Riccardo Muti triumphiert in Ravenna mit Norma und Nabucco

Herbsttrilogie Ravenna, Norma und Nabucco  Ravenna, vom 16. bis 22. Dezember 2023

RAVENNA FESTIVAL – TRILOGIA D’AUTUNNO – Norma © Zani-Casadio

Vincenzo Bellini: Norma

Norma: Monica Conesa
Pollione: Klodjan Kaçani
Adalgisa: Paola Gardina
Oroveso: Vittorio De Campo
Clotilde: Vittoria Magnarello
Flavio: Riccardo Rados

Giuseppe Verdi: Nabucco

Nabucco: Serban Vasile
Ismaele: Riccardo Rados
Zaccaria: Evgeny Stavinsky
Abigaille: Lidia Fridman
Fenena: Francesca Di Sauro
Anna: Vittoria Magnarello
Il Gran Sacerdote di Belo: Adriano Gramigni
Abdallo: Giacomo Leone

Musikalische Leitung: Riccardo Muti
Orchestra Giovanile Luigi Cherubini
Coro del Teatro Municipale di Piacenza

Visual artist: Svccy
Visuel programmer: Davide Broccoli
Lichtdesign: Eva Bruno

Ravenna, Teatro Dante Alighieri, 16. und 17. Dezember 2023

von Kirsten Liese

Vor wenigen Wochen war in Mailand zu erleben, wie penibel Riccardo Muti mit seinem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini und den Sängersolisten in seiner Opernakademie an Bellinis „Norma“ gearbeitet hat. Zur Herbst-Trilogie in Ravenna, wo das Musikdrama nun in Aufführungen mit Video-Projektionen zu erleben war, ernteten alle Beteiligten die Früchte dieser intensiven Probenzeit.

Die Einmaligkeit dieser Aufführung begründet allein schon die ungeheure Theatralik in den Rezitativen um Liebe, Eifersucht, Wut und Rache. Extremer als die jungen Sängerinnen und Sänger hier ihren Gefühlen analog zum Text Ausdruck geben, ist es wohl kaum möglich.

RAVENNA FESTIVAL – TRILOGIA D’AUTUNNO Norma © Zani-Casadio

Allen voran die phänomenale Monica Conesa beeindruckt in der Titelpartie mit einem dunklen Timbre von sinnlicher Schönheit, das sie vor allem zu einer exquisiten Interpretin des Duetts „In mia man alfin tu sei“ prädestiniert, in dem sie dem abtrünnigen Geliebten androht, ihre gemeinsamen Kinder zu töten, sollte er die Novizin Adalgisa weiterhin umwerben.
Furie, Gepeinigte und große Liebende: Ihre Norma ist alles in einem, versteht sich auf das geschmeidige Legatosingen und verströmt den Furor einer antiken Tragödin. In Klodjan Kaçani hat sie einen ebenbürtigen, mit großer Strahlkraft gesegneten Partner zur Seite, dessen Pollione man es abnimmt, dass er ohne Rücksicht auf Normas verletzte Gefühle mit seiner neuen Liebe sein Glück suchen will.

RAVENNA FESTIVAL – TRILOGIA D’AUTUNNO Norma © Zani-Casadio

Ein wenig schade nur, dass die Adalgisa in Ravenna neu besetzt werden musste. Paola Gardina sang die Partie achtbar, aber ohne so glasklare herrliche Kopftöne wie die erkrankte Eugénie Joneau bei den Proben in Mailand. Immerhin aber in den Duetten harmonierte die Einspringerin  gut mit Conesa, ihre diffizilen solistischen Kadenzen bestimmte seitens Dynamik und Artikulation große Präzision. Mit Vittorio De Campo empfahl sich in der kleineren Partie von Normas Vater Oroveso ein profunder mächtiger Bass von Weltklasse.

Mutis Luigi Cherubini Orchester, vom Maestro selbst 2005 gegründet, gefällt mir bei alledem mittlerweile besser als das Orchester der Mailänder Scala unter Riccardo Chailly, was insofern besonders beachtlich erscheint, als dass die jungen Musiker nur für wenige Jahre in dem Orchester verbleiben dürfen, es also fortwährend zu personellen Wechseln kommt.

Daran zeigt sich freilich, was die starke Persönlichkeit eines Dirigenten, sein effizientes Proben und seine genauen Zeichen ausmachen. Dabei darf man wieder und wieder darüber staunen, mit welch einfachen, sparsamen Bewegungen Muti die Musik in der denkbar größten Plastizität formt. Nur hier und da für kraftvolle Einsätze des Chores, steht er von seinem Dirigierstuhl kurz auf, werden die Armbewegungen etwas größer.

RAVENNA FESTIVAL – TRILOGIA D’AUTUNNO Norma © Zani-Casadio

Für so manche lyrische Melodie wie das schwermütige Cellosolo im zweiten Akt, das die Wiener Philharmonikern nicht empfindsamer spielen könnten, reichen ein einfacher Einsatz zu Beginn und ein magischer Austausch von  Blicken zwischen Dirigent und Musikern. Es ist für mich einer der schönsten Momente in dieser Aufführung.

