Nicole Car, Juan Diego Flórez. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn ©
Nicole Car, Juan Diego Flórez. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
von Heinrich Schramm-Schiessl (onlinemerker.com)
Ein besonderes Glück hat die Wiener Staatsoper mit ihren Inszenierungen des „Faust“ seit 1955 ja nicht. Die erste Inszenierung 1963 durch Paul Hager – damals noch unter dem Titel „Margarethe“ – hatte einen ziemlichen Geruch nach Pappendeckel mit einer eher hilflosen Personen- und Chorführung. 1985 versuchte sich dann Ken Russell an dem Werk und konnte sich einige blasphemische Einlagen nicht verkneifen. Die Neuproduktion 2008 war ursprümglich Nicolas Joël anvertraut. Dieser musste jedoch krankheitshalber während der Proben aufgeben und die Arbeit wurde von seinem Assistenten fertiggestellt. Auch mit dieser Inszenierung wurde man nicht glücklich, da sie auch eine gewisse Hilflosigkeit ausstrahlte.
Die aktuelle Produktion wurde nicht für Wien erarbeitet sondern stammt wieder einmal aus der Einkaufstour des Direktors in der Opernboutique. Es ist die Stuttgarter Inszenierung von Frank Castorf, und bei ihm spielt das Stück natürlich nicht in einer deutschen Kleinstadt im Mittelalter, sondern verlegt es – laut Information der Staatsoper – in das Paris der Uraufführungszeit und verquickt es mit dem Paris um 1960, was man aber auch nicht merkt. Ich hätte einmal an einer Malaktion Valentins – auch das gibt es wieder einmal – bemerkt, es würde um die Zeit des Algerienkrieges spielen. Ist letztendlich egal, Logik war noch nie Castorfs Stärke. Hauptelement der Inszenierung sind wieder einmal Videos, ohne die es im Regietheater offenbar nicht mehr geht. Diese Videos zeigen einerseits das, was man ohnehin auf der Bühne sieht, bzw. sind Einspielungen von Aktionen innerhalb des Bühnenbildes oder Einspielungen aus Paris bzw. historische Filme. Grundsätzlich muss man sagen, dass diese Videos mittlerweile ziemlich nerven, denn im Theater möchte ich Aktionen auf der Bühne sehen, Videos schaue ich mir im Fernsehen an.
Natürlich erzählt Castorf nicht wirklich die Geschichte, sondern das, was er dafür hält. Da ist der alte Faust kein Gelehrter, der an sich selbst verzweifelt, sondern offenbar ein Unterstandsloser. Die Verwandlung findet derart statt, dass Mephisto ihm den schäbigen Mantel auszieht und er sich selbst die graue Perücke und den Bart abnimmt. Margarethe ist natürlich kein unschuldiges junges Mädchen – so etwas gibt es in der Gedankenwelt Castorfs ja nicht – sondern eine Hure, die mit ihrer Kollegin Marthe in ihrem Etablissement eine Opiumpfeife raucht. Siébel ist kein junger Student, sondern eine junge Frau, die offenbar in Margarethe verliebt ist – auch das muss heute dabei sein.
Mephisto ist tatsächlich ein Teufel, nur zu Beginn verkleidet, sonst deutlich als solcher erkennbar an Fellhose und Klumpfuss. Das ganze spielt, wie schon erwähnt, in Paris und hat der Bühnenbildner Aleksandar Denić auf einer Drehbühne eine 3D-Collage verschiedener Örtlichkeiten gebaut. Einige Szenen spielen an anderen Orten als im Libretto vorgesehen, so gibt es z.B. kein Gefängnis. Am Ende stirbt Margarethe übrigens nicht an Schwäche, sondern trinkt ein Glas Champagner offenbar mit Gift. Die Personenführung von Castorf ist nicht sonderlich ausgeprägt und mit dem Chor weiss er, wie fast alle Regietheaterregisseure , nichts anzufangen. Ebenso hält er natürlich nicht aus, wenn nur Musik ertönt. Diesmal wird allerdings nicht nur die Ouvertüre illustriert sondern zeitweise auch stückfremde Texte rezitiert. Die Kostüme von Adriana Braga-Peretzki waren ein bunter Mischmasch verschiedener Epochen. Aber was soll man sagen, wo Castorf draufsteht ist halt auch Castorf drin.
Martin Häßler, Peter Kellner, Adam Palka. Copyright:
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Zufriedener konnte man mit dem musikalischen Teil des Abends sein. Juan Diego Flórez ist im Zuge seiner Facherweiterung bei der französischen Oper wesentlich besser aufgehoben. Diese Werke kommen seiner Stimme viel mehr entgegen. Sein Faust war stimmlich von Beginn an ausgezeichnet, die Spitzentöne kamen alle sicher und auch sonst sang er wunderschöne Phrasen und zeigte große Präsenz. Ein guter Schauspieler wird er zwar nicht mehr werden, aber seine Rollengestaltung war zufriedenstellend. Nicole Car hat für die Margarethe fast schon eine zu dramatische Stimme, der vor allen Dingen in der Gartenszene, die hier natürlich nicht in einem Garten spielt, etwas die jugendliche Leichtigkeit fehlte. Dafür konnte sie dann in den dramatischen Momenten des vierten und fünften Aktes, speziell in der Kirchen- und der Schlussszene auftrumpfen. Die Höhen kamen sicher und waren nur manchmal etwas scharf. Adam Palka, mit der Inszenierung quasi aus Stuttgart mitgekommen, sang den Mephisto durchaus eindrucksvoll, auch wenn ihm leider die notwendige schwarze Dämonie fehlte. An frühere Interpreten dieser Rolle durfte man allerdings nicht denken. Étienne Dupuis liess als Valentin einen schönen Bariton hören, sang ein schönes Gebet und war durchaus eindrucksvoll in der Todesszene. Kate Lindsey sang eine(n) gute(n) Siébel und war darstellerisch bemüht. Monika Bohinec (Marthe) und Martin Häßler (Wagner) waren zufriedenstellend. Ausgezeichnet der von Thomas Lang einstudierte Chor.
Am Dirigentenpult stand Bertrand de Billy, der schon die letzte Premiere dirigierte. Er hat zur französischen Oper einen guten Zugang und leitete die Aufführung mit viel Schwung. Mit den dramatischen Stellen konnte man zufrieden sein, während in den lyrischen Passagen etwas mehr Feinarbeit wünschenswert gewesen wäre.
Am Schluss habe ich mich wieder einmal gefragt, warum ich, als jemand der Oper liebt, ansehen muss, was andere nur intessiert, weil es anders ist.
Heinrich Schramm-Schiessl, 30. April 2021
P.S.: In einer Fernsehserie spielte einmal eine Szene in der Oper und am Ende gibt es ein massives Buhkonzert für den Regisseur. Bei der Garderobe sieht man dann ein junges Paar, das von der Regie begeistert war und sagt: „Weisst Du, was mich eigentlich wirklich gestört hat, war die Musik“. An diese Szene musste ich gestern öfter denken.