Sir Simon Rattle BPH © Monika Rittershaus
von Peter Sommeregger
Man muss zweimal hinsehen, um es zu glauben, aber tatsächlich ist der britische Dirigent Simon Rattle am 19. Januar 1955 in Liverpool geboren, und feierte vorletzten Sonntag seinen 70. Geburtstag. Den jugendlichen Elan hat er sich bewahrt, sein schon früh weiß gewordenes Haar kann daran nichts ändern.
Schon früh stand für Rattle fest, Musiker zu werden. Mit nur 16 Jahren begann er ein Studium an der Royal Academy of Music, das er 1974 mit 19 Jahren abschloss. Im gleichen Jahr gewann er einen Dirigenten-Wettbewerb, dessen Preis die Position eines Assistenz-Dirigenten beim Bournemouth Symphonieorchesters war.
Es schlossen sich Verpflichtungen bei weiteren Orchestern an, ehe er 1980 erster Gastdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra wurde, ab 1990 war er dessen Chefdirigent, und führte das Orchester bis 1998 zu einem Klangkörper internationalen Ranges. Parallel dazu übernahm er zahlreiche internationale Gastdirigate, unter anderem bei den Berliner Philharmonikern. Das Berliner Publikum eroberte er mit seiner jugendlich dynamischen Ausstrahlung im Sturm, seine Verpflichtung als Chefdirigent, zu dem er im Juni 1999 gewählt wurde, stieß auf allgemeine Zustimmung.
Angetreten hat Rattle das Amt 2002 und bestritt sein Antrittskonzert mit der 6. Symphonie von Gustav Mahler, kombiniert mit einer Komposition von Thomas Adès. Während der folgenden knapp 16 Jahre dauernden Amtszeit wurde Rattle nicht müde, immer wieder Zeitgenossen und Uraufführungen anzusetzen, was beim eher konservativen Abonnenten-Publikum auf wenig Gegenliebe stieß. Über die Jahre reduzierte Rattle solche Programme und beugte sich damit dem Willen des Publikums.
Das Spektrum der von ihm dirigierten Werke war sehr breit gefächert. Neben der obligatorischen „Wiener Klassik“ kamen auch die Symphonien von Schumann und Sibelius in kompletten Zyklen zur Aufführung, ebenso jene von Gustav Mahler, einem Komponisten, der Rattle besonders am Herzen liegt.
Einer Tradition des Orchesters folgend dirigierte Rattle auch die Opernproduktionen bei den Salzburger Osterfestspielen, 2013 wechselten das Orchester und der Dirigent zu den Festspielen in Baden-Baden. Traditionell wird die aktuelle Opernproduktion auch konzertant in der Philharmonie aufgeführt.
Ein Novum stellte das Education-Programm dar, das versuchte, junge Leute und darüber hinaus eher klassikferne Menschen durch spezielle Projekte an die Musik heranzuführen. Ebenfalls in seine Amtszeit fiel der Start der Digital Concert Hall, der es Interessierten in aller Welt ermöglicht, die Konzerte der Philharmoniker live mitzuerleben. So hat Simon Rattle das Orchester erfolgreich in das 21. Jahrhundert geführt.
Nach dem Ende seiner Tätigkeit behielt Rattle mit seiner dritten Ehefrau, der Sängerin Magdalena Kožená, und den drei gemeinsamen Kindern seinen Wohnsitz in Berlin. Seit 2021 besitzt er neben der britischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Von 2017 bis 2023 amtierte Rattle als Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Im Jahr 2021 unterschrieb er einen Vertrag beim Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, der ihn für zunächst für fünf Jahre an dieses Spitzenorchester bindet.
Sein Tatendrang und seine Freude am Musizieren scheinen ungebrochen. Many happy returns, Sir Simon!
Peter Sommeregger, 29. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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Sommereggers Klassikwelt 267: Johann Strauss klassik-begeistert.de, 1. Januar 2025
Vielen Dank, lieber Peter, für diesen Beitrag. Eine kleine Korrektur: Es war Mahlers Fünfte, die Sir Simon bei seinem Antrittskonzert bei den Berliner Philharmonikern (neben Thomas Adès’ „Asyla“) am 7. September 2002 dirigierte.
Die Sechste ist in diesem Zusammenhang aber ebenfalls ein wichtiger Meilenstein, denn sie war das allererste Werk, das Simon Rattle je mit den Berlinern aufführte: Er dirigierte sie am 14. und 15. November 1987 im Rahmen der Berliner Festwochen. Der Livemitschnitt erschien knapp zwanzig Jahre später im Rahmen der Reihe „Im Takt der Zeit“.
Dr. Brian Cooper