Yaroslav Ivanenko und Heather Jurgensen im Ballettsaal des Theaters Kiel (Foto: Silvano Ballone)
Interview mit der Primaballerina Heather Jurgensen und ihrem Ehemann Yaroslav Ivanenko, dem Kieler Ballettdirektor, Teil II
von Dr. Ralf Wegner
Yaroslav Ivanenko wurde 1975 in Kiew, Ukraine geboren. Seine tänzerische Ausbildung erhielt er am dortigen Konservatorium der Künste. Anschließend war er am Nationaltheater in Kiew sowie in Tschechien und in der Slowakei eingesetzt. Von 1998 bis 2010 tanzte er als Gruppentänzer mit Soloaufgaben beim Hamburg Ballett. 2011 übernahm er als Ballettdirektor das Kieler Ballett.
Beim Hamburg Ballett habe ich viel mehr tanzen können
klassik-begeistert: Lieber Herr Yaroslav Ivanenko, Sie wurden 1993 im Alter von 18 Jahren als Tänzer an das Nationalballett in Kiew engagiert. Dort waren Sie einer von 150 anderen Ensemblemitgliedern. Als Sie 1998 nach Hamburg kamen, trafen Sie auf ein deutlich kleineres Ensemble von ca. 60 Tänzerinnen und Tänzern. Wie hat sich dieses auf ihre Probenarbeit und ihre Auftrittshäufigkeit vor Publikum ausgewirkt?
Yaroslav: In der Ukraine spielte das klassische Ballett immer eine große Rolle und es war auch erfolgreich. Ich wollte aber zunächst nicht zum klassischen Ballett, sondern mochte eher den Folkloretanz. Erst später habe ich verstanden, dass Ballett nicht nur für die Frauen, sondern auch für Männer eine Herausforderung ist. Das gegenüber Kiew mit 60 Tänzerinnen und Tänzern kleinere Hamburger Ballett empfand ich als sehr angenehm, denn bei weniger Tänzern war es deutlich leichter, eine Rolle zu bekommen. Beim Hamburg Ballett haben wir mindestens 100mal pro Saison getanzt, und wir haben auch getauscht. Mir gefiel die Verbindung von Gruppe und Solo.
Ich wollte nicht nur Pirouetten drehen oder den weiten Sprung zeigen. Deswegen war die Arbeit bei John Neumeier für mich die beste Zeit. Vor allem die Vorbereitung im Ballettsaal war wichtig für mich, die Kreationsphase, das Ausprobieren, Ideen zu entwickeln, nicht so sehr die Vorstellung auf der Bühne.
klassik-begeistert: Sie waren als Gruppentänzer engagiert, haben aber auch Solopartien getanzt. Welche waren Ihnen besonders wichtig?
Yaroslav: Wie ich schon sagte, war ich mit der Einstufung als Gruppentänzer zufrieden. Aber auch Solopartien habe ich gern getanzt. Zum Beispiel den Hilarion in Giselle mit Heather als Giselle. Ich habe auch die von der Gruppe im Niinsky-Ballett ausgehende Energie geliebt. Das war schon eine Klasse für sich, zur Musik von Schostakowitsch zu tanzen.
klassik-begeistert: Welche Rollen hätten Sie gern getanzt, wenn es sich ergeben hätte?
Yaroslav: Gern hätte ich den Solor in dem Ballett La Bajadère getanzt. Das ist eine herausragende Rolle für Männer. Wenn man das tanzt, entwickelt sich ein Gefühl, als ob man fliegen würde.
klassik-begeistert: Woran und wann merkt man als Gruppentänzer, dass in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit der Weg bis in die Spitzengruppe der Ersten Solisten schwierig wird?
Yaroslav: Das ist für mich schwer zu beantworten. Denn es hatte für mich keine Bedeutung. Ich habe mit 35 Jahren das Angebot bekommen, hier in Kiel Ballettdirektor zu werden.
Heather: Der Wechselwunsch entsteht vielleicht, wenn man in einer Companie nicht weiter voran zu kommen glaubt. Wichtig ist aber trotzdem, ob einem die Arbeit in der Gruppe oder unter dem Ballettdirektor gefällt. Dann wird der fehlende Aufstieg in Kauf genommen und man ist mit der Situation zufrieden.
In Hamburg war es nie genug, gute Pirouetten zu drehen. In Hamburg musste man tanzen, und das bedeutet nicht nur die Technik zu beherrschen
klassik-begeistert: Welche Rolle spielten dabei beim Hamburg Ballett die technisch-tänzerischen Fähigkeiten und/oder das darstellerische Ausdrucksvermögen?
