Víkingur Ólafsson führt meditativ durch Bachs Goldberg-Variationen

Víkingur Ólafsson © Ari Magg

Alle Wiederholungen – das bedeutet bei den Goldberg-Variationen: Sitzfleisch ist notwendig. Nach knapp 1 Stunde und 25 Minuten setzt Víkingur Ólafsson den Schlusspunkt. Das Publikum zollt tiefsten Respekt. Standing Ovations im Großen Saal des Wiener Konzerthauses, das bis zum letzten Platz ausverkauft ist. Zum zweiten Mal innerhalb zweier Tage. Bereits am Vorabend hatte der isländische Pianist das Haus gefüllt. Aufgrund der großen Nachfrage hatten die Verantwortlichen vor wenigen Wochen einen Folgetermin angesetzt – Resultat: beide Abende ausverkauft!

Goldberg-Variationen, Johann Sebastian Bach

Víkingur Ólafsson, Pianist

Wiener Konzerthaus, 4. November 2023

von Jürgen Pathy

Wer das schafft, muss was drauf haben. Víkingur Ólafsson heißt der Kerl. Wo seine Wurzeln liegen, ist bei diesem Namen ebenso nicht zu verheimlichen. Aus dem hohen Norden, aus Reykjavík, der isländischen Hauptstadt, stammt der Pianist, der meine Wege bislang nicht gekreuzt hat. 39 Jahre alt, schlank, Hornbrille, Anzug in einer Farbe. Für Blau hat er sich an diesem Abend entschieden, in Grün war er am Vorabend aufgetreten. Die Optik: Unscheinbar, a little bit Dandy, mit Hang zum Buchhalter. Als Jurist würde er optisch definitiv ein gutes Bild abgeben. Musikalisch wirkt er ähnlich. „Goldberg-Variationen, Johann Sebastian Bach, Víkingur Ólafsson, Pianist
Wiener Konzerthaus, 4. November 2023“
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Ein Blick, bei dem selbst Beethoven spürt: Jaap van Zweden treibt die Wiener Symphoniker voran

Jaap van Zweeden © Brad Trent

Lasst die Spiele beginnen. Das könnte sich Ludwig van Beethoven durchaus gedacht haben, als er über seiner so berühmten fünften Sinfonie gebrütet hat. Prestissimo, äußerst wild und rasant glühen da die Streicher durch den vierten und letzten Satz. Allegro, so die Satzbezeichnung, aber im Inneren der Sinfonie wenig Spur davon. Wie Rennpferde hetzen da die Damen und Herren an den Streichern der Wiener Symphoniker durch diesen Irrsinn.

Richard Wagner
Ouverture zu »Die Meistersinger von Nürnberg« (1862–1867)

Benjamin Britten
Konzert für Violine und Orchester d-moll op. 15 (1939)

***
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 (1804–1808)

Simone Lamsma, Violine
Jaap van Zweden, Dirigent
Wiener Symphoniker

Wiener Konzerthaus, 22. Oktober 2023

von Jürgen Pathy

Der Sieger an diesem Abend: Der junge Herr am ersten Pult der zweiten Geigen – dynamisch, wild und mit schier endloser Motivation gesegnet. Neben den ersten Geigen sitzt der an diesem Abend übrigens. Nennt sich „Amerikanische Aufstellung“; Bratschen also rechts vom Dirigenten, die zweiten Geigen neben den ersten, von wo aus sie direkt im Blickfeld des Zeichengebers sitzen. „Wiener Symphoniker / Lamsma / van Zweden
Wiener Konzerthaus, 22. Oktober 2023“
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Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra bescheren einen ergreifenden Abend mit Gustav Mahler

Als Franz Welser-Möst nach dem Ende der Sinfonie – erschöpft, aber sichtlich glücklich –  wieder auf das Podium kam, erhob sich das Publikum im Saal spontan, um dem Dirigenten und dem Orchester zu huldigen.  Ein bewegender Augenblick.

