Der alternde Amor

Richard Strauss, Der Rosenkavalier

Foto: Marlis Petersen, Feldmarschallin, © W. Hösl

Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021

von Sandra Grohmann

Der uralte Amor, der hat was. In die Jahre gekommen, der Gute, aber doch noch recht kraft- und wirkungsvoll und bei aller Gebrechlichkeit so verspielt wie eh und je. Konfetti! Im neuen Münchener Rosenkavalier bietet er als im Libretto so nicht vorgesehene Figur doch das stärkste Bild für das Hauptthema des Abends – die Zeit. Die Zeit, das „sonderbar Ding“. Marlis Petersen im Rollendebüt als Marschallin besingt sie zauberhaft mit ihrer klaren, gleichwohl vollen und außerdem makellos geführten Stimme, in der neben der Melancholie ein Augenzwinkern aufblitzt. In jedem Moment lässt sie uns hören, was dieser Fürstin durch Herz und Kopf geht, färbt sie den Ton übermütig, nachdenklich, strahlend. Und ihr Spiel passt dazu: sinnlich, etwas naiv, sehr frisch trotz der ersten Alterszeichen. Nicht zu vergessen ihr unwiderstehliches Lachen – wer schmölze bei diesen so effektvoll eingesetzten Grübchen nicht dahin! „Richard Strauss, Der Rosenkavalier
Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021“
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Die Zeit läuft Amok, solang das Schicksal es so will – "Der Rosenkavalier" im Nationaltheater

Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021

Rezension des Videostreams: Der Rosenkavalier von Richard Strauss

DER ROSENKAVALIER: MARLIS PETERSEN (FELDMARSCHALLIN), Foto: W. Hösl

von Frank Heublein

Der Rosenkavalier ist unterschrieben als Komödie für Musik in drei Aufzügen. Dramatische Handlungswirren werden in guten Komödien unausweichlich mit der Lebensweisheit garniert, dass alles einen Preis hat, auch das Glück. Und das Schicksal, egal wie schlimm es mittendrin zuschlägt, am Ende einer Komödie ist es hell und häufig überglücklich.

Regisseur Barrie Kosky materialisiert das Schicksal in dieser Inszenierung. Es ist stets mittendrin, scheint aber nur zu beobachten. Oh nein! Überall hat es seine Finger im Spiel! Mal mit schwarzen Flügeln, Unheil bringend. Mal mit weißen, Seligkeit ankündigend.

Der Schicksalsengel ist ein wie ich finde schlauer Regieeinfall. Alt, tiefgebeugt, ausgehärmt, mager, halbnackt, schlohweißes Haar, zerfurchtes Gesicht – das Schicksal zeichnet nicht nur, es ist selbst schlimm gezeichnet. Wie es beim Schicksal so ist, der Herr mit stiller, aber tragender und entscheidender Rolle bleibt im Programm namenlos. Gerade so wie auffällig unauffällig sich dieser halbnackte Lumpenmann in die sonst so üppig schönen kostümierten Bühnenpersonen einzupassen vermag, als Diener, als Kutschführer, als Ober oder als Einflüsterer im Souffleurkasten im dritten Akt, da gefällt er mir am allerbesten!

Zur Ouvertüre sehe ich eine übergroße Standuhr auf der Bühne stehen. Die Uhrzeiger fangen sich an zu bewegen. Immer schneller drehen sie sich, einander entgegen gesetzt. Die Zeit läuft Amok. Vladimir Jurowski setzt den Ton differenziert, fein und zugleich opulent.

Während der Ouvertüre entsteigt die Feldmarschallin der Standuhr. Im dünnen Negligé. Ein dritter Arm umschlingt ihren Körper von hinten voller Lust. Kopfkino: eine unersättliche Nacht haben die „drei Arme“ da gehabt. Die Feldmarschallin, gesungen und gespielt von Marlis Petersen und Samantha Hankeys Octavian. Für Octavian soll es gar nicht Morgen werden, so verliebt in und gleichzeitig unersättlich gierig ist er auf die Feldmarschallin. Das spielen die beiden so deutlich wie sie es singen, sich lustvoll in- und aufeinander werfend.

Der erste Akt spielt fast ausschließlich im halbdunklen Blau-Schwarz-Grau-Silber. Die Bäume der Orangerie sind matt silbern, das Sofa grau, das Bühnenbild schwarz-gräulich. Feldmarschallin und Octavian jagen sich neckend durch die Orangerie.

Das Leben ist ein Silbertablett, auf welchem der Schicksalsengel soeben das Frühstück hereinträgt. Ich stutze einen Moment, ist es das Licht? Nein, dieser Engel hat schmutzig grauschwarze Flügel.

Aufregung. Die Feldmarschallin hört es rumoren. Ist es etwa ihr Ehegatte, der da kommt? Schnell muss Octavian verschwinden, aber wohin? Entwarnung, es ist nur Besuch, der Verwandte Baron Ochs auf Lerchenau. Siedend heiß fällt der Feldmarschallin ein, dass er ihr einen Brief übergeben ließ, den sie ignoriert hat, sich ganz der heißen Liaison mit Octavian hingebend.

