Ifigenia in Aulide von Nicola Porpora, Akt I; Von links: Maayan Licht (Achilles), Jasmin Delfs (Diana) und Marina Diakoumakou (Ifigenia) © Clemens Manser Photography
5. Bayreuth Baroque Opera Festival von 5.bis 15. September 2024
Nicola Antonio Porpora
IFIGENIA IN AULIDE
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 8. September 2024
von Jolanta Łada-Zielke
Das Bayreuth Baroque Opera Festival ist niemals langweilig. Selbst bei Solo-Konzerten ziehen die Musiker das Publikum in ihren Bann so stark, dass es nicht genug bekommen kann und immer wieder Zugaben fordert. Auch dieses Jahr hört man häufig „Bravi!“-Rufe für die Künstler aus dem Zuschauerraum.
Zur Eröffnung sehen wir Ifigenia in Aulide von Nicola Porpora im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. Obwohl man das Stück als „Melodrama in drei Akten“ beschreibt, hat es ein glückliches Ende, genau wie die Tragödie von Euripides. Die Regie führt Max Emanuel Cenčić, der künstlerische Leiter des Festivals, der auch die Rolle des Agamemnon spielt.
Es war eine interessante Idee, die Titelfigur doppelt darzustellen. Die 16-jährige Schauspielerin Marina Diakoumakou tritt als Ifigenia mit Bewegung und Gesten auf. Ihre Gesangspartie übernimmt die Sopranistin Jasmin Delfs, die hier als Diana auftritt. Die Göttin erscheint auf der Bühne als Alter Ego des jungen griechischen Mädchens und verfolgt die ganze Aktion.
Sie ist Zeugin der Liebe zwischen Ifigenia und Achilles, sowie der Verzweiflung ihrer Eltern. Da sie gleichzeitig die Rolle der Titelheldin singt, hat Diana ebenfalls eine kommentierende Funktion, die in den antiken Tragödien dem Chor gehörte. Dank diesem Regiekonzept erscheint die endgültige Entscheidung Dianas, die auf die Opferung Ifigenias großzügig verzichtet, und die griechischen Schiffe für die Fahrt nach Troia freigibt, noch überzeugender als im Original.
Jasmin Delfs singt sehr gefühlsvoll, aber ohne Anstrengung und mit ausgezeichneter Diktion. Nur bei forte öffnet sie den Mund etwas weiter. Die Mezzosopranistin Mary-Ellen Nesi als Clitennestra ist auf hohen Tönen viel besser als in der Mittellage zu hören, sie verkörpert jedoch perfekt die fürsorgliche Mutter.
In dieser Besetzung sticht der männliche Sopran Maayan Licht in der Rolle des Achilles hervor. Er zeichnet sich durch die außerordentliche Geläufigkeit bei den Koloraturen aus, und ein präzises Staccato, mit dem er Liebesseufzen imitiert. Seine helle, teilweise scharfe Stimme ergänzt sich mit dem warmen, samtenen Countertenor von Max Emanuel Cenčić in ihrem gemeinsamen Duett. Kurz vor der Premiere erkrankte Cenčić an der Sommergrippe, doch auf der Bühne war sein Unwohlsein überhaupt nicht spürbar.
Sehr emotional und rührend hat er Agamemnons inneren Kampf zwischen der Liebe zu seiner Tochter und der Angst vor dem Zorn Dianas und ihres fanatischen Priesters Kalchas dargestellt. Diesen verkörpert der exzellente Bass Riccardo Novaro, dessen blutrotes Gewand sich von den anderen, in gedeckten Farben gehaltenen Kostümen abhebt. Der Countertenor Nicolò Balducci war als Ulisse sowohl schauspielerisch als auch gesanglich ausdruckstark.
In diesem Spektakel gibt es eine Anspielung auf den antiken Kult der Artemis, wie die Selbstgeißelung der Krieger. Die Zuschauer fühlen sich in die Welt der Mythologie eingeführt, umso mehr, dass griechische Darsteller die Rollen von Dienern und Soldaten spielen. Die Kostüme von Giorgine Germanou sind durchdacht, von sehr spärlich bis opulent; in der ersten Jagdszene haben die Soldaten nur bunte Kordeln an. Diana erscheint in einem voluminösen silbergrauen Kleid, mit einem Diadem in Form eines Hirschgeweihs und langen Fingernägeln. Germanou hat ein ausgewogenes Bühnenbild entworfen, was aus einfachen Elementen besteht, wie Schiebewänden, Bäumen in Töpfen, die einen Wald darstellen, und einem Opferaltar. Während der Arie Lasciar bramo questa vita, in der Ifigenia singt, sie habe tausend Leben zu opfern, erscheinen auf der Bühne drei riesige Brutkästen mit menschlichen Embryonen.
