Mit Riccardo Muti gibt es doch noch einen letzten ganz, ganz Großen, der sich als grandioser Lehrer empfiehlt!

Italienische Opernakademie Muti Ravenna
Titelbild: Wilbur Lin  mit Riccardo Muti ©Silvia Lelli
Italienische Opernakademie Muti Ravenna
 

von Kirsten Liese

Nicht jeder geniale Musiker ist unweigerlich ein begnadeter Lehrer. Und sich als ein solcher berufen zu fühlen, wird zunehmend schwieriger, wenn man bedenkt, wie traurig es um das klassische Musikleben bestellt ist: Schulen, die keinen Musikunterricht mehr anbieten können oder vor lernunwilligen Schülern  kapitulieren, Sänger, die nur ungefähr wissen, worum es in Texten geht, das Sterben der Liederabendkultur  oder der eklatante Mangel an bedeutenden Nachwuchsdirigenten unter 40 werfen darauf beispielhaft Schlaglichter.   – Eine facettenreiche Herkulesaufgabe also, der Jugend auf die Sprünge zu helfen.  Dazu bedarf es schon einer so starken, charismatischen Persönlichkeit, wie sie einst der rumänische Dirigent Sergiu Celibidache oder die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf darstellten. Aber das ist lange her.  Celi starb 1996, Schwarzkopf 2006. Seither geben zwar immer noch zahlreiche Berühmtheiten Meisterkurse, aber persönlich hatte ich niemanden mehr erlebt, der soviel Wichtiges zu sagen und vergleichbar hohe Ansprüche gestellt hätte.

Aber inzwischen gibt es mit Riccardo Muti doch noch einen letzten ganz, ganz Großen, der sich als grandioser Lehrer empfiehlt, ganz und gar aufgeht in seiner Arbeit in seiner 2015 ins Leben gerufenen italienischen Opernakademie in Ravenna.

Zwei Wochen lang arbeitet er jeden Sommer mit Dirigenten, Korrepetitoren, Sängern und seinem 2004 gegründeten Orchestra Giovanile Luigi Cherubini an einer Oper  von Giuseppe Verdi, in diesem Jahr an „Macbeth“. Und das ungeheuer intensiv, konzentriert, kollegial und humorvoll, jeweils täglich mehrere Stunden am Block, vormittags und nachmittags bis in den Abend hinein, ausnahmslos sogar an seinem 77.Geburtstag!

Das Luigi Cherubini formiert sich ähnlich wie das West Eastern Divan Orchestra oder das Gustav Mahler Jugendorchester ausschließlich aus jungen Musikern. Die Musiker kommen allesamt aus Italien, sind überwiegend Anfang 20 und dürfen maximal bis zum 30. Lebensjahr bleiben. Für viele ist es ein tolles Sprungbrett.

John Lidfors  ©Silvia Lelli

Die Nachwuchsförderung ist Muti ein wichtiges Anliegen. So wie einst ihm sein Lehrer Antonino Votto, langjähriger Assistent Arturo Toscaninis an der Scala, vieles über das italienische Melodrama beibrachte, sollen nun die jungen Generationen von seinen Erfahrungen im Laufe von 50 Jahren profitieren dürfen. Prekäre Verhältnisse an italienischen Opernhäusern und eine hilflose Kulturpolitik lassen seine Mission umso dringlicher erscheinen.

Der viel missbrauchte und falsch interpretierte Giuseppe Verdi, dessen Finessen durch Kürzungen und vermeintlich publikumswirksame Veränderungen in vielen Aufführungen auf der Strecke bleiben, liegt dem genialen Verdi-Experten freilich besonders am Herzen.

Erste fundamentale Erkenntnis:  Es gibt bei Verdi keine Hum-tatas. Im richtigen Ausdruck erfasst, tönt so manche Einleitung zu einer Arie auf großem Legatobogen so melancholisch wie eine Sonate von Schubert.

Und wie ungleich packender geht es in der Oper „Macbeth“ zu, wenn Angst, Unheil oder Skrupellosigkeit sich bis in die Mimik und kleinste Details vermitteln! Oftmals Wort für Wort, Takt für Takt, erklärt Muti, warum Verdi diese oder jene Wendung exakt so und nicht anders zu Ende geführt oder geschrieben hat, animiert die Sänger dazu, ihre Texte stärker zu durchleben, korrigiert Ungenauigkeiten in Aussprache und Phonetik, gar falsche stimmliche Techniken.  Neben der koreanischen Sopranistin Vittoria Yeo, die unter Mutis Leitung schon in Salzburg auftreten durfte, holen sich  der Rumäne Serban Vasile, ein kraftvoller, profunder Bariton mit großer Zukunft, und ein über Strahlkraft und Schmelz verfügender Tenor namens Giuseppe Distefano (!) gewissermaßen den letzten Schliff.

