Händels Erstling in Hamburg: Bravissima Christina Gansch

Foto: Staatsoper Hamburg / Declair (c)
Georg Friedrich Händel, Almira
Christiana Gansch
, Almira
Staatsoper Hamburg, 11. Mai 2017

von Leon Battran

 Almira ist umzingelt: Sie ist Königin wider Willen und muss das höfische Zeremoniell über sich ergehen lassen. Sie steht im Zentrum, ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt, während die höfische Gesellschaft ihr buchstäblich die Kleider zuschnürt und die Luft zum Atmen nimmt. Händels Opern-Erstling ist ein Hamburger Original und musikalisch ein kleines Meisterwerk, bei dem sich ein genaues Hinhören lohnt.

Im Alter von 19 Jahren erhielt der junge Händel in Hamburg den Auftrag, eine Musik auf das Libretto von Friedrich Christian Feustking zu komponieren. Am 8. Januar 1705 wurde Almira im Opernhaus am Gänsemarkt uraufgeführt. Johann Mattheson gab damals den Fernando. Händels erste Oper war ein großer Erfolg. Neuinszenierungen in Hamburg folgten in den Jahren 1878, 1905 und 2014. Letztere Inszenierung ist aktuell wieder zu sehen.

Almira sieht sich bedrängt von gesellschaftlichen Zwängen. An ihrem zwanzigsten Geburtstag wird sie zur Königin gekrönt. Der Vater verfügt in seinem Testament, dass sie einen der Söhne ihres Vormunds Consalvo zu ehelichen hat. Die Söhne buhlen fortan um die Gunst der jungen Königin. Die Oper bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Drama und Komik. „Alle benehmen sich unglaublich naiv und sehr pubertär, sind voller hormonaler Schwankungen“, sagt die Regisseurin Jetske Mijnssen.

Almira möchte jedoch am liebsten gar nicht Königin sein und wünscht sich nur, ihrem Herzen folgen zu dürfen. Sie liebt heimlich ihren Sekretär Fernando. Missverständnisse und Enttäuschungen sind programmiert. Schlussendlich entpuppt sich Fernando als Consalvos verlorener Sohn und wird so auch aus gesellschaftlicher Perspektive zum geeigneten Heiratskandidaten. Das eifersüchtige Ränkespiel um die Macht der Liebe und die Liebe zur Macht löst sich in barocker Manier im Einklang von gesellschaftlicher Konvention und der Freiheit des Herzens auf.

Die Oper ist großenteils auf Deutsch, die affektbetonten Arien sind auch in italienischer Sprache verfasst. Musikalisch prägen französische Tanzsätze die Partitur. Ohrenfällig ist vor allem ein scheinbar unscheinbares instrumentales Zwischenspiel, eine Sarabande. Händel sollte diese später für seine Londoner Oper Rinaldo zu der prominenten Arie Lascia ch’io pianga umarbeiten. Die aktuelle Inszenierung wertet die kleine Sarabande zum Leitmotiv für Almira auf und bringt sogar original die vom späteren Händel entlehnte Arie.

Dramaturgisch ist Lascia ch’io pianga kein Muss, fügt sich aber gut ein. „Diese wunderschöne und so unglaublich melancholische Musik zeigt die innere Gefühlswelt von Almira“, so Regisseurin Jetske Mijnssen. Die Arie betont den Konflikt zwischen Almiras Willen und den äußeren Erwartungen. Tatsächlich geht die Rechnung mit Händels Quotenhit auf. Das liegt auch daran, dass man Christina Gansch in der Rolle der Almira an diesem Abend alles abnimmt.

Musikalisch ist dieser Evergreen aus dem Hause Händel zweifellos ein Gewinn. Gansch interpretierte ihn frisch und unvoreingenommen und zeichnete so ein nuanciertes Charakterbild ihrer Figur. Der Mittelteil bebt so von emotionaler Intensität, dass es einen fesselt und nicht wieder loslässt. Überhaupt lieferte die 1990 in Österreich geborene Sopranistin eine durchweg bravouröse Titelpartie ab und glänzte mit spielerischer Hingabe und gesanglicher Finesse. Bravissima!

Christina Gansch beweist, dass es keine überdrehte Dramatik braucht, um zu begeistern. Ihre Figur ist dazu verdammt, zu ertragen, ohne Einfluss nehmen zu können. Sie leidet. Erst in ihrer Rachearie bricht Almira aus wie ein erwachter Vulkan, reißt sich die Kostümierung mitsamt Perücke vom Leib. Jetzt würde man ihr auch eine Arschbombe in den Orchestergraben zutrauen.

Das Philharmonische Staatsorchester kommt an diese Leistung leider nicht heran. Da hätte der Dirigent Sébastien Rouland noch viel mehr aus seinen Musikern herausholen müssen, um die Solistin zu unterstützen. Rouland dirigiert impulsiv, mit großen, fließenden Gesten, atmet dabei hörbar tief ein – sospirare tut nicht nur la libertà, sondern auch der Dirigent. Das Ergebnis ist aber eher ernüchternd: Der Sänger wird zum Zugpferd, der Orchesterapparat hinkt hinterdrein. Der Zusammenhalt geht stellenweise immer wieder flöten, weil das Orchester schleppt. Das stört.

