"Tosca" fesselt mit Hui He und Andrzej Dobber in Hamburg – Cavaradossi hätte nicht singen dürfen

Giacomo Puccini, Tosca, Hui He, Andrzej Dobber  Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2021

Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2021

Tosca
Musik von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

Foto: Hui He, © Yunlong Jia

Auch in ihrer 101. Tosca-Vorstellung glänzt Hui He wie keine andere in dieser Rolle. Andrzej Dobber ist ein sehr guter Scarpia, und Chao Deng überzeugt erneut mit einem herausragenden Cesare Angelotti. Alles in einer zeitlosen, genialen Inszenierung von Robert Carsen. 

von Johannes Karl Fischer

Erst kürzlich – am 9. September – habe ich Tosca in Wien gesehen. Die uralte Margarethe Wallmann-Inszenierung, natürlich vom Stehplatz in der Galerie. Jetzt also Tosca in Hamburg, und was für eine Überraschung! Die Floria Tosca, der Scarpia und der Cesare Angelotti waren mindestens genauso gut in Wien. Einzig bei Pavel Černoch wäre ich gespannt gewesen, wie das Wiener Stehplatzpublikum auf seinen Cavaradossi reagiert hätte – wahrscheinlich mit Buh-Rufen. Oder vielleicht hätte man in Wien einen Einspringer gefunden?

Das absolute Highlight der Hamburger Vorstellung war Hui He. Eine Ausnahmesopranistin und eine noch fabelhaftere Tosca. Schon ihre ersten Töne „Mario! Mario! Mario!“ – einfach herzzerreißend. Sie reißt das Publikum in den emotionalen Strudel ihrer Rolle mit hinein. Wieder mal Tränen unter der Maske. Was Mario Cavaradossi über Toscas Stimme singt, trifft voll und ganz auf Hui He zu. Sie spielt nicht nur Tosca, sie ist Tosca. Hui He und Tosca ist wie Ambrogio Maestri und Falstaff.

Interview, Hui He, Tosca Staatsoper Hamburg, 1. Oktober 2021

Andrzej Dobber war dazu der perfekte Scarpia. Auch er lässt das Publikum die Musik mitfühlen. Man bekommt Angst, wenn er Tosca droht oder die Suche nach Cesare Angelotti befiehlt. Da hilft natürlich auch die Inszenierung, die aus dem Polizeichef einen noch böseren Bösewicht macht als Puccini. Trotzdem auch eine herausragende Leistung des Baritons. Wie schon vor drei Jahren.

Bleibt noch Pavel Černochs Cavaradossi. Das Publikum wurde zu Beginn der Vorstellung beruhigt: Herr Černoch litt seit zwar mehreren Tagen an einer Erkältung, aber sein PCR-Test war negativ. Kein Corona also. Trotzdem: Im Lauf des Abends war es deutlich zu hören, dass er seine Stimme eher schonen wollte, anstatt als Cavaradossi brillieren. In seiner Situation absolut verständlich.

Klassik-begeistert-Autor Ralf Wegner beschrieb Pavel Černoch als „Totalausfall“. An diesem Abend war er eher ein krankheitsbedingter Ausfall. Und eine Zumutung für jeden Sänger: Wer trotz Erkältung so eine Rolle singen muss, kann sich damit auch ganz schnell die Stimme kaputt machen. Meine Frage an die Staatsoper Hamburg: Wieso gibt es für solche Situationen keinen Einspringer? Und was, wenn Herr Černoch gesundheitsbedingt tatsächlich ausgefallen wäre?

Giacomo Puccini, Tosca Staatsoper Hamburg, 29. September 2021

Dafür ein Extralob an Chao Deng (Cesare Angelotti). Seine etwas größere Nebenrolle meisterte er mit Bravour. Schon bei der Agrippina im Mai konnte er überzeugen. Ein großer Gewinn für das Ensemble der Staatsoper. Man freut sich darauf, mehr von diesem Sänger zu hören.

Auch die anderen Nebenrollen waren sehr stark besetzt, vor allem mit Martin Summer als Sagrestano und Han Kim als Sciarrone. An sehr guten Stimmen im Ensemble und Opernstudio mangelt es in Hamburg derzeit nicht.

Das Philharmonische Staatsorchester war vielleicht die größte Überraschung im Vergleich mit Wien. Nein, der Klang der Hamburger ist nicht vergleichbar mit dem der Wiener Philharmoniker. Auch nicht mit sonstigen Spitzenorchestern. Aber als Begleitung zweier Weltklasse-Sänger und einem sehr guten Ensemble war es mehr als in Ordnung. Sie haben Puccini gespielt, mit viel Kraft und Klang. Auch und vor allem dank Alexander Joels äußerst engagiertem Dirigat. So kann das gerne weitergehen.

