Elbphilharmonie: Ein sommerlicher Brahms-Prokofjew-Zyklus in Hamburg

Alan Gilbert & NDR Elbphilharmonie Orchester, Lisa Batiashvili, Leonidas Kavakos,  Elbphilharmonie Hamburg, 2. & 4. September 2020, 18:30 & 21:00 Uhr

Hier wurden nicht vier Symphonien gespielt, hier wurde ein Symphonie-Zyklus gespielt. So soll das sein. Mehr Zyklen bitte!

Elbphilharmonie Hamburg, 2. & 4. September 2020, 18:30 & 21:00 Uhr
Alan Gilbert & NDR Elbphilharmonie Orchester

Lisa Batiashvili, Violine (02.09.2020)
Leonidas Kavakos, Violine (04.09.2020)

Werke von Johannes Brahms und Sergej Prokofjew

von Johannes K. Fischer

Ein äußerst gelungener Saisonauftakt in der Elbphilharmonie! Vier Brahms-Symphonien und zwei Prokofjew-Violinkonzerte: Wann bekommt man das schon an zwei Abenden zu hören? So kann diese Spielzeit gerne weitergehen.

Die neue Spielzeit des NDR Elbphilharmonie Orchesters beginnt also mit einem ganzen Zyklus der Brahms-Symphonien,verteilt auf insgesamt sieben Konzerte. Nur die Erste wird nur einmal gespielt (warum eigentlich?). Dazu jeweils eines der beiden Violinkonzerte von Prokofjew. Lisa Batiashvili spielt das Erste, Leonidas Kavakos das Zweite.

Seit Monaten stelle ich mir die Frage, was Prokofjew musikalisch mit Brahms zu tun hat. Wie passen diese beiden Violinkonzerte zum Brahms-Zyklus? Einer Antwort auf diese Frage bin ich in den letzten 52 Stunden kein Stück nähergekommen.

Zum ersten Violinkonzert von Prokofjew: Es wirkte wie die Kugel Eis, die man gelegentlich in sehr vornehmen Restaurants zwischen zwei Hauptgängen bekommt. Kalt und einsam klingt es. Lisa Batiashvili ließ den ersten Satz singen, den zweiten Satz tanzen. Der perfekte Ausgleich zu dem, was danach kam. Die Brahms-Symphonien sind schwere Kost. Die muss man erst mal verdauen.

Das zweite Violinkonzert wirkte dann schon eher wie die Marillenknödel nach (oder auch vor) dem Schweinsbraten. Leonidas Kavakos spielte auch die Energie des letzten Satzes voll aus. Dieses Violinkonzert ist eine einzige musikalische Steigerung. Der Klang am Ende ist so intensiv, dass nicht klar ist, ob die Spannung eigentlich gelöst ist. Danach Brahms: Das macht keinen Sinn. Schon die Tonart: Wie passt g-moll à la Prokofjew zu F-Dur und e-moll à la Brahms?

Leonidas Kavakos © Marco Borggreve

Dass diese Violinkonzerte zwei völlig unterschiedliche Welten darstellen, merkte man auch am Klang des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Im ersten Violinkonzert haben sie der Solistin immer genügend Platz gelassen, haben nie versucht, sie musikalisch zu überwältigen. Selbst die pizzicato-Stellen der Solo-Stimme waren in den oberen Rängen immer noch sehr gut zu hören.

Lisa Batiashvili (c)

Im zweiten Violinkonzert klang das dann schon ganz anders: Hier hatte man zeitweise das Gefühl, dass es sich um ein Konzert für Orchester mit Violinbegleitung handelt. An der Einschätzung, dass Prokofjew das so wollte, ist sicherlich was dran. Aber vor Brahms war das einfach zu viel.

Im Brahms-Zyklus selbst verfolgte der Dirigent Alan Gilbert durchgehend eine sehr einheitliche Linie. Sein Brahms klingt fröhlich, entspannt, tänzerisch. Da im ersten Konzert die 2. Symphonie gespielt wurde, war es mir anfangs nicht ganz klar, wie das in der Ersten funktionieren soll. Die berühmte Einleitung erinnert doch eher an einen Trauermarsch als an einen fröhlichen Volkstanz.

