Grandioser, ziselierter Krach – unsere Kiddies werden es lieben!

»Canto di speranza« – Human Sculptures of Absurdity, Melancholy and Violence, Bernd Zimmermann,  Elbphilharmonie, 26. Februar 2022


Elbphilharmonie,
26. Februar 2022

Gürzenich-Orchester Köln
François-Xavier Roth Dirigent

Alexandra Ionis Performance
Tómas Tómasson Performance
Calixto Bieito Regie

»Canto di speranza« – Human Sculptures of Absurdity, Melancholy and Violence

Bernd Alois Zimmermann
Sinfonie in einem Satz für großes Orchester
Stille und Umkehr
Tratto II (Auszug) / Komposition für elektronische Klänge
Musique pour les soupers du Roi Ubu
Photoptosis für großes Orchester

von Harald N. Stazol

Konzertkritiker an der Elbphilharmonie zu sein birgt viele Gefahren: Man kann erblinden, ob der schieren Gewalt der Fjäll Reven Jacken zu Schlabberjeans zu Turnschuhen, oder den Schlammfarben. Man kann sich auf den 10000 Stufen des monumentalen Bauwerks in seinen lederwohligen Lack-Alden´s zu Tode stürzen, etwa, weil wieder einer dieser jungen Elbprinzen, wie ich die Reedersöhne und Bucerius-Law-School-Jungs nenne, die immer so respektvoll zurückweichen, – Hingucken, Flirten, die Stufe verpassen, Genickbruch.

Man kann ertauben, – wenn Bernd Alois Zimmermann dem Gürzenich-Orchester Köln (selten so ein übervolles Orchester gesehen, ich zähle 6 Schlagzeuger und 13 Pauken), unter dem rasant-ernst-korrekt-stupenden  François-Xavier Roth die 3 Giga-Phon abnötigt, dass, ich schwöre es!, den 16. Rang gerade erzittern lassen,  beim 15minütigen Rausschmeisser “Phototosis”, und eine Dame neben mir hält, ich schwöre es!, sich die Ohren zu, schon bei der “Musique pour les Soupers du Roi Ubu” donnert ja sogar die Orgel, und vielleicht mag dieser Klangsturm sich ja hier soweit oben an der geschwungenen Decke besonders stauen – was für ein Erlebnis!

Die größte Gefahr für einen Kritiker, lebensgefährlich geradezu, ist sich lächerlich zu machen. Das versuche ich hiermit tunlichst zu vermeiden, was mich dazu bringt, diesen “Canto Di Speranza”-Abend, ein Lied voller Hoffnung, besonders bei der Schweigeminute gleich Anfangs für die Opfer des Ukraine-Krieges, zu der alle stehen, wenn die Reihen doch auch ein wenig licht sind, nun – Die Rezension also in zwei Teile zu ordnen: Zunächst meinen subjektiv-ästhetischen Eindruck als Liebhaber auch der Moderne, sodann eine musikhistorische und – geschichtliche Einordnung des ohne Zweifel genial-virtuosen Frank Alois Zimmermann (1918-1970) zu versuchen.

(c) Holger Talinski

Ganz zuvörderst aber wollen wir die Performance betrachten, die ja das Ganze begleitet, inszeniert von Calixto Bieito, und glauben Sie mir, der Name ist Programm! Ihn weist das wie immer schön und aufschlussreich gestaltete Programmheft aus, wie folgt:

“Der spanische Regisseur Calixto Bieito ist eine der spannendsten und charismatischsten Persönlichkeiten der gegenwärtigen Theaterszene. Er studierte Literatur, Kunstgeschichte, Regie und Performance in Barcelona und Tarragona. Seinen internationalen Durchbruch feierte er 2001/02 mit Produktio- nen von Shakespeares Macbeth in Salzburg und Hamlet in Edinburgh. Mozarts Die Entführung aus dem Serail an der Komischen Oper Berlin (2004) festigte seinen Ruf als einer der europaweit führenden Regisseure. Geliebt und gehasst gleichermaßen, … (…)”