Das ausgezeichnete Orchester Les Talens Lyriques unter der Leitung von Christophe Rousset hat die Künstler begleitet. Der Dirigent hat die ganze Aufführung mit Flair und Hingabe geführt, auch beim Cembalospielen. Die Musiker haben sogar zusätzliche Toneffekte wie Donner und Windgeräusche erzeugt. Die Krieger spielen auf der Bühne Trommeln und Glocken. Zu Beginn des dritten Akts schleicht Achilles’ Truppe mit Ifigenia durch den Wald hindurch und kommuniziert über Vogelwasserpfeifen.
Samba statt Breakdance
Galakonzert mit Bruno de Sà mit dem Ensemble Il Pomo d’Oro
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 6. September 2024
Jakub Józef Orliński, der mit dem Orchester Il Pomo d’Oro das Beyond-Programm aufführen sollte, hat seine Teilnahme am Festival aus Gesundheitsgründen abgesagt. Bruno de Sá hat ihn mit eigenem Repertoire ersetzt. Die Musiker, angeführt von der charismatischen Geigerspielerin Alfia Bakieva, zeigen sich angesichts dieser Veränderung sehr flexibel. Im ersten Teil singt der männliche Sopranist das Gloria von Händel sowie zwei Arien und das Alleluja aus der Motette Vivaldis In furore iustissimae irae. Nach der Pause wechselt er den schwarzen Anzug in einen rosafarbenen, mit einem schicken schwarzen Federschmuck auf der Schulter.
Dieser Sänger verbindet herausragende Musikalität mit exzellenter Technik; bei langen Tönen steuert er effektiv sein Vibrato, das allmählich an Geschwindigkeit gewinnt, bis es wie einen Klang wie ein perlendes Vogelgezwitscher erreicht. Die Arie des Arminio Parto, ti lascio aus Porporas Oper Germanico in Germania interpretiert de Sá sehr rührend, während er am Bühnenrand sitzt. Am Ende des Konzerts nimmt er eine Videobotschaft für Orliński mit Genesungswünschen auf, begleitet von dem herzlichen Beifall der Musiker und Zuschauer. Solche schöne und aufbauende Geste weiß man zu schätzen. Wir hören ständig über die Konkurrenz unter Sängern, und hier haben wir ein Beispiel für Solidarität und Unterstützung.
Obwohl Orliński abwesend ist, kommt seine inspirierende Wirkung hier zum Vorschein. De Sá verkündet, dass er im Gegensatz zu seinem polnischen Kollegen Breakdance nicht kennt, kann aber mit Samba versuchen. Und tatsächlich tanzt er Samba bei der dritten Zugabe, was das Publikum zum Kochen und Toben bringt.
LUCILE RICHARDOT, Mezzosopran
Baroque Magicians
JEAN-LUC HO, Cembalo
Ruhiger aber nicht weniger interessant verläuft das Konzert Baroque Magicians von der Mezzosopranistin Lucile Richardot in der Schlosskirche Bayreuth. Die Sängerin präsentiert drei mythologische Heldinnen – Medea, Armida und Kirke – in den Arien französischer, englischer und italienischer Barockkomponisten. Der Cembalist Jean-Luc Ho begleitet sie und spielt auch einige Solowerke. Die Künstlerin singt vom Altar, von der Empore aus, und zwischen den Kirchenbänken hindurch, so dass jeder sie aus der Nähe sehen konnte. Sie verfügt über eine kräftige Stimme mit dunkler Farbe, die in den oberen Lagen etwas subtiler klingt. Sanft gedämpfte, aber hörbare Endsilben, durchdachte, fließende Phrasen zeigen die hervorragende Technik der Künstlerin. Sie betont den Inhalt einiger Arien mit tänzerischen Bewegungen. Ihre Medea ist gebieterisch, Armida lyrisch, und Kirke trotzig. Bei dem letzten Stück – der Circé-Kantate von François Collin de Blamont, die von einer Liebe erzählt, die sich allen Regeln entzieht – verkörpert die Künstlerin mit Gefühl eine „barocke“ Carmen.
Das Wort Barock kommt von barrueco, was eine rohe, ungeschliffene Perle mit unregelmäßigen Formen bezeichnet. Das Bayreuth Baroque Opera Festival ähnelt einer solchen Perle – zwar beruft es sich auf Tradition, wirkt aber überdurchschnittlich und unkonventionell. Dies ist ohne Zweifel ein Juwel, dessen Pracht sich über die ganze Stadt ausbreitet und zu deren Glanz beiträgt. Bravi, bravi, bravissimi!
Jolanta Łada-Zielke, 13. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Rezension: Nicola Antonio Porpora, Carlo il Calvo klassik-begeistert.de, 20. Januar 2023
Bayreuth Baroque Opera Festival, Bruno de Sá Bayreuth, Ordenskirche St. Georgen, 14. September 2023
Bayreuth Baroque Opera Festival, Claudio Monteverdi: L’Orfeo Bayreuth, 13. September 2023