Alan Gilbert, Foto: Peter Hundert (c)

Doch um diese so richtig gut hinzubekommen, braucht man eindeutig die mit Ziegenpergament bespannten Pauken, wie sie etwa in Wien verwendet werden. Diese haben einen deutlich weicheren, runderen Klang als die sonst in der Regel mit Kunstfell bespannten Pauken. Laut des Musikwissenschaftlers Matthias Bertsch war es Brahms höchstselbst, der sagte: „In Wien spielt man die Pauke, überall anders schlägt man sie.“

Trotzdem schaffte es Gilbert eine ausgewogene Balance zwischen der dunkeln Tonart c-moll und seinem eher sonnigen Brahms herzustellen. Das , was traurig klingen muss, klang traurig, und die Stellen die sanfter klingen dürfen, klangen fröhlich. Ja, Gilbert hatte hier nicht ganz die emotionale Tiefe, wie sie etwa Bernstein und Abbado hatten. Besonders an Stellen wie Takt 89 im ersten Satz (für die PartiturleserInnen unter uns) hätte man ruhig etwas mehr Gewicht in die Musik legen können. Aber der Amerikaner hatte ein originelles, eigenes Konzept für die Symphonie. Und das ist wichtig.

Die zweite Symphonie von Brahms: Sie wurde nicht nur am Wörthersee komponiert, sie klingt auch noch richtig nach Kärnten. Nach Almwiesen, nach Almdudler und nach Ländlern. Gilbert setzte sich zwar deutlich von der musikalischen Landschaftsmalerei, wie sie in vielen Einspielungen üblich ist, ab. Aber umso lebhafter wirkte die Musik. Ein Tanz nach dem anderen. Nur der zweite Satz war in diesem Sinne etwas zu lebhaft. Zu schnell.

Von allen vier Symphonien liegt Gilbert die Dritte mit Abstand am besten. Die emotionale Tiefe, die in der Ersten gefehlt hat, versuchte er hier mit vollem Einsatz auszugraben.

Ein Highlight des gesamten Zyklus: Der dritte Satz der 4. Symphonie. Allegro giocoso, so lautet die Tempobezeichnung. Giocoso kommt von giocare (spielen) und bedeutet etwa „spielvoll.“ Gilbert dirigierte hier eher molto giocoso! So, als würden zwei Kinder fröhlich mit einem Ball spielen. In einem kleinen Dorf mit viel Grünflächen. Bei strahlendem Sonnenschein. Im Sommer.

Im vierten Satz war dieser Ball dann anscheinend über den Zaun zum Nachbar gefallen. Mehr aber auch nicht. Während andere Dirigenten in diesem Satz den Weltuntergang erklingen lassen, ließ es Gilbert bei einigen Seufzern sein. Wie schon bei der Ersten: Meiner Empfindung nach hätte das gern etwas dramatischer, etwas ernster sein können. Aber Hut ab, dass Gilbert hier die den Zyklus vollendet, und nicht so tut, als hätte der Komponist dieser Symphonie jenen der ersten drei Symphonien nicht gekannt.

Nur die Hörner konnten an diesem Abend nicht wirklich überzeugend. Viel zu eckig der Klang. Besonders im zweiten Satz der Vierten war das deutlich zu hören. Und: Bitte, Herr Cürlis, stimmen sie beim nächsten Mal ihre Pauken richtig! Das kleine e war, zumindestens im letzten Satz der vierten Symphonie, um einiges zu tief.

Fazit: Insgesamt genauso, wie man sich einen Brahms-Zyklus wünschen würde. Hier wurden nicht vier Symphonien gespielt, hier wurde ein Symphonie-Zyklus gespielt. So soll das sein. Mehr Zyklen bitte! Wie wäre es mal mit Beethoven, Mahler oder Prokofjew? Einzig Haydn wäre wohl etwas zu viel verlangt.

Johannes Karl Fischer, 5. September 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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