Octavian hat sich verkleidet als Zofe Mariandel. Feldmarschallin und Octavian-Mariandel können kaum die Finger voneinander lassen, wenn der Baron schwadroniert und unaufmerksam ist. Wenn er das nicht ist, nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, sich der Zofe aufzudrängen. Geschmacklose Stielaugen, anzügliche Sprache, ebensolche Nähe. Ekelhaft! Sehr gut singt und spielt den Lerchenau Christof Fischesser. Er spielt ihn im ersten Akt fulminant, kraftvoll dynamisch, als einen überheblich ignorant egozentrischen geilen Sack. Widerlich und also komödiantisch exzellent.

Sowohl Octavian als auch die Feldmarschallin genießen dieses Spiel. Octavian spielt Mariandel flach verführerisch, etwa Po wackelnd aufstehend und extra lasziv den Rock glattstreichend. Doch so platt das Spiel ist, der Baron Ochs auf Lerchenau ist platter. Seine Wahrnehmungsscheuklappen gleichen einer egozentrischen Stichflamme, die außer Geld und Geilheit alles andere in Rauch aufgehen lässt. Exempel ist die Notarszene, in der er Recht – die Morgengabe – beugen will, um an maximal viel Geld des Herrn von Faninal zu gelangen.

In der folgenden Audienzszene ist für mich mit der Arie eine Fantasiesequenz der Feldmarschallin eingebaut. Gestresst und gelangweilt von Menschen, die alle etwas wollen, entflieht sie in ihre Vorstellung. So verstehe die Änderung des Lichtspektrums von Blau-Grau-Schwarz zu Gelb-Orange, wenn der Sänger auftritt. Kurzzeitig durchbricht die Wirklichkeit den Traum, die Feldmarschallin versucht ihn – der Sänger und Heldentenor tritt erneut auf – ein letztes Mal festzuhalten.

Im Nichtgelingen beendet sie die Audienz in Melancholie verfallend. Prägnant formuliert singt Marlis Petersen brillant über „das“ Thema dieser Inszenierung: die Zeit, die Amok läuft.
„Aber wie kann das wirklich sein, dass ich die kleine Resi war und dass ich auch einmal die alte Frau sein werd? Die alte Frau, die alte Marschallin! »Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!« Wie kann denn das geschehn? Wie macht denn das der liebe Gott? Wo ich doch immer die gleiche bin. Und wenn er’s schon so machen muss, warum lasst er mich zuschaun dabei mit gar so klarem Sinn! Warum versteckt er’s nicht vor mir? Das alles ist geheim, so viel geheim. Und man ist dazu da, dass man’s ertragt. Und in dem »Wie« da liegt der ganze Unterschied.“

Sie spielt und singt diesen Schmerz höchst eindringlich. Grandios einfühlsam vom Jurowskis bayerischem Staatsorchester getragen, hier im zarten Piano der Oboe und Flöte.

Die folgende letzte Szene des ersten Aktes zeigt, wie sehr die Feldmarschallin die Zeit als Amokfahrt begreift. Dies arbeitet die Inszenierung deutlich heraus.

Der hereinstürmende Octavian möchte sie trösten. Er glaubt fehl, indem er in seiner egoistischen überzeugten Liebesblindheit glaubt, seine Person an sich könne die Stimmung der Feldmarschallin aufhellen. Ein zweiter Fehlglaube ist, ihre Traurigkeit hänge allein an der Sorge um ihn als Mariandel, die vom Lerchenau kompromittiert wird.

Sie singt „Mir ist zumut, dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss, bis in mein Herz hinein, wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann, wie alles zerläuft zwischen den Fingern, wie alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum.“

Ergreifende Musik gepaart mit intensiven Spiel von Marlis Petersen und Samantha Hankey. Ich begreife mit jeder Faser meines Körpers in dieser langen Duettszene, das gerade etwas deutlich anders wird zwischen den beiden. Das „Was“ kündigt sich unmittelbar an.

Sie hat vergessen, Octavian die silberne Rose mitzugeben. Der Diener und Bote Mohammed ist eine Figur des Librettos, die heutzutage als politisch nicht korrekt bis inakzeptabel empfunden werden kann. Das wird elegant und klug gelöst, in diesem Fall übernimmt der Schicksalsengel den Job.

Die Feldmarschallin wendet sich zur Standuhr vom Anfang zu. Sie setzt sich aufs Pendel zu den Schlusstakten des Orchesters. Sie reitet auf der Zeit, die Amok läuft, versucht ihr Frau zu werden.

Der Raum des zweiten Akts ist einer mit hunderttausend Augen, die mich und alle Beteiligten anblicken aus den mit Portraitbildern überbordenden Saal. Vielsagende Dekoration, denn dem Herrn von Faninal ist nichts wichtig außer seiner Reputation. Seine Tochter Sophie muss sich unter allen diesen Augen beweisen. Diese Prüfung will sie mutig angehen. Singt sich in einen Rausch mit kurzer Ohnmacht. Eine Stimme erweckt sie, die sie magisch magnetisch anzieht, das sehe ich ihrem Gesicht an.

Dieser zweite Akt mischt die Welten durcheinander. Octavian tritt auf in einer Aschenputtel-Cinderella anmutenden vollständig von Glitzer übersäten mindestens absolutistischen Kutsche auf. Gesteuert, mich wundert es nicht, vom Schicksalsengel.

Die Rosenübergabe gerät zum „Coup de foudre“. Ich spüre im Spiel und im Gesang von Samantha Hankey und Katharina Konradi als Sophie: hier springt die Liebe über. Die beiden sind sich sofort spürbar nah. Unverblümt singt sie, dass er ihr gefalle. Ihr Anbandeln wird rüde unterbrochen.