(c) Holger Talinski

Geliebt und gehasst, tja, internationaler Durchbruch, mit sowas??? Wir fassen zusammen: Nach seinem markerschütternden Schrei kommt der Bassbariton Tòmas Tòmasson, rezitiert ein wenig zusammenhanglos und legt sich in einen Glassarg, den wenig später die Mezzosopranistin Alexandra Ionis auf der Vorderbühne einmal hin-und herschiebt, dann in der Mitte anhält, wieder Sprechrolle, und ich muss gestehen, ich erinnere nichts ausser, “ich bin, ihr seid”, aber bitte nageln sie mich nicht fest. Später kommen zwei weisse Röcke und eine Menge weißer Schminke zum Einsatz, mit derer sogar das <holz unserer Naturholzbühne beschmiert wird. Ich beginne, an der “Inszenierung” zu zweifeln: Ich halte Jonathan Meese für ein Feigenblatt Deutscher Dämlicher Unkultur, Thomas Ostermair für ein ONE-hit- WONDER, Christian Kracht  für einen wenig Beneidenswerten, Barre für eine abgeschworene Koks-Nase – an Rebecca Casati erinnert man sich glücklicherweise nicht mehr.

Das Orchester in Höchstleistung, der Franzose am Pult immer diablolisch gebückt, mit einer erhobenen Hand, ja, zweier Finger, über Alles gebietend, MannMannMann. Wie ein Zauberer aus “Herr der Ringe”.

Denn da sind sie, die elisabethanischen Menuette, makellos gerade nur im Horn, hat doch soeben die ganze Streicherriege die Bühne in den Zuschauerraum entlassen. Nun sind zur Seite die Plätze aufgegeben.

(c) Holger Talinski

Währenddessen schmieren sich die beiden Schmierenkomödianten die Unterschenkel weiss.

“Le Rot Uhu” ist eines der Dadaistischen Hauptstücke, ich selbst habe es einmal in Ingolstadt am Jugendzentrum Fronte ´79 mal begleitet, die Theatergruppe unter Stefan Schnell gab es einmal.

Achso, “Stille und Umkehr”. Alles auf D. Hier entfaltet sich der Moderne, die Stadtväter Nürnbergs wünschen sich anlässlich des Albrecht-Dürer-Jahr 1971, als der 500. Geburtstag des berühmtesten Sohnes der Stadt gefeiert wird.”- eine musikalische Ode.  Stattdessen bekamen sie ein in sich gekehrtes, in der Orchesterbesetzung stark reduziertes Werk, das praktisch nur aus einem einzigen durchgehaltenen Ton besteht: einem d. Allein seine Klangfarbe changiert durch die Instrumentation und kreisenden Umspielungen; begleitet wird er von der vagen Andeutung eines Blues-Rhythmus.

Er kann einfach alles, Zimmermann, und man fragt sich, warum er seine händelschen Bläsestätze, seine Streichermenuette, seine fragilen Gigues und Tänzelein sich jedesmal wieder selbst kaputt schlagen muß. 

Die Einordnung in die Musikgeschichte mag anderen obliegen, Allein die Uraufführung der 1. Symphonie von Havergal Brian fiel ja auch durch, Churchill´s und meiner Meinung: Zu recht!

So mag dem Zimmermann entgegenhalten, wer will: Grandioser, ziselierter Krach, unsere Kiddies werden es lieben!

Harald N. Stazol, 26. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

NDR Elbphilharmonie Orchester, Jean-Yves Thibaudet, Marin Alsop Elbphilharmonie, Hamburg, 18. Februar 2022

NDR Elbphilharmonie Orchester, Kirill Gerstein, Alan Gilbert Elbphilharmonie, Hamburg, 12. Januar 2021

Die Elbphilharmonie in Hamburg ist 5 Jahre alt klassik-begeistert.de, 11. Januar 2022

 

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