Tritt den Sprachpanschern ordentlich auf die Füße! Gern auch unordentlich. Der Journalist und Sprachpurist Reinhard Berger wird unsere Kultur nicht retten, aber er hat einen Mordsspaß daran, „Wichtigtuer und Langweiler und Modesklaven vorzuführen“. Seine satirische Kolumne hat er „Der Schlauberger“ genannt.
von Reinhard Berger
Wenn eine Nachricht so anfängt, krieg’ ich Haarausfall. Hallo, ihr Schlaumeier: Ich weiß, dass im Dezember Weihnachten vor der Tür steht. Und ich weiß, dass im Dezember Winter ist. Also hört auf, mich mit solchem Geschwafel zu langweilen.
Wissen Sie, das macht mich fix und fertig. Diese ewigen Plattheiten, diese hohlen Allerweltsätze. Dieses endlose Gequatsche. Und das wird ja noch schöner, wenn wirklich mal Weihnachten vor der Tür oder sonstwo steht. Wenn es nur vor der Tür stünde und dort bleiben würde, dann wäre ja alles in Ordnung. Aber meistens kommt es rein, und zwar mit voller Wucht. Und deswegen habe ich beschlossen, mich dieses Jahr zu wehren. Und zwar mit dem Weihnachtsbaum. Das geht so: Ich werde meinen Weihnachtsbaum fotografieren und posten. Facebook, Instagram, WhatsApp, E-Mails, Homepage. Gnadenlos alles. Die ganze Palette. Denn: Alle müssen unbedingt meinen Weihnachtsbaum sehen, weil ich ja der einzige von 84 Millionen Deutschen bin, der einen Weihnachtsbaum hat. Deshalb: alle!
Ist Ihnen dieser Blödsinn eigentlich aufgefallen? Was jedes Jahr in den Netzwerken, sozialen oder unsozialen, passiert? Voriges Jahr habe ich allein in meiner Facebook-Chronik 67, siebenundsechzig, Weihnachtsbäume gezählt. Kurz vor dem 68. habe ich aufgehört und bin schreiend rausgerannt.
Es hat nichts genützt. Sie werden weitermachen. Da bin ich sicher. Diese langweiligen Nordmanntannen mit Kerzen und bunten Kugeln und allerlei Schnickschnack werden mich wieder überschwemmen. Und Sie auch. Das ist die Rache des Weihnachtsmannes. Eine andere Erklärung habe ich nicht dafür.
Das geht ja schon am Nikolaustag los. Kaum eine Nachricht ohne ein Video oder Bild vom – Achtung, originell! – Nikolaus. Meistens wird dieses optische Geschwafel von gewaltigen Worten begleitet: „Ich wünsche dir…“ Glauben Sie’s oder lassen Sie’s sein. Aber voriges Jahr an Heiligabend bekam ich 83 WhatsApp-Nachrichten, von den 95 Prozent so anfingen: „Ich wünsche dir…“
Nee, nee, nee, da hat keiner an mich gedacht, da wollte mir keiner was Gutes gut. Sie haben alle nur ihren Kalender und das Adressbuch im Smartphone abgearbeitet. Sonst nix.
Wundert sich da noch irgendjemand, wenn mir dieses ganze hohle Gewäsch Angst macht? Gut, Angst wäre vielleicht zu viel. Sorgen, das wäre besser. Sorgen, dass wir zu einer Schwafel-Gesellschaft mutiert sind. Da fällt mir immer dieser Satz von Christian Lindner ein: „Die Grundlagen unseres Erfolges sind die Innovationskraft, die Leistungsfreude und die Zukunftsorientierung.“ Heißt auf deutsch: „Ich wollte mal eben heiße Luft ablassen.“
Nun gut. Lieber als Sprechblase als auf natürlichem Weg.
Wenn ich Ihnen jetzt die gute Laune verdorben habe, dann habe ich mein Ziel erreicht. Weihnachten hat nichts mit guter Laune zu tun.
Ach ja, der guten Ordnung halber: Ich habe seit 20 Jahren keinen Weihnachtsbaum mehr. Ich denke auch nicht daran, mir einen zu kaufen.
So. Das wäre geschafft.
Bleiben’s xund.
Reinhard Berger, 19. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Zuerst erschienen in: HNA
PS: Ihnen ist hoffentlich aufgefallen, dass ich ohne die Reizworte CORONA und HERAUSFORDERUNG ausgekommen bin. Beinahe jedenfalls.
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Reinhard Berger
Allerleikeiten: Reinhard Berger, geboren 1951 in Kassel, Journalist, Buchautor, Hunde- und Hirnbesitzer.
Vergänglichkeiten: Vor dem Ruhestand leitender Redakteur der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA).
Herzlichkeiten: verheiratet, zwei Söhne, zwei Schwiegertöchter, drei Enkel, ein Rottweiler.
Anhänglichkeiten: Bach, Beethoven, Bergers Nanne (Ehefrau).
Auffälligkeiten: Vorliebe für Loriot, Nietzsche, Fußball, Steinwayflügel, Harley-Davidson.
Öffentlichkeiten: Schlauberger-Satireshow, Kleinkunstbühne.
Alltäglichkeiten: Lebt auf einem ehemaligen Bauernhof.
www.facebook.com/derschlauberger
Lieber Herr Kollege!
„Frohe Weihnachten!“ Was verstehen die Leute darunter? Der Wunsch erinnert an eine verwitternde Sandsteinfigur ohne Konturen. Deshalb stelle ich meine etwa fünfzig Weihnachtsbriefe jedes Jahr unter ein anderes Motto. Weihnachten ist ja so facettenreich! Zwei Leseproben:
2020: Weihnachten lädt ein die Menschwerdung Gottes durch uns erfahrbare Gestalt werden zu lassen.
2019: Gottes Geborensein verbindet alle Menschen mit Gott nicht nur als dem Schöpfer, sondern auch als dem Geborenen.
Lothar Schweitzer
Lieber Herr Schweitzer, vielen Dank für Ihre Reaktion. Und volle Zustimmung, was den christlichen Gedanken angeht. Der steht, auch für mich, über allem.
Nun geht es in meiner Kolumne nur um die Sprache, um unser wichtigstes Kommunikationsmittel. Es macht mir Spaß, Sprache zu entlarven und damit auch Rituale zu entlarven. Ihr Beispiel mit der Sandsteinfigur ist klasse. Genau das meine ich.
„Ein gesundes neues Jahr!“ Ich weiß nicht, was an einem Kalendervorgang gesund sein soll. Und: „Guten Rutsch!“ — Wenn ich gerade auf die Straße vor meinem Haus schaue, denke ich: Lieber nicht.
Floskeln sind leicht zu merken, tun keinem weh und treffen in ihrer Bedeutungslosigkeit auf viele Situationen zu. Deshalb mögen wir sie.
Von mir aus gern. Sonst gingen mir ja die Themen aus.
Bleiben Sie wachsam und mir gewogen.
Herzlichst
Reinhard Berger
Lieber Herr Berger!
Einen guten Rosch (jiddisch, verballhornt Rutsch) ha schana, also einen guten Kopf (Anfang, Start) des Jahrs wünscht Ihnen
Ihr Lothar Schweitzer