Wiener Konzerthaus, 18. Oktober 2023

Fotos: Cleveland Orchestra © Lukas Beck

Cleveland Orchestra

Franz Welser-Möst, Dirigent
Simon Keenlyside, Bariton


Gustav Mahler
Sechs ausgewählte Lieder

***

Symphonie Nr. 7 e-moll (1904–1905)

von Dr. Rudi Frühwirth

Das Konzert des Cleveland Orchestra unter der Leitung von Franz Welser-Möst ist ganz im Zeichen von Gustav Mahler gestanden. Der Abend begann mit sechs ausgewählten Liedern, gesungen von Simon Keenlyside. Aus Mahlers früher Schaffenszeit waren drei Lieder in der Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio zu hören, drei etwas spätere Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ in der von Mahler selbst besorgten Orchestrierung.

Im ersten Lied, dem „Frühlingsmorgen“ nach einem Text von Richard Leander (eigentlich Volkmann), werden Motive angesprochen, die später in Mahlers Schaffen immer wieder auftauchen, wie etwa der Lindenbaum in den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ oder das „Erwachen“ in der 2. Symphonie. Die Bearbeitung von Berio klingt gar nicht „mahlerisch“, offensichtlich ganz bewusst. Das nächste Lied, die „Ablösung im Sommer“ findet sich wieder in Mahlers 3. Symphonie, hier lehnt sich Berio erfreulicherweise eng an diese spätere Version an. Die „Revelge“ aus den Wunderhorn-Liedern besitzt in unseren von Kriegen überschatteten Tagen eine gespenstische Aktualität.

„Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst, Dirigent
Wiener Konzerthaus, 18. Oktober 2023“
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Franz Welser-Möst dirigiert Mahler 7 verhalten im Wiener Konzerthaus

Konzerthaus Wien, 18. Oktober 2023

Franz Welser-Möst, Cleveland Orchestra © Claudia Höhne

Cleveland Orchestra

Simon Keenlyside, Bariton
Franz Welser-Möst, Dirigent

Gustav Mahler

Frühlingsmorgen (Sechs frühe Lieder Nr. 3) (Bearbeitung für Bariton und Orchester: Luciano Berio) (1889 vor/1987)

Ablösung im Sommer (Fünf frühe Lieder Nr. 1) (Bearbeitung für Bariton und Orchester: Luciano Berio) (1892 vor/1986)

Revelge (Des Knaben Wunderhorn) (1899)

Urlicht (Des Knaben Wunderhorn) (1893)

Rheinlegendchen (Des Knaben Wunderhorn) (1893)

Hans und Grethe (Sechs frühe Lieder Nr. 1) (Bearbeitung für Bariton und Orchester: Luciano Berio) (1892/1986)

***

Symphonie Nr. 7 e-moll (1904–1905)

von Herbert Hiess

Da teils beunruhigende Meldungen über den Gesundheitszustand von Franz Welser-Möst die Runde machen, scheint die Zeit gegeben, innezuhalten und über den oberösterreichischen Stardirigenten nachzudenken.

Und wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren, hier in www.klassik-begeistert.de nach Franz Welser-Möst suchen, werden Sie anhand der vielen Reviews feststellen, dass doch manchmal „durchwachsene“ Wahrnehmungen festzustellen sind. Aber dazu später. „Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst
Konzerthaus Wien, 18. Oktober 2023“
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Ebenmaß und Übersicht: Rudolf Buchbinder überzeugt im Wiener Konzerthaus

Rudolf Buchbinder © Rita Newman

Klavierabend mit Rudolf Buchbinder

Rudolf Buchbinder, Klavier

Programm

Franz Schubert
Vier Impromptus D 935 (1827)

Ludwig van Beethoven
Sonate C-Dur op. 53 »Waldstein-Sonate« (1803–1804)

***

Frédéric Chopin
Sonate h-moll op. 58 (1844)

Wiener Konzerthaus, 1. Oktober 2023

von Kathrin Schuhmann

Wenn sich Rudolf Buchbinder die Ehre gibt, das Wiener Publikum mit einem Solo-Klavierabend zu verwöhnen, ist eines gewiss: Restplatzkarten für Kurzentschlossene gibt es an der Abendkassa sicher keine mehr.

