Silver Age: Dieses Album ist Gold wert

CD-Rezension: Daniil Trifonov, Werke von Prokofjew, Strawinsky und Skrjabin  klassik-begeistert.de, 3. Juni 2023

Daniil Trifonov glänzt in einem klug (und aufregend!) zusammengestellten Programm mit russischer Klaviermusik

Werke von Prokofjew, Strawinsky und Skrjabin

Deutsche Grammophon, DG 483 5331

von Brian Cooper, Bonn

Für Daniil Trifonov habe ich sogar mal fast einen ganzen Abend Liszt über mich ergehen lassen, 2015 in Mülheim an der Ruhr war das, vor ziemlich genau acht Jahren (im September desselben Jahres entstand in der Berliner Siemens-Villa die dazugehörige Aufnahme „Transcendental“ (DG 479 5529)), und es war weder die Dante-Sonate noch die h-Moll-Sonate dabei – also zwei der wenigen Stücke, die, zumindest nach Ansicht meines klavierbegeisterten französischen Freundes Benjamin, Liszt „presque audible“ („fast anhörbar“) machen, die er also gelten lässt.

Es war selbstredend ein beeindruckender Abend, an dem Trifonov auch Beethovens op. 111 spielte, aber wenn er irgendwo in der Nähe mit russischem Repertoire unterwegs ist, ist das für mich der eigentliche Pflichttermin, wie vor kurzem in Essen, wo er mit seinem Lehrer Sergei Babayan Rachmaninow spielte.

Klavier-Festival Ruhr, Daniil Trifonov, Klavier Sergei Babayan, Klavier  Essen, Philharmonie, 1. Mai 2023

 

Seit Mülheim sind etliche Jahre vergangen, Bart und Haare sind immens gewachsen, und der schon damals beeindruckende Künstler ist inzwischen Anfang 30. Zu seinem technisch ohnehin schon eindrucksvollen Klavierspiel kommt nun eine Reife, die einem bereits jetzt den Superlativ entlocken könnte, er sei ein legitimer Nachfolger Swjatoslaw Richters.

Nach seiner Einspielung aller vier Klavierkonzerte und Paganini-Variationen Rachmaninows mit dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin – inzwischen auch als Box Set erhältlich, und wer diese Konstellation live hören möchte, hat im November u.a. in Hamburg und Baden-Baden Gelegenheit dazu – beweist Trifonov nun mit seinem Doppelalbum „Silver Age“, dass er nach wie vor gerade im russischen Repertoire neue Maßstäbe setzt.

Das Programm ist nicht nur für alle Menschen, die russische (Klavier-)Musik lieben, von unschätzbarem Wert, um nicht platt zu sagen: ein Hammer; es ist auch klug zusammengestellt und enthält mitunter selten gespieltes bzw. aufgenommenes Repertoire, wie etwa Strawinskys Serenade in A, die ich – freimütig sei’s gestanden – bisher nicht kannte. Die Serenade wurde zwölf Jahre nach der Uraufführung des Sacre vollendet, ist also mitnichten ein Frühwerk.

Auf CD 1 folgt nach der Serenade pures Richter-Repertoire. Holterdipolter geht es in Prokofjews Sarkasmen op. 17 los, geistesverwandt mit den Visions fugitives; die Miniaturen sind so perkussiv, dass sie in Trifonovs Händen perfekt aufgehoben sind. Geheimnisvoll und magisch gelingt das Ende des letzten Stücks.

Prokofjews 8. Sonate, die letzte der drei „Kriegssonaten“, nimmt Trifonov mit großer Geste, spielt sie mit stupender Technik und – wichtiger noch – einer absolut schlüssigen und durchdachten Auffassung, die ihn für diese Musik prädestiniert. Für alle, die diese „Kriegssonaten“ lieben (wie das Wort in diesen Zeiten klingt!), kann es durchaus sein, dass der Geist Richters und Gilels’ derart über Trifonovs Interpretation schwebt, wie übrigens auch über der anschließenden Gavotte, die Richter ebenfalls eingespielt hat, dass man nur darüber staunen kann, wie formidabel hier die russische Klavierschule fortgeführt wird.