Baron Ochs auf Lerchenau findet sich ein, um seine Braut zu begutachten wie ein Stück Vieh. Wieder empfinde ich Christof Fischesser als Lerchenau Charakter äußerst glaubhaft. Sophie beschwert sich, doch trifft bei der Jungfer Marianne auf taube Ohren, denn sie bekommt eine gute Partie ab, mit öffentlichem Auge betrachtet. Der Herr von Faninal des Johannes Martin Kränzle spielt und singt blind vor Stolz ob des adeligen Aufstiegs und dem Gewinn an öffentlicher Reputation.

Sophie sträubt sich weiter. Lerchenau bittet Octavian, Sophie weichzukochen für ihn. Und wie er das tut, Sophie und Octavian küssen sich heftig. Das Liebesduett wirkt hier wie zwei ineinander verschlungene Arien.

Valzacchi und Annina in den Diensten von Lerchenau erwischen die beiden. Hinein geht es in die antike mythologische Sagenwelt. Mit ihren Hörnern auf dem Kopf erinnern die Figuren – alle außer Octavian, Sophie und Lerchenau – samt des Lerchenau’schen Gefolges an dionysische Helfer. Diese zusätzliche Parallelwelt kommt plötzlich, funktioniert zwar. Ist für mich jedoch das schwächste Glied in der Inszenierung.

Die Lage eskaliert. Der Vater droht die Tochter zu enterben. Octavian macht ernst und fordert Lerchenau zum Duell. Der pikst sich schnell und leicht, um große Pose aus minimaler Verletzung zu entwickeln. Vater Herr von Faninal ist ebenso wie der Baron Ochs auf Lerchenau mit Wahrnehmungsscheuklappen ausgestattet. In seinem Fall zählt nur sein öffentlicher Ruf. Alles andere, auch das Glück seiner Tochter, ist egal. Das wird, da eben nicht sein eignes Ding, dem Lerchenau zu viel.

Unterdessen bleibt Octavian nicht untätig, besticht Annina. Diese übermittelt dem Lerchenau einen Brief vom Mariandel. Im Weinrausch trinkt sich Lerchenau seinen Kavaliersstatus schön. Christof Fischesser spielt und singt einmal mehr eine sehr gut ausdifferenzierte Figur Lerchenau, der selbstbezogen vom anstehenden Rendezvous träumt und seine Lakaiin Annina ignoriert.

Im dritten Akt wird die Bühne zu einem kleinen Vorstadttheater. Es erinnert mich in der Anlage und Anmutung an den großen Saal der Musikhochschule hier in München. Im Vorspiel ergehen sich die von Octavian eingekauften Valzacchi und Annina als Organisatoren des folgenden Schmierentheaters.

Als „Zuschauer“ ist das Schicksal mittendrin dabei. Der Vorhang vor den Zuschauerreihen schließt sich. Dem Lerchenau wird es als blindes Fenster verkauft. Der nimmt es hin, hat er doch mit Mariandel nur ein Zielobjekt im totalen Fokus. Toll spielen hier Samantha Hankey und Christof Fischesser. Ihr hätte ich die ordinäre Lache nicht zugetraut. Lerchenau macht sich zum liebestollen Deppen, der doch stets glaubt, die Fäden in der Hand zu halten.

Das eingefädelte Panoptikum nimmt seinen Lauf: Frau und Kinder? Woher kommen die? fragt sich der weinbetäubte Lerchenau. Plötzlich sind alle Bediensteten angezogen wie er selbst. Er ist verwirrt. Es ist ihm zu viel. Er ruft die Polizei.

Doch der Kommissar treibt ihn im Verhör weiter in die Enge. Das Orchester schaukelt sich hoch, auch musikalisch fühle ich den Alptraum Lerchenaus. Wir sind im Theater, also gibt es eine Dea ex machina. Vorhang auf, Feldmarschallin da und sie rettet Lerchenau. Witziges Detail: der Schicksalsengel souffliert aus eben diesem Kasten.

Die Feldmarschallin sagt einen Satz, um den Kommissar zu beruhigen: „Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts“. Eine gefühlt unglaublich lange Generalpause schaue ich ins entsetzte Gesicht der anwesenden Sophie. Dieser Satz trifft sie wie ein Stromschlag, denn ihr wird im Wiederholen des Satzes klar: sie, ihr Leben, ihre Zukunftsperspektive ist nur ein belangloser Spielball eines Intrigenspiels! Das schmerzt und trifft sie tief, ich höre und sehe es ihr an.

Leicht lässt die Feldmarschallin den Lerchenau nicht von der Angel. Sie löst das Eheversprechen. Muss peinlich überdeutlich deutlich werden, wie schlecht seine Sache steht. Als Lerchenau sich verdünnisieren will, geht der Vorhang erneut auf und alle seine von ihm misshandelten Angestellten bewerfen ihn mit allem Möglichen. Zu schwungvollsten Wiener Walzer Klängen. Das Schicksal wird mich Mores lehren, so schadenfroh vergnügt bin ich in dieser Szene.

