HSO Maria Stuarda Premiere/Ermonela Jaho © Brinkhoff/Mögenburg
Politiker müssen sich nicht mehr alles gefallen lassen, die Volksvertreter schützt § 188 Strafgesetzbuch (StGB). § 188 StGB stellt unter anderem unter Strafe, im politischen Leben des Volkes stehende Personen zu beleidigen. Aber wir reden hier heute auch über feinste Musik in HH.
Gaetano Donizetti / Maria Stuarda
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Antonino Fogliani / Dirigent
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Staatsoper Hamburg, 16. Februar 2025 PREMIERE
von Jörn Schmidt
Ein Meme, veröffentlicht auf X, der das Wort Schwachkopf enthält und das Portraitfoto eins Politikers zeigt, kann schon mal zu einer Hausdurchsuchung führen. Zumindest, wenn weitere Umstände hinzutreten. Ihr Tablet oder Smartphone ist dann auch erst mal weg.
Da kommt mir die Causa Hinterhäuser vs. Brüggemann in den Sinn. Zur Erinnerung: Der Intendant der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser ist gerichtlich gegen zwei Artikel des deutschen Kulturjournalisten Axel Brüggemann vorgegangen.
Vor dem Landgericht Hamburg war der Journalist erfolgreich, Hinterhäusers äußerungsrechtlicher Anspruch auf Unterlassung wurde zurückgewiesen. Dagegen haben die Anwälte der Salzburger Beschwerde beim Oberlandesgericht in Hamburg eingereicht.
Nun stellen Sie sich vor, § 188 StGB wird um einen § 188a StGB ergänzt, der dann zum Beispiel lauten könnte:
„Wird gegen eine im öffentlichen Leben stehende kulturschaffende Person in einer Aufführung oder durch Verbreiten eines Inhalts eine Beleidigung aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im Kulturleben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein künstlerisches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.“
Dann wäre was los. Einen Kulturschaffenden Schwachkopf zu nennen, nur weil man sein Regietheater nicht mag: Mutig… Buh-Rufe: Schwierig… Überreife Tomaten werfen: Undenkbar…

Wenn Sie jetzt sagen, früher war alles besser. Da durfte man Helmut Kohl landauf, landab Birne nennen. Oder Rückschlüsse aus seiner Leibspeise (Saumagen) ziehen. Da kam kein Staatsanwalt. Allenfalls galt man als begnadeter Kabarettist, der sich was traut.
Wenn Sie so denken, dann empfehle ich Ihnen den Besuch von Gaetano Donizettis fantastischer Oper Maria Stuarda. Die reichlich komplizierte Handlung ist schnell erzählt. Die katholische schottische Königin Maria und die protestantische englische Königin Elisabetta sind sich nicht grün.
Maria trägt ihr Herz auf der Zunge und bezeichnet Englands Königin als Unreine Tochter der Boleyn, Niedere, lüsterne Dirne und Abscheulichen Bastard. Zugegeben, das ist schon einige Regale höher gegriffen als Schwachkopf.

Obwohl, wenn Ermonela Jaho diese Beleidigungen zelebriert, dann klingt das gar nicht mehr so schlimm – Figlia impura di Bolena, Meretrice indegna e oscena, vil bastarda – die italienische Sprache hat einfach mehr Klang.
Aber egal wie stilvoll man derlei Beleidigungen vorträgt, seinerzeit reichte das fürs Schafott. Auch wenn Maria schlussendlich recht entspannt dorthin schritt, früher war eben doch nicht alles besser.
Barno Ismatullaeva als Elisabetta war der Schottin eine ebenbürtige Gegnerin. Ein famoses Duell der Koloraturen war das. Nicht um der schnellen Abfolge der Töne wegen, sondern mit Rollenkenntnis entlang der Handlung gesungen.

Long Long als Roberto, Graf von Leicester, gelang das Kunststück, seinen Platz zwischen beiden Königinnen zu finden. Sein Tenor strahlte wie ein Hahn im Korb. Das ist keineswegs kritisch gemeint, Rollenkenntnis war vorhanden.

Wenn Sie interessiert, warum Maria Stuarda mindestens ein Double, die Schauspielrein Sandra Gerling nötig hatte: Sehen Sie selbst, die nächsten Aufführungen sind 19., 22., 25., 28. und 30. März. Außerdem am 2. April 2025. In meiner Kolumne herrscht Spoiler-Verbot.
Was zum nächsten Thema führt. Inszeniert hat Karin Beier. Jetzt, wo ich gerade über einen de lege ferenda einzuführenden § 188a StGB philosophiert habe, möchte ich mich dazu nicht äußern. Eigentlich gab es nicht viel zu meckern. Trotzdem, heute besser mal vorsichtig mit Regietheater, habe ich gedacht.
Dirigent Antonino Fogliani macht hörbar, dass die Oper auf ein Drama Friedrich Schillers zurückgeht. Für Fogliani ist Schiller ein Romantiker, ein Kämpfer für die Freiheit. Sein Dirigat verdeutlicht, wie viel Tiefe und Qualität in der Partitur steckt.
Auf einem rhythmisch aufgebauten Fundament darf das Philharmonische Staatsorchester Hamburg zuweilen revolutionär aus sich herausfahren. Es spielt düster wenn nötig, strahlend oder samtig wenn möglich. Die Tempi breit, aber nie zäh wie Kaugummi unterm Schuh. Mich hat das an Giuseppe Sinopoli erinnert.

So geht Donizetti heute, die Hamburger Erstaufführung von Maria Stuarda geriet musikalisch formidabel. Intendant Georges Delnon nutzte die Gunst der Stunde und stellte den wahren Star des Abends vor.
Das war einmal wieder der Chor der Hamburgischen Staatsoper. Anlässlich der Premiere wurde EBERHARD FRIEDRICH verabschiedet. Der Mann, der in Hamburg diesen Weltklasse-Chor geschmiedet hat. Herzlichen Dank für unendlich viele Sternstunden.
Jörn Schmidt, 16. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gaetano Donizetti, Maria Stuarda, Diana Damrau, Javier Camarena, Deutsche Oper Berlin
Gaetano Donizetti, MARIA STUARDA, Staatstheater am Gärtnerplatz, München