Der Chor war sehr gut. Zumal dieser noch am deutlichsten mit den Corona-Einschränkungen zu kämpfen hatte, denn er musste großteils aus der Loge singen. Diese Lösung gefällt mir zwar deutlich besser als die Live-Einspielung à la Bayreuth. Akustisch ist beides aber nicht optimal. Hoffentlich fällt das im November mit 2G alles weg. So oder so aber ein sehr schönes „Te deum“. Fast wie in der Kirche.

Noch kurz zur Inszenierung von Robert Carsen: Diese ist einfach zeitlos und genial. Sie macht das, was Puccini geschrieben hat, aber ganz ohne „Museumsinszenierung“. Der perfekte Spagat zwischen dem Libretto und dem 21. Jahrhundert.

Ein herausragender Puccini-Abend am Gänsemarkt. Allem voran wegen Hui He und ihrer Floria Tosca. Einzig der große Applaus blieb leider aus. Kaum Bravo-Rufe. Schade. Trotzdem: Wer diese Tosca noch nicht gesehen hat, sollte sie sich am Dienstag unbedingt noch anschauen. Karten gibt es noch. Und wer weiß, wann Tosca in dieser Kombination wieder zu sehen sein wird.

Johannes Karl Fischer, 9. Oktober 2021 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

2 Gedanken zu „Giacomo Puccini, Tosca, Hui He, Andrzej Dobber
Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2021“

  1. Moin! Ich war in besagter Vorstellung und kann dem insgesamt positiven Eindruck nicht beipflichten. Sorry, aber ich weiß nicht, warum Hui He so gefeiert wird, ich fand sie nicht besonders gut, wobei ich hinzufügen muss, dass ich sie vorher nie gehört habe, also keine Vergleichsmöglichkeiten habe. Aber letzten Freitag war das jedenfalls keine gute Performance – es ist mir unerklärlich, wie jemand mit auch nur einem Funken Ahnung das abfeiern kann. Vor allem in den Höhen war das ein ganz schlimmes Leier-Vibrato, das in den Bereich des Unerträglichen ging.
    Dobber konnte sich im 1. Akt gar nicht gegen das Orchester behaupten, im 2. Akt war das besser, aber weit von der Klasse eines z.B. Bryn Terfel entfernt, wobei das zugegebenermaßen eine recht hohe Messlatte ist. Černoch hätte natürlich nicht singen dürfen, da wäre ein Back-up dringend erforderlich, denn wer erkältet ist, dem dürfen nicht solche schwere Partien wie Cavaradossi zugemutet werden. Insgesamt ging das dann zwar halbwegs durch, war für mich nach zwei Jahren Opern-Liveabstinenz aber doch eher etwas enttäuschend. Was am meisten fehlte, war Leidenschaft, ich habe den Funken nicht überspringen gespürt – da war viel Luft nach oben.

    David Nagel

    1. Sehr geehrter Herr Nagel,

      Ich glaube, der Gesamteindruck hängt auch von dem, was der/die individuelle Zuhörer(in) sich von dieser Oper erwünscht, ab. Wer sich wochenlang auf die Arie „E lucevan le stelle“ gefreut hat, wird von dieser Aufführung vermutlich nicht sehr begeistert gewesen sein. Aber Tosca hat noch viel mehr zu bieten als nur die Arien Cavaradossis. Und in diesem Sinne kann es insgesamt ein schöner Abend sein, selbst wenn der Cavaradossi besser hätte nicht singen sollen.

      Das Ganze erinnert mich an Parsifal in Hamburg 2019. Robert Dean Smith in der Titelrolle war damals auch nicht besonders, aber es gab trotzdem zahlreiche insgesamt positive Rezensionen der Aufführung. Denn egal wie gut oder schlecht der Parsifal singt, in der Verwandlungsmusik und in der Abendmahlszene singt er nicht mit.

      Bei Dobber hatte ich im ersten Akt den Eindruck, dass er auch mit der Corona-Chor-Akustik zu kämpfen hatte, insbesondere mit dem Logen-Chor (und weniger mit dem Orchester). Denn wenn das Te Deum plötzlich von vorne und nicht von hinten (aus Sicht des Sängers) kommt, stellt das die ganze Akustik auf den Kopf. Das ist ja ab November hoffentlich vorbei. Ich bin mir sicher, dass die Partitur der Te Deum-Szene ganz anders aussehen würde, wenn Puccini für einen Chor im Zuschauerraum geschrieben hätte.

      Johannes Fischer

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