Es fehlt das Happy End. Die Feldmarschallin lädt Vater von Faninal in ihren Wagen ein. Dieser Reputationsgewinn „rekreiert“ ihn. Kleines Häkchen. Octavian nähert sich Sophie. Sie lässt ihn zappeln. Sie – und auch die Feldmarschallin – zwingen ihn zur klaren Entscheidung für Sophie und gegen die Feldmarschallin. Die folgenden drei ineinander verschlungenen Arien der Feldmarschallin, Octavians und Sophie. Das ist der große Haken am Happy End. Fulminant singt das Trio, große Oper!

So gut verständlich alle drei singen, so schwierig empfinde ich das Verstehen insbesondere bei diesen drei sich überlagernden Arien. Ich meine, im Opernsaal könnte ich die Stimmen besser auseinander dividieren und verstehen können wie aus den Boxen heraus. Da stößt zumindest meine Technik an die Grenzen.

Die Konversation von Faninal „Sind halt aso, die jungen Leut’!“ und der Feldmarschallin Antwort „Ja, ja.“ verdiente einen ausführlichen Vergleich von Inszenierungen, wie unterschiedlich das Wesen der Feldmarschallin durch dieses „Ja, ja.“ ausgestellt werden kann. Hier und heute ist es ein wissendes und zugleich souveränes „auch ich spiele groß auf, nicht nur die jungen Leut’“.

Da es in dieser Inszenierung um die Amok laufende Zeit geht, wird diese Klammer im Schlussduett geschlossen. Die Standuhr erscheint. Obenauf der Schicksalsengel. Was macht er? Er bricht der Uhr den großen Zeiger ab. Mit der Zeiten Amok ist jetzt Schluss. Das Liebespaar Sophie und Octavian fliegt über die Bühnenbreite. Ihre letzten Worte: „für alle Zeit und Ewigkeit!“ Das Schicksal hat entschieden!

Die Besetzung ist in seiner ganzen Tiefe hervorragend. Herauszustellen sind die großartigen Hauptfiguren, die allesamt stimmlich brillieren. Sie überzeugen schauspielerisch. Zugleich werden sie dank der hervorragenden Regie zu sehr pointierten Figuren stilisiert. Wunderbar.

Die Feldmarschallin Marlis Petersen als hellsichtige Frau, die sehr gut weiß, wie schnell junge Lover weiterziehen. Diese Feldmarschallin verharrt jedoch nicht in der Melancholie, ihr Zug sei abgefahren. Bei ihr und ihrem „Ja, ja.“ am Ende des dritten Aktes bin ich sicher, dass schon übermorgen der nächste Verehrer in ihrem Bett ihr an den Lippen klebt und ihr zur Füßen liegt. Beides zugleich ver-suchend. Die Hellsichtigkeit, ihre melancholische Ader und das Bewusstsein ihrer Macht, all das zeigt Marlis Petersen mit absoluter stimmlicher Präsenz und ebenso schauspielerisch. Sie ist eine Wucht.

Der Baron Ochs auf Lerchenau mimt Christof Fischesser als opulent präsentes lust- und geldgieriges hochnäsiges egozentrisches Ekel, das am Ende sein Fett abbekommt. Er hat stets starke Widerparts. Im ersten Akt das verliebte Paar. Im zweiten das sich verliebende Paar. Im dritten den Kommissar und die ihre Macht stimmlich wie spielerisch eindrucksvoll beweisende Feldmarschallin.

Es gibt Aufführungen, da überstrahlt der Ochs die anderen Rollen. Hier ist das nicht so, denn die Rolle ist eingepasst in die Opernhandlung. Am Ast des Warmluft blasenden Hochnäsigen wird schauspielerisch wie sängerisch permanent gesägt. Im ersten Akt der forsche Kavalier, zieht er sich im zweiten in die Rolle des Verletzten zurück, um im dritten vollends die Handlungskontrolle zu verlieren, prägnant dargestellt im Verlust seines Toupets. Diese Aktivitätenverschiebung verspüre ich in Christof Fischessers Rolleninterpretation prägnant. Seine Stimme bringt er gemäß der angelegten Rollenveränderung toll und sehr differenziert ein.

Samantha Hankey als Octavian spielt und materialisiert die Zeit, die im Vorspiel bildlich Amok läuft. Die drei Akte verstehe ich als drei Entwicklungsschritte Octavians. Barrie Koskys Inszenierung macht sie deutlich: im ersten der vor Liebe blinde „Bub“. Er ist ein Liebesspielzeug, ganz in der Hand der Feldmarschallin. Sein mehrfach vorgetragener Besitzanspruch ist männliche Plattitüde, die in keinem Moment der Autorität der Feldmarschallin standhält. Im zweiten emanzipiert er sich. Handelt aktiv. Nach eigenem moralischen und emotionalen Kompass. Intelligent und schlau dazu, schmiert er doch Lerchenaus Vertraute Valzacchi und Annina, um Lerchenau in die Falle eines Rendezvous mit Mariandel zu locken und so die Heirat mit Sophie zu verhindern. Im dritten Akt muss er sich entscheiden zwischen zwei Frauen. Eine Entscheidung hat meist und umfassend mit Verlust zu tun. Sophie bringt das in den drei parallel gesungenen Arien der drei Figuren Feldmarschallin, Octavian und Sophie gegen Ende des dritten Aktes in ihrem Part auf den Punkt:
„Ich möcht’ mich niederknien dort vor der Frau und möcht’ ihr was antun, denn ich spür’, sie gibt mir ihn und nimmt mir was von ihm zugleich. Weiss gar nicht, wie mir ist! Möcht’ alles verstehen und möcht’ auch nichts verstehen. Möcht’ fragen und nicht fragen, wird mir heiss und kalt. Und spür’ nur dich und weiss nur eins: dich hab’ ich lieb.“

So fies ist das Schicksal, auch mit den weißen Flügeln. Aber nur kurz, denn es ist eine Komödie, die gut ausgeht: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein, beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit!“

Samantha Hankey überzeugt mich stimmlich in jedem Ton. Besonders gut gefällt sie mir im zweiten Akt, wenn sie der Liebe anheimfallend zu Sophie singt.

