Wiener Staatsoper, 7. September 2020
Giacomo Puccini, Madama Butterfly
Ein Rückblick von Jürgen Pathy aus der Wiener Staatsoper
Seppuku oder Harakiri. Der ehrenhafte Freitod der Samurais. Dieser wurde zur Saisoneröffnung zum Glück nur auf der Bühne der Wiener Staatsoper exekutiert. Von Cio-Cio-San, der Hauptdarstellerin in Puccinis „Madama Butterfly“, mit der Bogdan Roščić seine Ära als Direktor des Hauses eingeleitet hat. Ein Highlight hätte es werden sollen. Im Vorfeld hochgepriesen, kommt es erstens jedoch anders, und zweitens als man denkt. Vor allem Philippe Jordan und Asmik Grigorian bleiben einiges schuldig.
Bei Jordan keine große Überraschung. Von Roščić aus der Pariser Oper nach Wien geholt, um hier als Generalmusikdirektor die künstlerischen Fäden zu ziehen, mangelt es Jordans Dirigaten einfach an einer Qualität, die unabdinglich ist, um große Oper, um großes Pathos zu produzieren: am Dolce! Das ist nichts Neues. Wer den gebürtigen Schweizer aus dem Konzertsaal kennt, weiß, dass Emotionen und süße Wehmut zu seinen Stärken nicht unbedingt zählt. Die sind bei Jordan anderswo angesiedelt. Alles klingt unglaublich klar, durchsichtig und sauber. Man spürt, dass diese Butterfly ordentlich geprobt wurde. Dass Puccinis Dreiakter, der den Probenraum sonst nur selten erblickt, wieder einmal richtig durchgeputzt wurde.
In Summe wirkt alles jedoch zu steril und unterkühlt.
Diese Kälte zieht sich leider durchs ganze Haus. Angefangen bei Asmik Grigorian, die im mittleren Register zwar alle Striche zieht, dramatisch wie eh und je agiert, jedoch genauso wenig berührt, wie Freddie De Tommaso. Von Bogdan Roščić bereits im Vorfeld als neuer Stern am Opernhimmel angekündigt, lässt der junge Italo-Brite zwar mit einer edlen, klassisch kernigen Stimme aufhorchen, Emotionen vermag der junge Tenor jedoch genauso wenig zu verbreiten wie die gebürtige Litauerin. Asmik Grigorians schauspielerische Gestaltung ist zwar intensiv und rührend, der Gesang ist es zu selten.
Der Kloiber (der Opernführer schlechthin) notiert die Cio-Cio-San als jugendlich dramatischen Sopran. Als solcher sollte die Stimme nicht nur großes Volumen und dramatische Höhepunkte setzen können, sondern auch weich und mit edler Linie schönen Schmelz verbreiten. Letzteres gelingt Grigorian, die 2018 in Salzburg als Salome eingeschlagen hat wie der Blitz, bei ihrem Debüt an der Wiener Staatsoper leider (noch) nicht.
Beeindruckend wirken an diesem Abend nur zwei. Die Inszenierung des 2008 verstorbenen Anthony Minghella und der russische Bariton Pinkhasovich als Sharpless. Mit einer Stimme ausgerüstet, die im tiefen Register klingt wie eine dunkle Edelkastanie, beeindruckt der russische Bariton gewaltig. Wie auch das Bühnenbild und die Regie, die ein wenig aufgefrischt wurde. Ausdrucksstark inszeniert und mit opulenten Kostümen ein Leckerbissen für alle optisch Geprägten im Saal. Musikalisch, vor allem was die Emotionen, die bitter-süße Melancholie betrifft, ausbaufähig.
Jürgen Pathy, 11. September 2020, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at sowie klassikpunk.de