Jaap van Zweeden © Brad Trent
Lasst die Spiele beginnen. Das könnte sich Ludwig van Beethoven durchaus gedacht haben, als er über seiner so berühmten fünften Sinfonie gebrütet hat. Prestissimo, äußerst wild und rasant glühen da die Streicher durch den vierten und letzten Satz. Allegro, so die Satzbezeichnung, aber im Inneren der Sinfonie wenig Spur davon. Wie Rennpferde hetzen da die Damen und Herren an den Streichern der Wiener Symphoniker durch diesen Irrsinn.
Richard Wagner
Ouverture zu »Die Meistersinger von Nürnberg« (1862–1867)
Benjamin Britten
Konzert für Violine und Orchester d-moll op. 15 (1939)
***
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 (1804–1808)
Simone Lamsma, Violine
Jaap van Zweden, Dirigent
Wiener Symphoniker
Wiener Konzerthaus, 22. Oktober 2023
von Jürgen Pathy
Der Sieger an diesem Abend: Der junge Herr am ersten Pult der zweiten Geigen – dynamisch, wild und mit schier endloser Motivation gesegnet. Neben den ersten Geigen sitzt der an diesem Abend übrigens. Nennt sich „Amerikanische Aufstellung“; Bratschen also rechts vom Dirigenten, die zweiten Geigen neben den ersten, von wo aus sie direkt im Blickfeld des Zeichengebers sitzen.
Bei dessen Blicken wäre ich auch auf der Hut, da ja nicht zu spuren. Jaap van Zweden, physisch von kleiner Statur, vom Ausdruck und Blick ein Gigant. Wenig hatte ich bislang von ihm gehört. Bei der Gstaad Conducting Academy formt er seit Jahren den Dirigentennachwuchs. Zu den Topverdienern in der Branche hat er mal gezählt. Unsummen pro Jahr, jenseits der hohen sechsstelligen Summen und weit darüber hinaus sein angebliches Jahres-Salär. Die USA eben – ein großes Land, wo die Möglichkeiten noch immer schier ohne Grenzen sind. Bei den New Yorker Philharmonikern steht der gebürtige Amsterdamer seit 2015 als Chefdirigent am Pult.
Im Wiener Konzerthaus treibt er an diesem Sonntagabend nun die Wiener Symphoniker voran, im Eiltempo und mit viel Elan und Überzeugungskraft. Dass man da im Andante zeitweise ein wenig das Grazile vermisst – sei’s drum. Flockig leicht erheben sich zu Beginn des zweiten Satzes die Bratschen aus den unergründlichen Tiefen, die Ludwig van Beethoven da im 3/8 Takt notiert hat.
Ebenso tief, aber viel schmerzvoller, das Violinkonzert von Benjamin Britten. Sein einziges, das in d-Moll op. 15, das eine großgewachsene, junge Dame im giftgrünen Kleid sehr eindrucksvoll formt und in unendliche Weiten zieht. Wie ein lang anhaltender Schrei, der nicht mehr enden will – so klingt dieses Werk des britischen Komponisten, der sich den Schmerz vor allem in der Solostimme frei von der Leber komponiert hat. Simone Lamsma heißt das Sprachrohr. Eine Holländerin, gefühlt um die 1,90 groß, der Ausdruck auf ihrer „Mlynarski“-Stradivari nicht minder gering.
Von Schostakowitsch hat Britten da enorm viel abgekupfert, dem man das Werk auch durchaus zuschreiben könnte, würde man zuvor nicht den Tatsachen in der Konzertbroschüre auf die Spur gehen. Zur gleichen Zeit sind sie groß geworden, beide um die Mitte des letzten Jahrhunderts. Bei diesem Werk beinahe Hand in Hand vereint, wie bei einigen anderen auch.
Die reicht Jaap van Zweden den Konzertmeistern zum Ende dann ebenso resolut, wie er zuvor das Podest bestiegen hat. Blitzartig, bestimmend, aber – welch eine Geste – mit dem Handrücken nach unten. Zumindest von der Signalwirkung ein Zeichen der Demut, ansonsten sehr viel Präsenz und Dominanz. Anscheinend gerade noch im Rahmen, um bei den Musikern und Musikerinnen auf Gehör zu stoßen.
Berauschend wirken vor allem die Streicher bei Britten, bei Teilen des Andantes von Beethovens Fünfter und natürlich beim rasanten Endspurt derselben so weltberühmten Symphonie. Ein jedes Kleinkind – sei es noch so kulturfern aufgewachsen – kennt dieses durchgeknallte Anfangsmotiv. Da noch einen Überraschungseffekt zu setzen, ist vermutlich eine Herausforderung und nicht so unkompliziert, wie es scheint. Solide hat man das an diesem Abend gelöst.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der Ring des Nibelungen, Jaap van Zweden, Hong Kong Philharmonic Orchestra, 2018, CD-Besprechung
Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst, Dirigent Wiener Konzerthaus, 18. Oktober 2023
Klavierabend Rudolf Buchbinder Wiener Konzerthaus, 1. Oktober 2023