Die Sophie Katharina Konradis ist nicht grün hinter den Ohren, vielmehr wach, alert, intelligent, empathisch und realistisch. Diese alerte Wachheit zeigt sie in Spiel und Stimme. Sie weiß, nur durch einen Mann wird sie „etwas“. Ein Mann dagegen ist allein schon was. Doch gegen die Unsäglichkeit der Partie Lerchenau stemmt sie sich entgegen mit allem was sie hat. Sie findet in Octavian nicht nur den Geliebten, sondern auch einen streitbaren Retter, dessen Herz sie im Sturm erobert. Mein ganzes Herz und Ohr erzwingt sie sich stimmlich im Liebesduett mit Octavian im zweiten Akt.

Vladimir Jurowski leitet souverän das Bayerische Staatsorchester. Er präsentiert die Singstimmen wunderbar, die Musik trägt die Stimmen zu mir. Sein Dirigat empfinde ich als differenziert und feinfühlig. Wegen Corona wird die Fassung für kleineres Orchester von Eberhard Kloke genutzt. Gern möchte ich diese Fassung vor Ort im Nationaltheater hören! Und wäre ganz gespannt und erpicht auf die Gegenprobe, wie der zukünftige musikalische Opernhauschef mit großem Orchester agiert. Ich hoffe, es wird bald so weit sein.

Diese Inszenierung ist eine sehr gute Komödie. Sie vergnügt und unterhält mich. An manchen Stellen und gerade am Ende lässt sie mich die Abgründe spüren, die nur einen Handbreit weit neben Heiterkeit und Glück stehen. Gerade so wenig weit weg, dass ich die gewonnene Glückseligkeit dieser Aufführung im Augenblick hoch schätze. Eine Aufführung, die mich in allem, den Sängern und Sängerinnen, dem Chor, dem Orchester und seines Dirigenten und der Inszenierung und Regie überzeugt.

Der erste Akt ist für mich überwältigend. Die Pause kommt für mich zur Unzeit. Denn ich wickele mich selbst in Euphorie. Die ich verwandele in unverschämte Erwartung an die kommenden Akte. Sie werden erfüllt! Mein emotionales Problem dabei: sie werden nur erfüllt, nicht übertroffen. Rational ist mir klar: wie denn auch? Doch diesen Wunsch eines alles erfüllenden Strauss’schen Opernhimmels kann ich nicht zähmen in mir.

Eine spannende für mich nachvollziehbare Überlegung bringt ein Freund von mir ins Spiel: diese Inszenierung offenbart, dass diese Oper selbst aus der Zeit gefallen ist. Musikalisch wird Strauss wieder tonaler, zuckt zurück vor der in seinem musikalischem Schaffen Raum greifenden Atonalität. Die Handlung ist widersprüchliche Reminiszenz zwischen burleskem Wiener Walzer, absolutistischer Cinderella-Glitzerkutschen-Märchenwelt, antiker mythologischer Sagenwelt und psychologisierender Feldmarschallin.

Lieber Herr Schicksalsengel, gib mir heute Nacht einen Traum: wie ich diese Inszenierung im dunklen Zuschauerhalbrund mit 1999 Mitzuschauern und Mitzuschauerinnen im Nationaltheater in München intensiv erlebe und genieße. Bravi tutti.

Frank Heublein, 22. März 2021, für
klassik-begeistert.de oder klassik-begeistert.at

Programm

Richard Strauss, Der Rosenkavalier

 

Besetzung

 

Die Feldmarschallin Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau Christof Fischesser

Octavian Samantha Hankey

Herr von Faninal Johannes Martin Kränzle

Sophie Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin Daniela Köhler

Valzacchi Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina Ursula Hesse von den Steinen

Ein Polizeikommissar Martin Snell

Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin Manuel Günther

Der Haushofmeister bei Faninal Caspar Singh

Ein Notar Christian Rieger

Ein Wirt Manuel Günther

Ein Sänger Galeano Salas

Adelige Waise Juliana Zara

Adelige Waise Sarah Gilford

Adelige Waise Daria Proszek

Eine Modistin Eliza Boom

Ein Tierhändler George Vîrban

Kinder Eliza Boom, Sarah Gilford, Daria Proszek, Juliana Zara, George Vîrban

Bayerisches Staatsorchester

Chor der Bayerischen Staatsoper

Barrie Koskys „Rosenkavalier“ in München: Würdig!

