Foto: Maxim Schulz (c)
Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 26. September 2018
Georges Aperghis, Récitations pour voix seule
Igor Strawinsky, Apollon musagète
Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 („Jupiter“)
Donatienne Michel-Dansac, Sopran
Riccardo Minasi, Dirigent
Ensemble Resonanz
von Leonie Bünsch
Das Ensemble Resonanz läutet die neue Saison ein und beginnt den ersten Konzertabend auf ungewöhnliche Weise: die Musiker des Kammerorchesters marschieren geschlossen auf die Bühne, doch sie tragen ihre Instrumente nicht bei sich. Was wird hier gespielt?
Bevor der musikalische Teil des Abends beginnen kann, erhebt der Geschäftsführer Tobias Rempe – stellvertretend für das Orchester – die Stimme. Um die Stimme soll es in der neuen Saison gehen. Das ist jedoch nicht nur in musikalischer Hinsicht gemeint, sondern auch und – der feurigen Rede Rempes nach zu urteilen – vor allem politisch. In Deutschland würde eine Stimme an Macht gewinnen, welche die Grundwerte unserer Gesellschaft angreife und es sei Zeit, eine Stimme dagegen zu setzen. „Die Stimme des Widerspruchs ist noch zu leise“, sagt Rempe. Und plötzlich gewinnen die Musiker, die da geschlossen hinter ihm stehen, deutlich an Macht. Sie stehen nicht nur da, um das Publikum zu begrüßen, sie machen deutlich, wofür sie stehen und senden eine klare Botschaft. „Es ist uns unmöglich geworden, eine Saison zu eröffnen, ohne zu sagen, wofür wir stehen“, so Rempe, der für seine Worte von stürmischem Applaus unterbrochen wird. Ein ungewöhnlicher Einstieg in ein Konzert, aber ein deutliches Zeichen, das in heutigen Zeiten wirklich Respekt verdient!
Nachdem die Musiker wieder von dannen gezogen sind, wird es unruhiger im Publikum. Die Sekunden verstreichen, und das Warten auf den eigentlichen Konzertbeginn scheint länger und länger zu werden. Doch da – ganz leise vernimmt man eine Stimme. Nach und nach realisieren die Zuhörer, dass das Konzert längst begonnen hat. Donatienne Michel-Dansac steht ganz oben, versteckt in den Rängen des Großen Saals der Elbphilharmonie, und beginnt mit den „Récitations pour voix seule“ von Georges Aperghis. „Wo kommt die Stimme her?“, fragt man sich im Publikum – eine Frage, die hinsichtlich des übergeordneten Themas der Saison sicherlich forciert wurde.
Die Platzwahl von Michel-Dansac entpuppt sich als heikle Entscheidung. Der schwerhörige Teil des Publikums dürfte manche Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Ton zu hören. Das Stück von Aperghis, das vermeintlich alle Grenzen der Musik sprengt und mehr aus Lauten und Geräuschen denn aus Tönen besteht, ist ohnehin eine Herausforderung für jeden Hörer. Nachdem die erste der „Récitations“ vorüber ist, wird es langsam unruhig im Saal. Die ersten fangen an zu tuscheln, die zweiten verlassen noch mal den Saal, die nächsten zehn bis zwanzig holen ihr Programmheft wieder hervor und beginnen, darin zu stöbern. Offenbar ist die Aufmerksamkeitsspanne für eine Stimme, deren visuellen Ursprung man nicht wahrnehmen kann, äußerst kurz. Doch auch das dürfte ein Kerngedanke der Platzwahl gewesen sein.