Was die hohe Kunst des Belcanto ausmacht, nicht nur auf das Singen, sondern auch auf das Musizieren bezogen — hier kann man es erfahren. Jedes noch so markante, stark rhythmisierte, punktierte Motiv musiziert das Cherubini Orchester mit geschmeidiger Italianità, kein noch so lauter Akkord, ob zu Beginn einer Phrase oder am Ende eines Rezitativs, bollert heraus, von einer Note zur nächsten spielen die jungen Leute Linien.

Dieselben Qualitäten bestimmten die Aufführung des „Nabucco“, in dessen dritten Akt übrigens auch ein zauberhaftes Solo mit geteilten Celli herausstach, das ich in einer solchen Zärtlichkeit noch nie zuvor gehört habe.

Nabucco © Zani-Casadio

Zum erstklassigen Protagonisten dieser Einstudierung wurde freilich der vorzügliche Chor des Teatro Municipale di Piacenza, der alle Facetten seines anspruchsvollen Parts bei exquisiter Deklamation des Texts auslotete. Und beim berühmten Freiheitschor „Va’, pensiero“ klarstellte, dass dieser seine stärkste Kraft entfaltet, wenn er wie von Verdi vorgesehen, anfangs ganz leise im Pianissimo gesungen wird. Umso unverzeihlicher allerdings, dass ausgerechnet dazu aus dem Saal ein Handywecker fiepte. Zu allem Ärger setzte sich der noch nach dem letzten verklungenen Ton fort.

Und wie bei „Norma“ stellte das treffliche Ensemble unter Beweis, dass sich Opern mit derart enorm hohen Sänger-Anforderungen jenseits großer Namen überzeugend besetzen lassen.

Zum Zugpferd wurde dabei allen voran der rumänische Bariton Serban Vasile, der, mit entsprechender Furchtsamkeit in seiner profunden, großen Stimme, grandios den babylonischen Titelhelden gibt, der im Zuge seiner extremen Selbstüberschätzung dem Wahnsinn verfällt und erst Heilung erfährt, als er sich zum Gott der Hebräer bekennt.

Nabucco © Zani-Casadio

Den kräftezehrenden Part der Abigaille, vor der bislang sogar Anna Netrebko zurückscheute, sang Lidia Fridman sehr achtbar, zwar teils mit ausladendem unschönen Vibrato in den Spitzen, doch mit großer  Agilität in den halsbrecherisch-virtuosen Skalen. Aus dem übrigen trefflichen Ensemble seien Francesca Di Sauro mit ihrem in alle Register schlank geführten lyrisch-dramatischen Sopran als Fenena hervorgehoben, und Evgeny Stavinski als Hohepriester Zaccaria, ein souveräner, kerniger Bass.

Riccardo Mutis großer Name steht zweifellos für ein Musiktheater ohne fragwürdige Regie-Experimente. Diese Konsequenz ist ein entscheidender Teil seiner starken Persönlichkeit, vor abwegigen Neu-Interpretationen, die am Libretto vorbeiziehen, verschont er Sänger und Publikum. Rein konzertante Aufführungen wollte das Ravenna Festival in seiner Herbst-Trilogie jedoch auch nicht anbieten. Als ein wunderbarer Mittelweg erwies sich die Idee, die Musik mit  schlichten, sparsamen Videoprojektionen zu illustrieren.

Nabucco © Zani-Casadio

Mit Ansichten von antiken Statuen (Norma) und Impressionen vom babylonischen Ischtar-Tor aus dem Berliner Pergamonmuseum (Nabucco) hat der visual artist mit Künstlernamen „Svccy“ zusammen mit dem visual programmer  Davide Broccoli und der Lichtdesignerin Eva Bruno stimmungsvolle Kulissen geschaffen. Mehr an Optik braucht es nicht, man fühlt sich in Zeit und Ort der Handlung versetzt.

Nabucco © Zani-Casadio

Nach vergangenen Jahren, in denen die Inszenierungen bei den Herbst-Trilogien künstlerisch nachließen, bescherte dieser Festivaljahrgang einen ersehnten Höhepunkt. Es wäre allzu schön, wenn sich die Arbeit mit Muti in der Weise in Ravenna fortsetzen ließe.

Morgen endet die Trilogie mit einer Verdi-Gala, die leider jedoch nur einmal aufgeführt wird, dafür einen Tag später aber noch einmal in Busseto, dort als Benefizkonzert für den Erhalt der Villa Verdi in Sant’Agata.

Kirsten Liese, 21. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Herbsttrilogie Ravenna, Norma und Nabucco Ravenna, vom 16. bis 22. Dezember 2023

Vorankündigung: Ravenna Festival 2023, Riccardo Muti Ravenna, Start 16. Dezember 2023

„Herbst-Trilogie“ Mozart-da Ponte, Ravenna, 6.-7. November 2022

Ravenna Festival, Rocca Brancaleone Ravenna, Italien, 12. Juli 2020

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