Nationaltheater München, Bayerische Staatsoper, Livestream vom 21. März 2021
Richard Strauss, Der Rosenkavalier

Marlis Petersen (Feldmarschallin), Foto: W. Hösl (c)

von Peter Sommeregger

Die Münchner Rosenkavalier-Inszenierung von Otto Schenk in den wunderbaren Bühnenbildern von Jürgen Rose, die bereits 1972 ihre Premiere hatte, war eine Ikone des Repertoires. Aber nach nahezu 50 Jahren schien eine Neuinszenierung unvermeidlich. Angesichts einer inzwischen völlig veränderten Theaterästhetik befürchteten nicht Wenige, einen wenig ansprechenden Ersatz für die so geschätzte Produktion zu erhalten.

Nach dieser bemerkenswerten, im Livestream gezeigten Premiere kann man Entwarnung auf der ganzen Linie geben. Der Regisseur Barrie Kosky ist viel zu klug um zu meinen, man könne diese Oper ganz ohne Anklänge an die Barockzeit auf die Bühne bringen. Er stellt eine kluge Synthese aus optischen Zitaten des Barock und zeitlos moderner Bildersprache her. Im ersten Akt ist das Schlafzimmer der Marschallin nur angedeutet, wir erleben einen nicht wirklich definierten Raum, in dem immer wieder ein geflügelter Greis, Chronos, auftaucht, der als Symbol der Zeit in allen drei Akten auftaucht.

Der gesamte erste Akt schimmert silbern, nur beim Auftritt des Sängers mit seiner barocken Prunkarie wird für einen Augenblick strahlendes Gold des Hochbarock eingesetzt. Die Arie wird so geschickt als anachronistischer Einschub gekennzeichnet.

Besonders tapfer mussten die Münchner beim Bühnenbild des 2. Aktes sein. Jürgen Roses perfekter Nachbau der Amalienburg ist nun ein Raum mit unzähligen Gemälden in „Petersburger Hängung“. Das ist zwar ein wenig nüchtern, gibt aber der Personenregie mehr Raum. Hier wird das barocke Element durch die  Kutsche eingeführt, in der Octavian seinen Auftritt hat.

Das Extrazimmer des Wiener Beisels im dritten Akt ist betont nüchtern gehalten, der Zuschauer sieht zu Beginn, dass der scheinbar abgeschlossene Raum nur durch einen Vorhang von einem Zuschauerraum getrennt ist. Ohne es zu wissen, agiert Ochs auf einer Bühne, was erst gegen Ende offenbar wird.

Kosky versteht es, aus den handelnden Figuren komplexe, glaubwürdige Charaktere zu formen, die aus Fleisch und Blut sind. Allen voran die Marschallin Marlis Petersens, die bereits bei ihrem Rollendebüt eine souveräne reife Frau verkörpert, die nicht sentimental, sondern nur nachdenklich ist. Stimmlich bleibt bei ihr kein Wunsch offen. Ob im Parlando oder den großen Bögen ist die Stimme in allen Registern sicher und Petersen kann ihr schönes, lyrisches Timbre entfalten. Dazu kommt eine Textverständlichkeit, wie man sie selten erlebt.

Gespannt war man auf die Newcomerin Samantha Hankey, auch sie eine Rollendebütantin. Sie bringt genau jenes androgyne Flair für diese Rolle mit, außerdem einen warmen, leicht anspringenden Mezzosopran, der sauber intoniert und sich mit den Stimmen der Partnerinnen perfekt mischt. Auch Katharina Konradi, ein neuer Stern am Opernhimmel, überzeugt auf der ganzen Linie. Die extrem hohe Lage der Partie der Sophie bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten. Auch ihre Mittellage ist kräftig und sicher, ihr Timbre ansprechend und gut kompatibel mit dem des Octavian.

Christof Fischesser legt seinen Ochs erfreulicherweise nicht als Lustgreis oder Proleten an, sondern lässt immer noch Rudimente seiner adeligen Herkunft erkennen. Stimmlich wirkt er souverän, die endlich einmal nicht gestrichene Erzählung von seinen erotischen Eroberungen wird zu einem Höhepunkt des ersten Aktes. Seine große Szene im Finale des zweiten Aktes singt er mit weichem, sonoren Bass von großer Flexibilität.

Eine glänzende Charakterstudie stellt Johannes Martin Kränzle mit seinem Neureichen Faninal auf die Bühne. Der Sänger von Galeano Salas muss sich rollenbedingt auf reinen Gesang reduzieren, das allerdings mit ausgesprochen schönem, höhensicherem Tenor. Ursula Hesse von den Steinen und Wolfgang Ablinger Sperrhacke als Intrigantenpaar können sich in ihren Rollen durchaus profilieren.

Gespielt wurde die Oper in einer Fassung für kleineres Orchester von Eberhard Kloke. Erstaunlich, wie viele reizvolle Details der Partitur in dieser reduzierten Version auf einmal hörbar werden. Die vorbildliche Treansparenz des Klanges war aber mit Sicherheit das Verdienst Vladimir Jurowskis, der sich mit dieser Premiere an seinem zukünftigen Haus als Strauss-Dirigent bestens empfahl.

Barrie Kosky ist mit diesem Rosenkavalier beinahe so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen: die barocke Verortung des Stücks wird nicht geleugnet, die Charaktere aber doch eher als Menschen des Hier und Heute gezeichnet. Otto Schenks Rosenkavalier hat einen würdigen Nachfolger gefunden!

