Polonaise auf dem Maktplatz in Krakau 2017. Foto: © Ilja Van de Pavert
Die Polonaise – der repräsentative polnische Nationaltanz – wird in die UNESCO-Liste des Immateriellen Welt-Kulturerbes eingetragen. Diese Entscheidung wurde bereits auf nationaler Ebene angenommen und muss nun vom internationalen UNESCO-Rat genehmigt werden. Die Mitinitiatorin des Beitrags ist Romana Agnel, Tänzerin, Choreographin, Tanzpädagogin, Kunsthistorikerin, sowie Gründerin und künstlerische Leiterin des professionellen Hofballetts Cracovia Danza.
von Jolanta Łada-Zielke
Eine wichtige Rolle in dieser Aktion spielt Krakau, wo in Polen die nationale Kultur und Tradition am meisten geschätzt werden. Zu diesem Anlass findet in Krakau und in ganz Polen eine Reihe von Veranstaltungen statt, die diesen Tanz fördern und bekannt machen. Cracovia Danza wird die „Nacht des Tanzes“ sowie „die Polonaise-Tage“ organisieren. Im Rahmen dieses Events findet auf dem Krakauer Marktplatz ein Ball statt, an dem Profi-Tänzer, Einheimische und Touristen teilnehmen. Natürlich hängt die Durchführung sämtlicher Tanzveranstaltungen von der Pandemie ab.
Romana Agnel hofft, dass dank der Aufnahme in die UNESCO-Liste das Interesse an diesem Tanz zunehmen wird, weil dies bei jungen Menschen allmählich verschwindet. Polnische Abiturienten haben ungefähr hundert Tage vor dem Abitur, also während des Karnevals, einen eigenen Ball, der „Studniówka“ (100-Tage-Ball) heißt. Zur Eröffnung wird traditionell die Polonaise getanzt, aber wie Romana Agnel sagt wählen die jungen Leute stattdessen manchmal einen Walzer:
„Wir haben keine Schulen der nationalen Tänze in Polen, und es gibt keinen systematischen Unterricht in Polonaise, zum Beispiel im Sportunterricht. Daher besteht ein Bedarf an regelmäßiger Bildung in diesem Bereich. Zweitens sollte dies kein Zwang für die Jugendlichen sein. Es geht nicht darum, dass das Tanzen einer Polonaise als eine Pflicht, sondern als eine Art Prestige, eine Form der Selbstdarstellung, behandelt werden soll. Wir als Cracovia Danza haben begründete Absichten, eine Art „Mode“ für die Polonaise zu schaffen.“
Was mich betrifft, habe ich die Polonaise bereits im Kindergarten und dann in der Grundschule im Sportunterricht gelernt. Und als ich am Gymnasium war, haben wir sie einen Monat vor dem Hundert-Tage-Ball in der Sporthalle unserer Schule geübt. Aber es war das Ende der 1980er Jahre und diese Tradition wurde in Polen noch gepflegt. Romana sagt, ich sei ein Glückspilz, im Gegensatz zu ihren jetzigen Schülern:
„Ich habe schon vielmals die Abiturienten auf diesen Ball vorbereitet und gesehen, wie viele Probleme es ihnen macht, die Schritte einer Polonaise zur Musik zu machen. Dies liegt daran, dass das Tanzen einer Polonaise zu Beginn des Hundert-Tage-Balls ein einmaliges Ereignis ist, auf das man sich schnell und ungenau vorbereitet. Es gibt keine Tradition, in den Schulen unsere Nationaltänze zu lehren. Wenn die jungen Leute fit genug wären, hätte ich mit ihnen selbst die Choreografie machen können. Das ist leider nicht der Fall und ich muss ihnen alles von Anfang an beibringen. Einige haben grundlegende Rhythmusprobleme, können nicht hören, wo die „Eins“ ist, und dieser erste Schritt in einer Polonaise ist schließlich sehr wichtig.“
Wie tanzt die man die Polonaise?
Als ich im deutschen Google „Polonaise“ eintippte, war ich überrascht, wie viele Webseiten auftauchten. Nicht nur die Wikipedia, sondern auch andere; außerdem gab es Videos, die die Aufführung dieses Tanzes durch ein professionelles Ensemble oder bei einem Ball zeigten. Ich bin sehr froh, dass unser Nationaltanz im Nachbarland so bekannt ist.
Polonaise heißt eigentlich „polnischer Tanz“. In der Vergangenheit hatten polnische Tänze, die an königlichen Höfen Europas komponiert und präsentiert wurden, repräsentative Funktion und ersetzten irgendwann die Pavane. Die Polonaise diente dazu, sich zu präsentieren und eine Feier zu beginnen. Daher wurden polnische Tänze polonaise, alla polacca oder polnischer Tanz genannt. Im Laufe der Zeit übernahm Frankreich die Tanzfragen und das Tanzwörterbuch basiert noch heute auf Begriffen aus der französischen Sprache. Daher erhielt die Polonaise im 18. Jahrhundert den französischen Namen, der bis heute verwendet wird.