Dementsprechend war auch am Sonntagabend der Große Saal des Wiener Konzerthauses bis auf den letzten Sitz belegt und dies, obwohl die üblichen Saalplätze bereits mit einem extra Kontingent an weiteren Plätzen auf der Orgelempore und der Bühne aufgestockt worden waren. Der Andrang verwundert nicht. Nicht nur der weltklassige Pianist wird das Publikum angelockt haben, sondern zudem das von diesem ausgewählte Programm, das mit drei großen romantischen Namen auftrumpfte: Schubert, Beethoven, Chopin. „Klavierabend Rudolf Buchbinder
Wiener Konzerthaus, 1. Oktober 2023“
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Magische Momente: Anna Netrebko, Yusif Eyvazov und Étienne Dupuis beseelen ihre Fans mit "La Traviata"

AN DIESEM SAMSTAGABEND IN DER ARENA DI VERONA!!!

Die Stimme dieser Frau entspannt. Ihre satte, frauliche Tiefe und ihre strahlende Höhe sind vom Piano bis zum Forte gleichermaßen stark; ihr Timbre ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es (fast) wie ein Mezzo klingt, ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen, ihre Phrasierungen sind traumhaft schön. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ihre Energie zum Glühen bringt.


Wiener Konzerthaus, 
6. September 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant)

Anna Netrebko
Yusif Eyvazov
Étienne Dupuis

Philharmonie Baden-Baden
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Michelangelo Mazza, musikalische Leitung

Foto © Vladimir Shirkov: Anna Netrebko und Yusif Eyvazov

von Andreas Schmidt

Es gibt im Leben eines Opern-, Stimmen- und Klassikliebhabers Momente, die magisch sind und die sich auf Ewigkeit in die Seele einbrennen. Es gibt aber wirklich nur ganz wenige Abende, die von einer so nachdrücklichen Intensität, von einer Strahl- und Leuchtkraft sowie Zauberhaftigkeit sind wie dieser Mittwochabend in Wien.

Auf dem Programm: „La Traviata“ von Giuseppe Verdi – einer divinen Jahrtausend-Oper voller phantastischer Melodien, in denen keine Note überflüssig ist.

Einer Oper voller feinfühliger Momente.

Magischer Momente. „Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant), Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Étienne Dupuis,
Wiener Konzerthaus, 6. September 2023“
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Von Geigenhimmel und Orchesterwalze – Die Wiener Symphoniker spielen auf

Vilde Frang © Sussie Ahlburg, EMI Classics

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, Sonntag, 25. Juni 2023

Wiener Symphoniker
Vilde Frang, Violine
Fabio Luisi, Dirigent

PROGRAMM

Edward Elgar
Konzert für Violine und Orchester h-moll op. 61

***

Franz Schmidt
Symphonie Nr. 2 Es-Dur

von Kathrin Schuhmann

Das Konzert für Violine und Orchester in h-moll, op. 61 (1909–1910) von Edward Elgar (1857–1934) ist unumstritten ein Meisterwerk der romantischen Konzertliteratur, das ebenso meisterhafte Interpreten und Interpretinnen verlangt, um seine Wirkungskraft in Gänze entfalten zu können. Sowohl die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Fabio Luisi als auch die norwegische Weltklasse-Solistin Vilde Frang demonstrierten im Matinee-Konzert vom 25. Juni im Großen Saal des Wiener Konzerthauses eindrücklich, dass sie über genau diese gefragten Ausnahme-Fertigkeiten verfügen und so überrascht es kaum, dass die Darbietung ein voller Erfolg wurde! „Wiener Symphoniker, Vilde Frang, Violine, Fabio Luisi, Dirigent
Wiener Konzerthaus, Sonntag, 25. Juni 2023“
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Christian Thielemann zeigt Teodor Currentzis, wo der Hammer hängt

Foto: Gustav Mahler, 1909

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 3 in d-moll

Konzert am 11. Juni 2023 im Wiener Konzerthaus:

