Es erschüttern immer wieder Berichte von Intendanten, Regisseuren oder Dirigenten, die ihren Kolleginnen und Kollegen das Leben zur Hölle machen. Oft schweigen die Betroffenen darüber, verfügen ihre Chefs doch meist über gute Seilschaften und Netzwerke. Für jemanden, der es riskiert, sich mit einem Mächtigen anzulegen, könnte es in der Theaterwelt, in der nahezu jeder jeden kennt, schwer werden, anderswo Fuß zu fassen. Eine Krähe hackt einer anderen bekanntlich kein Auge aus.
von Kirsten Liese
Das Badische Staatstheater Karlsruhe stellt in dieser Hinsicht sicherlich keinen Einzel-, aber einen Extremfall dar. Bei meinen Recherchen taten sich jedenfalls Abgründe auf, die ich in einem solchen Ort niemals erwartet hätte.
Schon Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind aus diesem Betrieb geflohen, genauer gesagt vor dem Intendanten Peter Spuhler. Die Fluktuation ist immens: Der „Choleriker“ hat in neun Jahren drei Operndirektoren, drei Orchesterdirektoren und fünf Leiterinnen in der Abteilung Kommunikation und Marketing verschlissen.
Von einer toxischen Arbeitsatmosphäre, geprägt von Burn-out, Angst, Demütigungen und einem autokratischen Führungsstil des Intendanten ist in Schreiben des Personalrats sowie des Orchester- und Chorvorstands die Rede, das künstlerische Potenzial des Hauses werde von Spuhler gelähmt. Seit 2011/12 machten Personalrat sowie Orchester- und Chorvorstand zunächst einzelne Kulturpolitikerinnen, dann den Verwaltungsrat des Staatstheaters auf die gravierenden Leitungsmängel aufmerksam. 2015 wurde unter dem Druck einer Mitarbeiter-Demo ein Mediationsbüro eingeschaltet, 2019 der 2021 auslaufende Vertrag des Generalintendanten ein zweites Mal verlängert, obwohl die Mediation zu keiner Verbesserung geführt hatte, wie Personalrat und Vorstände 2017 im baden-württembergischen Kunstministerium vorgetragen und 2018 mit einer Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belegt hatten.
Wie konnte das angehen? Es waren wohl allen voran die Spuhler freundschaftlich verbundene baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Theresia Bauer (Die Grünen), die über viele Jahre ihre schützende Hand über ihn gehalten und die schweren Anschuldigungen gegen ihn ignoriert hat, sowie der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD).
Bauer und Mentrup saßen die wiederholten Berichte der Personalrätin über den problematischen Führungsstil des Generalintendanten vor dem jährlich tagenden Verwaltungsrat aus. Im Sommer 2015 veranlasste eine Mitarbeiter-Demo mit gut 300 Beteiligten den Verwaltungsrat schließlich, eine Mediationsfirma einzuschalten. Sie sollte die Arbeitsatmosphäre am Sechs-Sparten-Haus verbessern – und scheiterte. Mit dem fundamentalen Mangel an Empathie und sozialer Kompetenz seitens des Theaterleiters war wohl auch sie überfordert.
Der Konflikt nahm in der Spielzeit 2019/20 wieder Fahrt auf, als die komplette Opernleitung kündigte: nacheinander der Leitende Dramaturg Patric Seibert, Dramaturgin Deborah Maier und der 1. Koordinierte Kapellmeister Daniele Squeo, sieben Monate später Dramaturg Boris Kehrmann, nach der Spielzeitpause schließlich Operndirektorin Nicole Braunger. Als sich die lokale Presse an die Ausgeschiedenen wandte, entschlossen sie sich, nicht länger zu schweigen. Sie berichteten, wie Spuhler ihre kreativen Energien unterdrückte, massiv in Inszenierungen eingriff, das Ensemble nicht angemessen einsetzte und die Aufstellung der Spielpläne so lange behinderte, bis kein Handlungsspielraum mehr war. „Er hat uns erstickt“, sagte mir Boris Kehrmann im Sommer dieses Jahres.
Kaum war der Artikel in den „Badischen Neuesten Nachrichten“ erschienen, meldete sich eine Vielzahl aktueller und ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatstheaters mit ihren Klagen bei der Redaktion. Personalrat, Orchestervorstand, Chorvorstand und Freundesverein wandten sich mit Offenen Briefen an die Politik und forderten sie auf, die unhaltbaren Zustände aufzulösen. Ein anonymer Blogger eröffnete einen Instagram-Account, auf dem Opfer anonym sprechen konnten. Sogar ehemalige Mitarbeiter des Heidelberger Theaters, das Spuhler von 2005 bis 2011 als Intendant geleitet hatte, wandten sich an die Presse und direkt an die Kunstministerin Baden-Württembergs und berichteten von vergleichbar katastrophalen Zuständen damals an ihrem Haus.
