Bravi für "Carmen" in der Volksoper Wien

Georges Bizet, Carmen,  Volksoper Wien, 4. Januar 2020

Foto:Stepanka Pucalkova, Carmen © Johannes Ifkovits
Georges Bizet, Carmen, Volksoper Wien, 4. Januar 2020

von Karl Masek (onlinemerker.com)

Es war die 190. Vorstellung „nach  einer Inszenierung von Guy Joosten“ aus dem Jahr 1995 in der kargen Bühnenlandschaft von Johannes Leiacker. Sie hat mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel und war ein bewusster Gegenentwurf zu Franco Zeffirellis naturalistisch-opulentem Sevilla-Bühnenspektakel von 1978 in der Wiener Staatsoper.

In dieser Version wird Deutsch gesungen. Bringen wir also gleich einmal Negatives hinter uns. Die deutsche Übertragung des Librettos von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach Prosper Mèrimée stammt von Walter Felsenstein aus DDR-Vorvergangenheitszeiten. Damals hatte es ohne Zweifel seine Berechtigung, italienische, französische, russische, … Opernlibretti ins Deutsche zu übersetzen, weil man wollte, dass das Opernpublikum den Text auch verstehen kann. In Zeiten von Übertitelungsanlagen könnte man getrost zur  Originalsprache der jeweiligen Opern zurückgreifen. Auch  Georges Bizet hat selbstverständlich auf das französische Idiom hin komponiert. Jede Übersetzung klingt da fast zwangsläufig holprig. Auch Verdis Räuber („Il Masnadieri“) haben das vor wenigen Jahren im Haus am Währinger Gürtel schmerzlich bewiesen.


Und bei allem Respekt vor der großen künstlerischen Lebensleistung des Walter Felsenstein: In seiner Übersetzung gab es immer wieder Passagen, in denen es (wie es in einer Alt-Wiener Redewendung heißt) „einem die Schuhe auszog“…

Widmen wir uns also dem musikalischen Teil dieser Wiederaufnahme zu. Dirigentin dieser Neueinstudierung ist Anja Bihlmaier. Die Karriere der 41-Jährigen nimmt seit einigen Jahren volle Fahrt auf. 2021 wird sie Chefdirigentin des Residenzorchesters Den Haag. Als international freischaffende Dirigentin gibt es Gastdirigate in Schweden, England, Japan, Finnland, in dichter Folge. So manche Opernfreunde werden sich an „Rigoletto“ im Steinbruch  St Margarethen 2017 erinnern – und an der Volksoper debütierte sie vor genau 2 Jahren erfolgreich mit „Le Nozze di Figaro“. Mit „Carmen“ gab sie eine weitere Kostprobe ihres immensen kapellmeisterlichen Könnens.

Marco Di Sapia, Vincent Schirrmacher, Stepanka Pucalkova, Johanna Arrouas, Chor © Barbara Palffy

Das Orchester der Wiener Volksoper war hörbar begeistert, neben der Vielzahl an Operetten und noch mehr Musicals auch wieder Oper zu spielen. Eine Opéra comique zumal, wo es – wie bei Bizet – besonders auf klangliches Raffinement ankommt. Fein abschattiert, schlank, leichtfüßig, rhythmisch federnd war das Klangbild, niemals knallig oder „bamstig“.  Mit Genuss wurde da französisches Kolorit serviert, mit viel mediterran-andalusischem „Touch“ unterfüttert. Gleichermaßen apart wie sorgfältig musiziert wurden da etliche der wundersamen Soli (Flöten, Klarinetten, Fagott, Harfe,…). Nimmt man diesen Eindruck, so sind die Zeiten vorbei, in denen es aus dem Orchestergraben allzu oft zu laut dröhnte. Auf der Bühne musste nicht über Gebühr forciert werden. Beste Grundlagen für einen besonders schönen Opernabend also.

Seltsam, dass es auf der Bühne zwei Akte brauchte, bis die Vorstellung mit genug „roten Blutkörperchen“ angereichert war. Zu verhalten, zu vorsichtig klang da zu vieles. So als traute man der eigenen Courage und der Hausakustik nicht so recht. Bei 2 Hausdebüts und 6 Rollendebüts wird es gewiss genügend Probenzeit gegeben haben. Und es waren schöne Stimmen, die man zu hören bekam. Aber man setzte sie etwas anämisch ein. Sicher, man kann vieles in Bizets Meisterwerk chansonhaft angehen. Aber dramatische Zuspitzungen benötigen halt auch ordentlichen Punch…

Die 33-jährige Stepanka Pucalkova (Ensemblemitglied in der Semperoper Dresden) hatte mit der Carmen ihr Hausdebüt. Sie spielte ein cooles, arrogantes, letztlich beziehungsunfähiges noch ziemlich junges Mädchen. Sie war offensichtlich darauf bedacht, möglichst keine „Carmen“- Klischees mit Hüftschwung und röckeraffender Laszivität zu bedienen. Leidenschaften (die so schnell enden wie sie beginnen) verbirgt sie hinter dem Schutzmantel der Unnahbarkeit. Die Habanera ist eher ein chansonhafter „innerer Monolog“ als aufreizendes Statement für absolute Freiheit in der Liebe und im Leben. Ihr aparter Mezzosopran tendiert gut in die Höhenlage, Defizite gibt es aber, was die profunde Mittellage betrifft. Im 3. und 4. Akt ging sie endlich mehr aus sich heraus, die Todesszene gelang ihr schließlich beeindruckend.

Vincent Schirrmacher (RD) steigerte sich nach verkrampftem und stimmwackeligem Beginn zu einem packenden Rollenportrait. War die heikle Blumenarie erst einmal vorbei (gut bewältigt mit dem ihm eigenen Ausdrucksspektrum), gingen auch die Hochtöne viel schöner auf.

Der blutjunge australische Bass Juke Stoker (HD) gab eine Talentprobe als Escamillo ab. Auch er zeigte in den baritonalen Höhen seiner Partie beachtliches Material, der bassige Untergrund ist allerdings wenig ausgeprägt.

Julia Koci (RD) hat eine weiche Sopranstimme, die zu innigen Tönen fähig ist (was die Micaëla natürlich braucht!). An der nötigen Kraft und Substanz in der Mittellage mangelt es der Stimme allerdings. Den tief notierten Beginn der wunderschönen Arie im 3. Akt hörte man schon in der 13. Reihe Parkett kaum.

Die Comprimarii waren allesamt zufriedenstellend. Das Schmugglerquintett des 2. Aktes (mit allen Zungenbrechern) gelang präzis (Johanna Arrouas, Frasquita, RD Ghazal Kazemi, Mercedes, RD, David Sitka, Remendado, Marco Di Sapia, Dancairo, RD). Yasushi Hirano (Zuniga) und Alexandre Beuchat (Morales, RD) ergänzten mit Bühnenpräsenz. Der Wirt Lillas Pastia (Georg Wacks) kam eher aus Wien-Ottakring denn aus Andalusien.

Chor, Zusatzchor, Kinder- und Jugendchor verdienen wieder ein Pauschallob und überhaupt besondere Wertschätzung. Sie sind Garanten für verlässlich hohes Niveau.

Ein mit Bravi akklamierter Abend in der ausverkauften Volksoper. Weitere Vorstellungen gibt es am 9., 13., 17., 21., 24., 29.1. sowie am 5., 11. und 17.2., teilweise mit Alternativbesetzungen.

Karl Masek, 5. Januar / Jänner 2020

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