Yaroslav: John Neumeier hat besonders auf die psychologische Seite der Rolle wert gelegt. Wichtig war, wie man eine Rolle durch die Bewegung entwickeln kann. Und John Neumeier erläuterte uns, was die Bewegung bedeuten sollte. Und das hat uns gefallen. In Hamburg war es nie genug, gute Pirouetten zu drehen. In Hamburg musste man tanzen, und das bedeutet nicht nur die Technik zu beherrschen, sondern der Rolle eine Seele zu geben. Ein guter Tänzer in Hamburg musste aber fraglos auch die technischen Schwierigkeiten beherrschen.
Die Hamburger Companie war technisch ziemlich stark, nicht nur die Solisten, sondern auch die ganze Gruppe. Eine technisch starke Tänzerin wie Madoka Sugai, die den Prix de Lausanne gewonnen hatte, kam deshalb auch nach Hamburg. Madoka hat Charisma, von ihr geht eine energetische Strahlung aus. Und das begeistert die Zuschauer.
Ist veröffentlichte Kritik hilfreich oder eher schädlich?
klassik-begeistert: Wie reagiert man als Tänzer auf öffentliche Kritik? Zum Beispiel wenn dort geschrieben wird, es fehlte an Ausdruck oder die Sprünge seien nicht hoch genug.
Heather: Das kann einen schon sehr verletzen. Denn man hat so viel daran gearbeitet und sein Herzblut gegeben. Solche Kritik sollte aber konstruktiv genommen werden. Denn es ist auch für uns Tänzer ganz gut, mal mit Augen von außen gesehen zu werden, auch andere Seiten zu hören. Die Kritik sollte nicht persönlich genommen werden. Als ich noch tanzte, habe ich allerdings sehr viel seltener Kritiken gelesen als jetzt.
Yaroslav: Bei meiner Companie versuche ich deshalb, auch Einflüsse von außen, also andere Choreographen einzubinden. Dadurch gewinne ich auch selbst genügend Abstand. Wir haben Tänzer, die sich mehr im klassischen und andere, die sich mehr im zeitgenössischen Repertoire wohl fühlen, und so werden sie auch eingesetzt. Ich finde Kritik grundsätzlich gut, sie sollte aber für den Tänzer mit positiver Energie verbunden sein.
Wie steht es um die Vergütung und die Fortbildung beim Ballett?
klassik-begeistert: Wie sah es damals und jetzt mit der Bezahlung aus, gab es etwas analoges zur BAT-Eingruppierung?
Heather: Wir haben bei uns in Kiel 19 Tänzerinnen und Tänzer unter Vertrag. Sie werden alle nach dem Theatertarif als Solotänzer mit Gruppe eingruppiert. Die Soli werden aber extra bezahlt. Auch in Hamburg erhielten die Gruppentänzer extra Honorar für Soloauftritte.
Yaroslav: Als Tänzer schaut man aber nicht auf die Vergütung, man empfindet das Tanzen im Theater als eine Art Hobby. Ich war mit meiner Arbeit zufrieden und bekam dazu noch Gage. Jedenfalls ist so die Sicht des Tänzers. In Deutschland sucht man dagegen mehr Stabilität, einen Beruf mit einem Einkommen bis zur Rente. Beim Tanz geht das nicht.
klassik-begeistert: Welche Wege stehen ihren Tänzerinnen und Tänzern offen, wenn sie die geforderten physischen Leistungen nicht mehr erbringen können? Gibt es in Kiel irgendwelche Übergangsregelungen oder vom Arbeitgeber bezahlte Weiterbildungen?
Heather: Unsere Tänzerinnen und Tänzer haben das Recht auf Weiterbildung. Wenn sie mehrere Jahre der Companie angehört haben, dürfen sie auch eine Auszeit nehmen, zum Beispiel um sich um ihre Zukunft zu kümmern. Diese Auszeiten sammeln sich über die Jahre. Und wenn das nicht in Anspruch genommen wird, haben die Tänzerinnen und Tänzer zum Schluss mehr Zeit für den beruflichen Übergang.
Yaroslav: Im Januar gibt es bei uns eine Schwanenseevorstellung als Benefiz-Veranstaltung für die bereits genannte Stiftung Tanz. Die Einnahmen dienen dazu, ausscheidenden Tänzerinnen und Tänzer beim beruflichen Übergang zu helfen.
Dr. Ralf Wegner, 19. Dezembe 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil III unseres Interviews mit Heather Jurgensen und ihrem Ehemann Yaroslav Ivanenko lesen Sie Freitag, 20. Dezember 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at