Peter Sommeregger, 21. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung

Vladimir Jurowski

Inszenierung

Barrie Kosky

Bühne

Rufus Didwiszus

Kostüme

Victoria Behr

Die Feldmarschallin

Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau

Christof Fischesser

Octavian

Samantha Hankey

Herr von Faninal

Johannes Martin Kränzle

Sophie

Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin

Daniela Köhler

Valzacchi

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina

Ursula Hesse von den Steinen

 

 

Ewig könnte man Christian Gerhaher im "Lied von der Erde" zuhören

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 8. März 2021
Videostream: Montagsstück XVII: Das Lied von der Erde

© W. Hösl, Christian Gerhaher, Gerold Huber

Gustav Mahler: Das Lied von der Erde

  1. Satz: Das Trinklied vom Jammer der Erde. Allegro pesante
  2. Satz: Der Einsame im Herbst. Etwas schleichend. Ermüdet
  3. Satz: Von der Jugend. Behaglich heiter
  4. Satz: Von der Schönheit. Comodo. Dolcissimo
  5. Satz: Der Trunkene im Frühling. Allegro. Keck aber nicht zu schnell
  6. Satz: Der Abschied. Schwer

Tenor Klaus Florian Vogt
Bariton Christian Gerhaher
Pianist Gerold Huber

von Frank Heublein

So kenne ich das Lied von der Erde noch nicht. Mahler selbst zeichnet für diese Klavierfassung verantwortlich. Ich bin gespannt. Das Klavier begleitet in den Sätzen abwechselnd in diesem Fall einen Tenor und einen Bariton. Der Part des Baritons kann auch durch eine Altstimme interpretiert werden.

Der ersten Satz „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ ist musikalisch überschrieben mit „Allegro pesante“. Drängend, forsch, gejagt und sehr aktiv empfinde ich Klaus Florian Vogts Stimme. Dunkel kulminierend in der Liedzeile „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“. Am Ende ist seine Stimme in den Höhen stark gefordert. „Gustav Mahler, Das Lied von der Erde, Klaus Florian Vogt, Christian Gerhaher
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 8. März 2021“
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Cecil Hotel in München: Kreativ. Spektakulär. Tatort live. Fantastisch!

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 1. März 2021
Videostream: Montagsstück XVI: Cecil Hotel

Tänzer: Ksenia Ryzhkova, Jonah Cook. Foto: © Wilfried Hösl

von Frank Heublein

Zuerst eine notwendige Information, was es mit dem Cecil Hotel auf sich hat. Das Gebäude, dass das Cecil Hotel beherbergt hat (es heißt mittlerweile Stay on Main), steht in Los Angeles. Das Hotel eröffnete 1924 und wurde schnell umfunktioniert zu einem Ort der billigen dauerhaften Unterkunft. Zwei Serienmörder, die auch im Ballett als Rolle besetzt sind, wohnten dort. Richard Ramírez, der „Night Stalker“, wohnte in den Jahren 1984/85 im 14. Stockwerk des Cecil und war in dieser Zeit für 14 Morde und elf Vergewaltigungen verantwortlich. 1991 stieg der Österreicher Jack Unterweger im Hotel ab, wo er drei Prostituierte ermordete. Jeweils ein Mord dieser beiden Täter ist Teil der Inszenierung.

Im Februar 2013 wurde der Leichnam der bipolaren Studentin Elisa Lam in den Wasserversorgungstanks auf dem Dach des Hotels entdeckt. Auch sie ist Teil der Inszenierung. „Videostream: Montagsstück XVI: Cecil Hotel
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 1. März 2021“
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Lise Davidsens Stimme: ein ganzes Universum in 15 Minuten. Sensationell!

Lise Davidsen (Sopran), Foto: © Wilfried Hösl

„Die Kamera schwenkt. Noch mehr Kerzenständer. Lise Davidsen im rubinroten Kleid. Egal wie stark mich die Kerzen irritiert haben, Lise Davidsen sorgt dafür, dass ich ab ihrem ersten Ton alles um sie herum außer ihrer Stimme vergesse.“

Rezension des Videostreams:
Montagsstück XV: Der gestirnte Himmel

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 22. Februar 2021

von Frank Heublein

Dies ist heute ein kompletter Beethoven-Abend.

Ein romantisiertes Setup, bläulich gedämpftes Licht, mit fünf, sechs Kerzenleuchtern. Dort hinein werde ich geworfen, denn sofort setzt das Klavier ein. Ich empfinde diese Umgebung als unpassend für die irischen und schottischen Volkslieder, die zu Beginn auf dem Programm stehen. Es irritiert mich bis zur Ablenkung. Denn romantisch sehe ich weder Beethoven noch das Programm. „Montagsstück XV: Der gestirnte Himmel,
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 22. Februar 2021“
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Alert, spannungsgeladen und so agil wie ihr Dirigent spielt das Bayerische Staatsorchester

Ein bewegender Aufbruch ins Neue: zwei erste Symphonien

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 20. Februar 2021
Videostream: 4. Akademiekonzert

Akademiekonzert: Kirill Petrenko. Foto: W. Hösl ©

Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Bayerisches Staatsorchester

von Frank Heublein

Kirill Petrenko am Pult. Er lächelt, wirkt entspannt. Agil legt er los. Jedes Mal, immer! wenn ich den Anfang von Beethovens erster Symphonie höre, werde ich überrascht vom Beginn. Eine Art Fingerzeig: „Jetzt aufgepasst!“. Alert, spannungsgeladen und so agil wie ihr Dirigent spielt das Bayerische Staatsorchester. Vom ersten Takt an.