Denn durch gleich zwei seiner Lehrer(innen) ist Trifonov „(Ur-)Enkelschüler“ des sagenumwobenen Klavierpädagogen Heinrich Neuhaus. Und dieses Album erweist sich ohne Mühe als weiterer Meilenstein in der russischen Schule.

In Strawinskys Feuervogel, bzw. der von Guido Agosti arrangierten Suite der drei letzten Teile daraus (Teufelstanz – Wiegenlied – Finale), zaubert Trifonov ein weiteres Beispiel dafür hervor, wie man sich fragt, ob da wirklich nur einer am Flügel sitzt. Ich bin geneigt, gleich im Anschluss die Orchesterversion mit Leonard Bernstein und dem Israel Philharmonic aufzulegen: Gerade wegen des unfassbar breit und fett dargebotenen Finales zählt diese Aufnahme zu meinen Einspielungen für die einsame Insel.

In herrlich breitem Tempo beginnt auf CD 2 Prokofjews 2. Klavierkonzert, mit schönen solistischen Leitungen des Mariinsky-Orchesters unter Valery Gergiev. Trifonov demonstriert auch hier im Zusammenspiel mit dem Orchester eine überaus stringente Auffassung des Werks. Die Kadenz im ersten Satz gelingt überwältigend. Klanglich sind Solist und Orchester nahezu perfekt aufeinander abgestimmt, so etwa im technisch äußerst anspruchsvollen Finale.

Strawinskys „Drei Sätze aus Petruschka“ folgen nun, und Trifonovs Einspielung ist eine von vielen sehr guten. Das soll mitnichten heißen, dass sie entbehrlich wäre. Im Gegenteil: Trifonov beweist auch hier ein Gespür für eine ganze Palette von Farben und Stimmungen, und besonders in den jahrmarkthaften Passagen des dritten Satzes lässt er den wunderbar disponierten Flügel so richtig krachen. Die Stelle, wo es nach der D-Dur-Orgie zum ersten Mal so richtig nach F-Dur geht (2:12), ist absolut hinreißend gespielt.

Auch Skrjabins Klavierkonzert fis-Moll op. 20, mit dem CD 2 schließt, wünschte man sich öfter im Konzertsaal und auf CD. Der Mann, der mit Aussagen wie „Ich bin Gott“ irritierte, schrieb sehr hörenswerte Musik. (An dieser Stelle seien die Gesamtaufnahmen der Sonaten von Igor Schukow empfohlen, früh bei Melodiya, spät bei Telos.) Das Klavierkonzert, das insbesondere im Finalsatz mit geradezu Chopin’schen Arabesken aufwartet, wurde, wie Prokofjews 2. Klavierkonzert, in St. Petersburg aufgenommen. Diese Aufnahme ist vielleicht das Highlight von vielen dieses Doppel-Albums. Sinnlich-schwelgerisch im Orchester, perlend der Klavierton Trifonovs, ist diese Aufnahme eine der herausragenden unter den insgesamt zu seltenen. Interessant, wie lange Trifonov den Fis-Dur-Akkord zum Schluss verhallen lässt.

Bleibt die Frage, wie Sammlerinnen und Sammler dieses Album in ihren CD-Fundus einsortieren. Unter Skrjabin, damit man das Klavierkonzert sofort findet, oder doch lieber unter einem der beiden anderen Komponisten? Bei mir ist’s unter Trifonov zu finden, also in der Interpreten-Abteilung. Und auch das ist ein großes Kompliment: Daniil Trifonov ist der Swjatoslaw Richter unserer Tage. Silver Age ist Gold wert, man wird es gern und oft hervornehmen und immer wieder auflegen.

Dr. Brian Cooper, 3. Juni 2023, für Klassik-begeistert.de.
Diese Rezension entstand dank eines Belegexemplars der Deutschen Grammophon.

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