Und das ist nicht alles: Im Badischen Staatstheater ereigneten sich auch Fälle von sexueller Belästigung, gar Einzelfälle von sexueller Gewalt, sie gingen insbesondere auf das Konto eines leitenden, mittlerweile gekündigten Mitarbeiters des jungen Staatstheaters. Was ein Betroffener, der anonym bleiben wollte, dem VAN-Magazin dazu sagte, erscheint symptomatisch für die gesamte Misere: Er habe den Täter nicht angezeigt aus Angst, nicht wieder besetzt zu werden. Lange Zeit zeigte sich Spuhler davon unbeeindruckt und verletzte damit seine Fürsorgepflicht.
Unweigerlich fragt man sich, wie es jemand, in dessen Betrieb solche Zustände herrschen, in seiner Karriere überhaupt so weit bringen – und sich bei der Politik so starker Sympathien versichern konnte. Forscht man nach, hört man von fast allen Seiten, dass Spuhler ein „Blender“ ist, einer, der es kraft seiner Eloquenz und Theaterbesessenheit schafft, andere um den Finger zu wickeln und mit seinen künstlerischen Visionen großen Eindruck zu machen.
Der Konflikt entwickelte schließlich eine Tragweite, die über die Person Spuhlers und Karlsruhe hinausgeht, weshalb ich mich wundere, dass überregional vergleichsweise wenig darüber berichtet wurde.
Umso mehr beglückt es mich, meine heutige Klassikwelt mit einer hoffnungsvollen Aussicht enden zu können: Spuhlers 2021 ablaufender Vertrag, den der Verwaltungsrat des Theaters 2019 um fünf weitere Jahre bis 2026 verlängerte, wird nun in beiderseitigem Vernehmen wieder aufgelöst. Dies dank eines erhöhten Drucks auf die Politik angesichts zeitnaher Wahlen: Karlsruhe wählt am 6. Dezember einen neuen Oberbürgermeister – Baden-Württemberg am 14. März 2021 einen neuen Landtag.
Ende gut alles gut? Diese Annahme wäre wohl naiv, dringen doch immer wieder – oft unter dem Siegel der Vertraulichkeit – ähnliche Fälle an mein Ohr.
So berichten aktuell Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und „Frankfurter Rundschau“ von einer Führungskrise und „tiefen Zerwürfnissen“ im Staatstheater Darmstadt. Gegen den Willen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde dort der Vertrag des Intendanten Karsten Wiegand verlängert. Die Problematik ist auch der Kultur-Staatsministerin Monika Grütters bekannt, die im Oktober dieses Jahres eine Umfrage zu Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt in der deutschen Kultur- und Medienbranche in Auftrag gab.
Eine weitere Umfrage zu Machtmissbrauch und sexueller Belästigung unternahm der Schweizerische Bühnenkünstlerverband, der seine Ergebnisse am 16. November veröffentlichte: Danach waren 260 Verbandsmitglieder in den letzten zwei Jahren mindestens einmal im Kontext mit ihrer Arbeit von sexueller Belästigung betroffen, was einer Quote von 79 Prozent unter den Teilnehmern entspricht, zwei Drittel der Betroffenen seien weiblich. Männer seien mit 81 Prozent die Hauptverursacher ergab die Umfrage. Von 1160 Mitgliedern der größten Schweizer Berufsorganisation für Künstlerinnen und Künstler bei Theater, Film und Fernsehen, nahm ein knappes Drittel an der Befragung teil.
In seiner vielbeachteten Studie „Macht und Struktur im Theater“ hat sich auch der Autor Thomas Schmidt, der seine Hoffnung auf einen wegweisenden Lösungsansatz in Karlsruhe setzt, mit solchen Strukturen beschäftigt: Sollte sich am Badischen Staatstheater „ein Konzept der Zukunft entwickeln lassen, an dem alle beteiligt sind, dann könnte dieses Konzept ausstrahlen“.
Kirsten Liese, 27. November 2020, für
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .
Liebe Kirsten!
Guter Artikel. Ich kenne mich zwar in Deiner (Kultur)-Welt nicht aus, aber dass es dort derart krasse Verhältnisse gibt, glaube ich sofort. (Damit ich dazu lerne, lese ich ab und zu Deine Artikel.)
Bleib gesund,
Oliver