Pak Lok Alvin Ho  ©Silvia Lelli

Unter den Dirigenten hat eine internationale Kommission für die Meisterklasse Pak Lok Alvin Ho (Hongkong), Wilbur Lin (USA), Oleksandr Poliykov (Ukraine) und John Lidfors  aus Deutschland ausgewählt. An Muti liegt es übrigens nicht, dass keine Frau darunter ist. Im Interview mit mir betont er eigens, dass sie das Dirigieren genauso gut können wie Männer. Offenbar fand sich bedauerlicherweise nur keine geeignete Kandidatin. Oder hat sich nur einfach keine getraut?

Zumindest kann man auch an den männlichen Junioren sehen, dass sie anfangs ziemlich nervös und gehemmt sind, sich vor einem so berühmten Künstler zu präsentieren. Aber das legt sich bald, erweist sich doch Riccardo Muti als ein menschlicher, verständnisvoller Lehrer und exquisiter Methodiker, der mit so manchen Späßchen und Anekdoten schon einmal ein angenehmes Arbeitsklima schafft. Vieles lehrt er über Vor- und Nachmachen und verständliche, einfache verbale Erklärungen, und da wo es Not tut, führt er auch mal den Arm eines Kollegen.

Handwerklich gibt es Manches nachzubessern oder auch überflüssige, irritierende Eigenheiten auszumerzen.  Den Eleven wird aber auch klar, dass das von immer weniger Kollegen gepflegte Korrepetieren und Anleiten von Sängern wesentlich zu ihrem Berufsbild dazu gehört.

Oleksande Polykov ©Silvia Lelli_

Vieles kommt zur Sprache, was eigentlich selbstverständlich anmutet, aber immer wieder vergessen wird: Dass Orchestermusiker, Sänger und Dirigenten gemeinsam musizieren (collaborazione!), folglich auch im Blickkontakt stehen und miteinander atmen sollten. In unserem heutigen, Konzertleben, das sich bisweilen seltsam neu erfindet,  wird das nicht immer beherzigt, wundert sich Muti.  In Oratorien und Requien stehen oftmals Gesangssolisten und Dirigenten mit dem Rücken zueinander, da wird gemeinsames Atmen schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

In der Akademie stoppt Muti für einen Moment den Kandidaten Alvin Ho, damit er erleben kann, wie das Orchester ohne ihn genauso weiterspielt, wenn er wie ein Metronom nur den Takt schlägt. Der Maestro macht ihm vor, worauf es ankommt, nimmt alle Musiker mit den Augen ins Visier, vermittelt mit sparsamen Zeichen und ausdrucksreicher Mimik, wie die Musik klingen soll.

Unter solchen Eindrücken ist es schön zu erleben, wie die jungen Dirigenten sich im Laufe von nur wenigen Tagen enorm steigern und schon viele Empfehlungen ihres Meisters umzusetzen vermögen.

Maestro Muti warnt sie auch schon einmal vor, was auf sie zukommt, wenn sie es mit Regierabauken zu tun bekommen, die keine Partituren lesen können und gegen die Musik arbeiten, und fordert sie auf, das nicht zuzulassen. Darin zeigt sich freilich die weitere Größe eines singulären Künstlers, der in seiner konsequenten Kompromisslosigkeit schon mehrfach miserablen Inszenierungen eine Absage erteilte.

In Anbetracht des eklatanten Mangels an guten Kräften eigentlich schade, dass Riccardo Mutis Opernakademie keine Ausbildung für Regisseure anbieten kann. Seine Frau Cristina, von der man wunderbare, überzeugende Inszenierungen auf dem von ihr geleiteten Ravenna Festival sah, wäre dafür bestimmt eine gute Dozentin. Aber es steht zu  respektieren, dass die Eheleute großen Wert darauf legen, separat auf ihren jeweiligen Gebieten tätig zu sein.

Kirsten Liese, 29. Juli 2018
für klassik-begeistert.de

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Italienische Opernakademie Muti Ravenna“

  1. „Dass Orchestermusiker, Sänger und Dirigenten gemeinsam musizieren (collaborazione!), folglich auch im Blickkontakt stehen und miteinander atmen sollten.“

    Dasselbe hat auch Teodor Currentzis in seiner Meisterklasse (MDW, am 27. Juni 2018) immer wieder gepredigt – vor allem das Atmen!

    Jürgen Pathy

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