Die sich ausbreitende Unruhe ist äußerst bedauerlich, geht dabei doch die Brillanz der Sängerin vollkommen unter. Diese meistert dieses technisch höchst anspruchsvolle Werk nämlich hervorragend! Die großen Intervallsprünge vollführt sie so schnell und präzise, dass es scheint, als würde sie über zwei Stimmen verfügen. Die Töne wirken zum Teil schier unmenschlich, und so führt Michel-Dansac deutlich vor Ohren, zu was die menschliche Stimme alles fähig ist. Wie glänzend diese Darbietung in das Programm des Ensemble Resonanz passt und wie unfassbar gut Michel-Dansac ihre Stimme im Griff hat! Doch die Geduld der Zuhörer hat ein Ende. So bricht noch vor Ende der Darbietung eine kleine Revolte aus, indem einzelne Zuhörer versuchen, den Vortrag durch penetrantes Klatschen abzubrechen. Beim eigentlichen Schlussapplaus ist ein Hauch von Enttäuschung auf dem Gesicht der Sopranistin unverkennbar. Hier hat sich nun – wohl eher ungeplant – die Stimme des Publikums erhoben.
Die Erleichterung wirkt umso größer, als das Ensemble Resonanz die Bühne betritt. Hier kommt endlich die „richtige“ Musik. Nun geht es um die Stimme von Igor Strawinsky, der mit seiner Ballettmusik „Apollon musagète“ seinerseits viel Kritik seitens des Publikums einstecken musste. Seine Rückbesinnung auf klare Strukturen im Sinne des Neoklassizismus stieß nach seinem „Sacre du printemps“ auf großes Unverständnis. Ein Urteil, welches das Ensemble Resonanz nicht unterschreibt. „Das Stück begleitet uns schon lange und wir lieben es heiß und innig“, sagt Konzertmeisterin Barbara Bultmann bei der Einführung. Und diese Liebe kann man spüren!
Auch wenn im Konzert mehr Ernsthaftigkeit herrscht als bei der „Hörstunde“ drei Tage zuvor im Resonanzraum in der Feldstraße, merkt man den Musikern nach wie vor die Freude am Musizieren an. Dieses dynamische, sympathische Orchester, in dem jeder seinen Raum hat, jeder seine eigene Stimme, bildet eine tolle Einheit. Die ersten Geigen spielen wie ein Instrument, zart wie schmelzende Schokolade ist ihr Klang. Durch die kammermusikalische Besetzung werden einzelne Elemente wunderschön herausgearbeitet, wie beispielsweise die Polyrhythmik in der Variation der Terpsichore, der Muse des Tanzes. Die präzisen Einsätze bei rhythmischen Überlagerungen oder nach Generalpausen zeigen, dass wir es hier mit einem Orchester der Extraklasse zu tun haben.
Angeführt werden sie heute von ihrem neuen Artist in Residence, Riccardo Minasi. Dieser sprüht vor Energie, hat seine Musiker mit seinen präzisen Bewegungen, ausladender Gestik und exakten Einsätzen voll im Griff.
Diese Begeisterung für die Sprache der Musik setzt sich nach der Pause mit Mozarts „Jupiter“-Sinfonie fort. Großartig arbeiten die Musiker auch hier dynamische Kontraste heraus. Es fließt eine unbeschreibliche Energie durch dieses Orchester, die einen unweigerlich fesselt. Minasi fängt im ersten Satz der Sinfonie an zu tanzen und man merkt, dass er die Musik mit jeder Faser seines Körpers spürt. Da kann einem schon einmal der Dirigierstab aus der Hand fliegen…
Minasi scheint mit jedem einzelnen Musiker in Kontakt zu sein. Den dritten Satz gestaltet er durch Tempovariationen und lässt ihn dadurch dynamisch fließen. Den vierten Satz, der durch die Vielzahl an Themen höchst komplex ist, gestaltet er durch nuancenreiches Spiel durchsichtig, ohne an Klangmasse zu verlieren. Nun ist Feuer im Orchester, und eine Klangwucht erfüllt den Saal. Eine mächtige Stimme erhebt sich hier! Das Ensemble Resonanz macht heute Abend überdeutlich, dass es etwas zu sagen hat.
Leonie Bünsch, 26. September 2018, für
klassik-begeistert.de