Melodiebogen vom Holz getragen, mal die Flöte, mal die Oboe, werden mir zu Spannungselementen. Diese werden von den Streichern und dem gesamten Orchesterkorpus übernommen. Der erste Satz  beschwingt mich wie ein Schwungrad, sagt mir: „Spring in die Welt hinein!“, macht Spaß und löst große Freude aus. „Kirill Petrenko, Bayerisches Staatsorchester, 4. Akademiekonzert
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 20. Februar 2021“
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Die Bayerische Staatsoper glänzt (wie jeden Montag) mit einer wunderbaren Fusion aus Sprechkunst, Musik und Tanz

Ariel Merkuri, Carollina Bastos, Foto: © Wilfried Hösl

„Welch toller Abend! Welch wunderbare Fusion der Künste.“

Rezension des Videostreams
Montagsstück XIV: Die Geschichte vom Soldaten (Igor Strawinsky)

Bayerische Staatsoper, München,
Live-Stream am 15. Februar 2021

von Frank Heublein

Es beginnt mit einer blass-sepiafarbenen Reise durch die leeren Straßen Münchens. Diese Fahrt bleibt stetiger bröckeliger Hintergrund der Aufführung, da ins Zuschauerrund des Nationaltheaters projeziert. Ausdruck des Wanderns? So jedenfalls beginnt die Geschichte vom wandernden Soldaten. Sprechspielerin Dagmar Manzel spricht im Rhythmus der marschierenden Musik: der wandernde Soldat. „Montagsstück XIV: Die Geschichte vom Soldaten (Igor Strawinsky),
Bayerische Staatsoper, 15. Februar 2021“
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Tcherniakovs „Freischütz“ in München: Große Musik und Oper in einer Inszenierung, die man kein zweites Mal sehen will

Eindeutig siegreich geht Golda Schultz durchs Ziel. Ihr schön timbrierter lyrischer Sopran verfügt über schöne Farben, technisch wird die Stimme gut geführt, auch ihre Diktion ist sauber und sie bildet mit dem Max von Pavel Černoch ein gut ausgewogenes Paar. 

Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 13. Februar 2021
Carl Maria von Weber: Der Freischütz

Foto: W. Hösl ©: Ännchen: Anna Prohaska (li.) und Agathe: Golda Schultz

Kuno: Bálint Szabó
Agathe: Golda Schultz
Ännchen: Anna Prohaska
Kaspar: Kyle Ketelsen
Max: Pavel Černoch
Ein Eremit: Tareq Nazmi
Kilian: Milan Siljanov

Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Dirigent: Antonello Manacorda

von Peter Sommeregger

Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass der russische Star-Regisseur Dmitri Tcherniakov Webers „Freischütz“ auch nur annähernd konventionell inszenieren würde. Schon im Vorfeld der Premiere hatte der Regisseur verlauten lassen, die mit dem „Freischütz“, dieser deutschen Nationaloper, verbundenen Traditionen würden für ihn keine Rolle spielen. Das könnte zu einem erfrischenden Ansatz führen, aber leider stellt sich heraus, dass der Regisseur mit diesem Werk grundsätzlich nichts anfangen kann. Heutzutage ja die beste Voraussetzung dafür, es trotzdem auf die Bühne zu bringen. Das Konzept, das Tcherniakov entwickelt, ist durchaus nicht ohne Reiz, trotzdem aber zum Scheitern verurteilt. „Carl Maria von Weber: Der Freischütz
Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 13. Februar 2021“
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München: Zerrissen, verzweifelt, doch am Ende siegt die Liebe

Fest, konzentriert, stimmlich sicher, auch im Ausdruck der Unsicherheit gerade heraus singt Pavol Breslik. So wie ein bodenständiger Bauersmann eben ist, der das Herz am rechten Fleck hat und Hirn dazu. Ein bleibender Eindruck.

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 8. Februar 2021

Rezension des Videostreams: Montagsstück XIII – Leoš Janáček: Zápisník zmizelého – Tagebuch eines Verschollenen, JW V/12

Foto: Pavol Breslik / facebook.com (c)

Tenor Pavol Breslik
Mezzosopran Daria Proszek

von Frank Heublein

Dieses Tagebuch eines Verschollenen besteht aus 22 kleinen Gedichten, die Leoš Janáček 1917-1919 vertonte. Die Vertonung hat einen starken persönlichen Aspekt. Er verliebte sich im Alter von 62 in die 26 Jahre junge Kamila Stösslová. Bei dem in einer Zeitung veröffentlichten Text und seiner Vertonung, so schreibt er in einem Brief, dachte er stets an sie.

Jan, ein Bauerssohn, trifft eine Zigeunerin. Er singt „blieb mir so im Kopf zurück / wohl Nacht und Tag lang“. Gedankenvoll und gleichzeitig gedankenverloren sitzt Tenor Pavol Breslik als Jan an einem Tisch, ein unauffälliges Grünzeug auf der Tischdecke stehend. Denn die junge Frau verfolgt ihn in seinen Gedanken, Jan tigert hin und her. „Leoš Janácek, Zápisník zmizelého – Tagebuch eines Verschollenen, Pavol Breslik, Daria Proszek
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 8. Februar 2021“
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