besetzt mit drei Oboen und Trompeten, wurde mit höchster Dramatik und enormer Dynamik, festlich erhaben, beschwingt gesungen und gespielt. Hier ergriff der Altus Reginald Mobley besonders, während der Bass Peter Harvey in zwei Bassarien besondere Pracht mit seiner Stimme entfaltete.
Der Kantaten-Ring wurde abends spät in der Pauliner-Kirche mit einem Plus des Universitätsmusikdirektors David Timm beschlossen. Am Sonnabend die großartige Trauerkantate „Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl“ (BWV 198). In den Gottesdiensten gab es ebenfalls Kantaten: sowohl in der Thomaskirche wie der Katholischen Probsteikirche mit einer ergreifenden Darbietung von „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ (BWV 170) durch den Altus David Erler.
Der neue Leiter der Gächinger Kantorey Hans-Christoph Rademann führte „Ich hatte viel Bekümmernis“ (BWV 21), „Herr, gehe nicht ins Gericht“ (BWV 105) und „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ (BWV 56) mit dem großartigen Tobias Berndt (Bass) auf. Die herrliche Sopranistin Dorothee Mields, die Altistin Wiebke Lehmkuhl und der Tenor Patrick Grahl sangen ihre solistischen Arien und Rezitative mit viel delikatem Feingefühl und großer Innerlichkeit.
Den Sonntagnachmittag gestaltete wiederum mit höchster Bach-Kompetenz Ton Koopmann mit Bachs Kantaten „Komm, du süße Todesstunde“ (BWV 161), „Liebster Gott, wenn werd ich sterben“ (BWV 8), „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ (BWV 27) und „Christus, der ist mein Leben“ (BWV 96).
Den Zyklus beschloss am Sonntagabend in der Nikolaikirche nach einhelliger Meinung aller Besucher großartig Gardiner mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme „ (BWV 140) nach „Es erhub sich ein Streit“ (BWV 19), „Nimm von uns, Herr, du treuer Gott“ (BWV 101) und „Jesu, der du meine Seele“ (BWV 78).
Gekrönt wurde der Sonntagabend in der Universitätskirche St. Pauli mit dem Leipziger Universitätschor und dem Pauliner Barockensemble durch David Timm mit den beiden berühmten Kantaten „Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir“ (BWV 131) und „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ (BWV 106). In Abwandlung könnte es auch heißen: „Bachs Zeit ist die allerbeste Zeit“!
Ähnlich wie bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth im Juli und August lag Sommerhitze über der Stadt. Während eines Konzert entlud sich mit Donner ein Sommergewitter über Leipzig. Viel Ausdauer und Sitzfleisch war bei Künstlern und Besuchern gefordert. Besucher waren extra für den Kantaten-Ring aus Brasilien, Malaysia und Australien angereist. Ein Ereignis von Weltformat! Bach global und universal. Dem neuen Intendanten des Bachfestes Michael Maul und dem Direktor des Bach-Archivs Peter Wollny sei Dank.
Das Bachfest geht noch bis zum 17. Juni 2018 mit großartigen Passionsmusiken von Keiser, Zelenka und Graupner, weiteren Kantaten, Instrumental-, Klavier- und Orgelkonzerten, Mendelssohns Oratorium „Elias“ und der h-moll-Messe von Bach in der Thomaskirche unter Kantor Gotthold Schwarz weiter. Es gibt noch Einzelkarten.
Guido Müller, 11. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Solche unkritischen Artikel sind einfach uninteressant.
Martin Brunnemann