Im achtzehnten Jahrhundert entwickelte sich schließlich auch der Rhythmus der Polonaise im Dreiertakt, mit der charakteristischen abtaktigen Figur und dem Schlusstakt .
Die Tänzer stellen sich wie für eine Pavane auf, die Paare hintereinander. Jeder Mann hält die Hand seiner Partnerin und beide strecken ihre Arme aus. Das erste Paar führt die gesamte Prozession zuerst über die ganze Tanzfläche herum. Nach einem vollen Kreis geht es in die Mitte des Raumes, wo sich die Paare teilen: eins geht nach links, ein anderes nach rechts. Wenn sie sich wieder treffen, gehen sie unter den hochgehaltenen Armen der anderen Tänzer hindurch. Diese Figur wird wiederholt. Die letzte Figur heißt Viererreihe. Die zwei Teile der Prozession kommen in der Mitte des Raums zusammen zu vier Personen zusammen. Anschließend stoppen sie, schauen sich an und verbeugen sich.
Das Markenzeichen der Polonaise ist der langgezogene, fließende Schritt. Er wird durch eine stolze Haltung unterstrichen. Er beginnt mit einer leichten Kniebeugung (plié) eines Beins, das zweite Bein wird dafür anschließend gestreckt, es folgen zwei Schritte nacheinander.
Polonaise als Inspiration nicht nur für polnische Komponisten
Das Ensemble Cracovia Danza wird eine Monographie über die Geschichte der Polonaise nicht nur in Krakau sondern auch in der europäischen Musik verfassen, unter anderem über die Präsenz dieses Tanzes in größeren Opern- und Ballettwerken. Romana Agnel sagt, dass es sehr wenige Bücher zu diesem Thema gibt. Aktuell befasst sie sich mit der Rekonstruktion alter Tänze und versucht, eine der Polonaisen aus einem deutschen Traktat aus dem Jahr 1759 nachzubilden. Die dort beschriebene Polonaise wurde systematisch von Raoul-Auger Feuillet1 notiert.
Als eine musikalische Gattung inspirierte die Polonaise nicht nur polnische Komponisten. Richard Wagner schrieb in seiner Jugend die „Polonaise D-Dur“ für Klavier in zwei Versionen: für zwei und vier Hände. Später bezog er die Polonaisenmotive in seine Opern „Das Rheingold“ und „Die Götterdämmerung“ sowie in die „Polonia-Ouvertüre“ ein. Tomasz Konieczny, der bereits mehrfach Wotan gesungen hat, bestätigt, dass eine Polonaise im „Rheingold“ deutlich zu hören ist:
„Es ist unglaublich, dass dieser sehr germanische Komponist den edelsten aller Teile des „Rings des Nibelungen“ im Rhythmus einer Polonaise komponierte. Diese Polonaise ist in allen Szenen mit Beteiligung der Aristokratie der germanischen Götter deutlich zu hören, besonders am Ende, wenn sie die Walhalla betreten. Manchmal scherze ich sogar und mache als Wotan in dem Moment die Polonaisenschritte. Ich finde, Wagners Polonaise ist von sehr guter Qualität, fantastisch geschrieben, noch eleganter als die aus den Opern von Stanisław Moniuszko.“
Als weitere Beispiele kann man Johann Sebastian Bachs Polonaise aus der französischen E-Dur Suite BWV 817, und Peter Tchaikovskys berühmte Polonaise aus der Oper „Eugen Onegin“ nennen.
Das Interesse an der Kampagne zur Aufnahme dieses Tanzes in die UNESCO-Liste ist nicht nur in Polen, sondern auch im Ausland sehr hoch. Mehrere Stimmen der Unterstützung für das Projekt erscheinen auf dem Facebook-Profil des Cracovia Danza Balletts. Die Initiative wird auch von dem Krakauer Rathaus unterstützt, insbesondere vom Kulturamt.
„Das Nächste, was wir wirklich brauchen, ist die richtige Musik“, so Romana Agnel. „Wir wollen zeigen, dass die Polonaise lebt und auch eine Inspiration für die heutigen Künstler ist. Die Polonaise-Tage sollen ein fester Bestandteil des Kalenders kultureller Veranstaltungen in Polen werden. Wir erwarten, dass dies das Wissen und das Bewusstsein für die Polonaise sowie die Tanzfähigkeiten erhöht.“
Jolanta Łada-Zielke, 22. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
1 Raoul-Auger Feuillet (* 1653 oder 1659/60- 1710) war ein französischer Tänzer, Ballettmeister, Choreograph, Notator und Herausgeber mehrerer Schriften zum Tanz (Wikipedia).
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Jolanta Łada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.