Wiebke Lehmkuhl, Alt
Wiener Sängerknaben, Damen der Wiener Singakademie

Utopia
Dirigent: Teodor Currentzis


Konzert am 18. Juni 2023 im Musikverein Wien:

Christa Mayer, Alt

Wiener Sängerknaben, Damen des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde in Wein

Sächsische Staatskapelle Dresden
Dirigent: Christian Thielemann

von Herbert Hiess

Eigentlich kann einem Rezensenten nichts Besseres passieren, dass so eine Jahrhundertkonstellation eintritt, wo ein relativ selten gespielter Koloss wie Gustav Mahlers Symphonie Nr. 3 in d-moll im Abstand von genau einer Woche in 2 denkwürdigen Aufführungen präsentiert wird.

Und es zeigt auch, wie breit das Interpretationsspektrum ist, dass ein Werk stilistisch recht unterschiedlich zu hören ist und trotzdem solche tiefgehenden Eindrücke hinterlässt. „Gustav Mahler, Symphonie Nr. 3 in d-moll, Currentzis versus Thielemann
Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien“
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Pathys Stehplatz (35) – Abschied von Teodor Currentzis?

Teodor Currentzis © Gyunai Musaeva

Fast schon still ist es um ihn geworden. Nachdem die Aufregung um Teodor Currentzis bis vor kurzem noch groß war, ist mittlerweile zumindest etwas Ruhe eingekehrt. Der Grund des Aufruhrs ist bekannt: Der gebürtige Grieche bezieht öffentlich keine Stellung gegen den Ukrainekrieg. Sein eigens gegründetes Orchester musicAeterna mit Sitz in St. Petersburg wird von der VTB-Bank mitfinanziert. Der zweitgrößten russischen Bank, die auf der Sanktionsliste der EU steht. Der Preis, den Currentzis für sein Schweigen zahlt, ist hoch: Kaum ein namhafter Veranstalter bietet ihm noch die Bühne.

von Jürgen Pathy

Das Wiener Publikum steht hinter Currentzis

„Eine wahre Sternstunde“, hört man einige Stimmen. „Da wird sich der Thielemann aber warm anziehen müssen nächste Woche“. Überschwänglicher Jubel, kurz nachdem im Wiener Konzerthaus der letzte Ton verklungen ist. Currentzis hatte sich da mit Utopia, seinem neuen Orchester, in Mahlers Dritte verbissen. Ein Monstrum einer Symphonie, die von den Beteiligten alles abverlangt. Rund neunzig Minuten, sechs Sätze, davon der letzte schon so lang wie eine ganze Symphonie von Mozart oder Haydn. Das geht schon an die Substanz. Noch dazu, weil viele Musiker – wie bei Currentzis nicht unüblich – im Stehen agieren.

„Pathys Stehplatz (35) – Abschied von Teodor Currentzis?
klassik-begeistert.de, 18. Juni 2023“
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Blomstedt und Nielsen sind eine unschlagbare Kombination

Leonidas Kavakos © Marco Borggreve

Leonidas Kavakos, Violine
Wiener Philharmoniker

Herbert Blomstedt, Dirigent

Johannes Brahms: Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 77

Carl Nielsen: Symphonie Nr. 5 op. 50

Wiener Konzerthaus,  27. März 2023

von Herbert Hiess

Es ist eigentlich schon fast unstrittig, bei Herbert Blomstedt von einem Wunder zu sprechen. Der äußerst liebenswerte und sympathische Maestro wird heuer am 11. Juli bereits 96 Jahre (!) alt. Obwohl er schon körperlich etwas gebrechlich ist; wenn er auf seinem Drehsessel am Podium Platz nimmt, motiviert er die Musiker mit einer „Jugendlichkeit“, die ihresgleichen sucht. In Zeiten einer dirigentenmäßigen Inflation, wo jede oder jeder glaubt, das Stäbchen in die Hand nehmen zu müssen und doch wenig Erfreuliches liefert, ist Herbert Blomstedt sowieso eine Sensation. „Wiener Philharmoniker, Herbert Blomstedt, Leonidas Kavakos, Violine
Wiener Konzerthaus,  27. März 2023“
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