Ein musikalisches Glanzlicht hingegen: Der hypnotisierende Zwiegesang zwischen Bellante und der Solovioline. Hier macht Dorottya Lángs melancholischer Mezzo träumen, und der Konzertmeister Konradin Seitzer formt Melodien von barockem Stolz und anrührender Eleganz. Dieses Zusammenspiel ging geradewegs unter die Haut.

Sehr gut machte seine Sache auch Michael Smallwood. Der australische Tenor sang Almiras Herzblatt Fernando aus dem Orchestergraben, während Viktor Rud auf der Bühne agierte. Smallwood zeigte viel Zartgefühl und tolles Einfühlungsvermögen. Sein Tenor bot reizvolle Dramatik und einen hohen Wiedererkennungswert auf, klang dabei in allen Registern lyrisch und klar.

Überzeugen konnten auch Edilia und Osman alias Klara Ek und Tuomas Katalaja. Die Sopranistin und der Tenor lieferten sich unterhaltsame musikalische Gefechte. Der Hallodri Osman lässt Edilia stehen, um statt ihrer die Königin zu hofieren. Edilia ist verständlicherweise aufgebracht und haut die Wut-Arien raus. Ek präsentierte einen dynamischen Koloratursopran, der hinter der Strahlkraft der Titelpartie jedoch ein wenig zurückstand, und Katalajas Osman war ein echter Volltöner.

Leon Battran, 13. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de

Band vom Band – Steve Reichs Stücke für E-Gitarre im Kleinen Saal der Elbphilharmonie

Foto: Höhne (c)
Steve Reich
, Electric Counterpoint, Nagoya Guitars, 2×5
Kalle Kalima und John Eckhardt, »Djupdalen«
Heiko Ossig E-Gitarre
Kalle Kalima E-Gitarre
John Eckhardt E-Bass
Ninon Gloger Keyboard
Jonathan Shapiro Schlagzeug

von Julian Bäder

Die „Minimal Music“ hatte schon immer eine riesig große Sogwirkung auf die Pop-Musik. Das lag vor allem an ihrer harmonischen Rückkehr zum Dur-Moll-System, aber auch an ihren generellen Eigenschaften: die Arbeit mit Repetitionen, Patterns und der starke Fokus auf den Rhythmus. „Steve Reich, Kalle Kalima und John Eckhardt – Heiko Ossig, Kalle Kalima, John Eckhardt, Ninon Gloger, Jonathan Shapiro,
Elbphilharmonie“
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Grandioser Schönberg überwältigt für acht Minuten

Arnold Schönberg, „Ein Überlebender aus Warschau“
Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem d-Moll, KV 626
Mariss Jansons, Dirigent
Thomas Quasthoff, Sprecher
Genia Kühmeier, Sopran
Elisabeth Kulman, Mezzosopran
Mark Padmore, Tenor
Adam Plachetka, Bass
Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Herkulessaal München, 11. Mai 2017

 von Elena Milis

„Achtung! Stilljestanden! Na wird’s mal? Oder soll ich mit dem Jewehrkolben nachhelfen?“ Kurz bleibt einem das Herz stehen, nachdem der letzte Ton von Arnold Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau verstummt. Der dissonante Klang hallt wie ein Donnerschlag wider. Die Musik hinterlässt ein eigenartiges Gefühl, besonders der Text macht hellhörig und erinnert an die vielen Unschuldigen, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. „Mariss Jansons, Thomas Quasthoff, Genia Kühmeier, Elisabeth Kulman, Mark Padmore, Adam Plachetka, Chor des Bayerischen Rundfunks, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, A. Schönberg, W. A. Mozart,
Herkulessaal München“
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Zwei Norweger schenken Wohlgefühl und Geborgenheit in der Elbphilharmonie

Foto: © Peter Hundert
Kings of Convenience
Erlend Øye Gitarre und Gesang
Eirik Glambek Bøe Gitarre und Gesang
Tobias Hett Viola
Davide Bertolini Kontrabass
Elbphilharmonie, 8. Mai 2017

von Sebastian Koik

Zwei Männer, zwei Gitarren: Mehr braucht es nicht. Es ist eines der puristischsten Konzerte, die der Große Saal der Elbphilharmonie bisher erlebt hat. Und es ist eines der magischsten. Legerer und unscheinbarer, als Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe es hier tun kann man sich nicht kleiden. Optisch wirken die beiden deutlich jünger aussehenden 41-Jährigen wie gewöhnliche Zivildienstleistende, die im Wohnheim abhängen. „Kings of Convenience, Erlend Øye, Eirik Glambek Bøe, Tobias Hett, Davide Bertolini,
Elbphilharmonie“
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Im Münchner Künstlerhaus wippen die Füße

Münchner Philharmoniker 7. Kammerkonzert
Sergej Rachmaninow, „Trio élégiaque“ Nr. 1 für Violine, Kontrabass und Klavier g-Moll
Johann Nepomuk Hummel, Quintett für Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass es-Moll op. 87
Astor Piazzolla, Drei Tangos für Violine und Kontrabass
Mikhail Glinka, Grand Sextett für Klavier, Streichquartett und Kontrabass Es-Dur
Lucja Madziar, Violinen
Namiko Fuse, Violine
Jano Lisboa, Viola
Floris Mijnders, Violoncello
Slawomir Grenda, Kontrabass
Ivana Svarc-Grenda, Klavier
Münchner Künstlerhaus, 7. Mai 2017

von Elena Milis

Stimmengewirr, das Licht wird gedimmt, drei Musiker betreten die Bühne, Applaus, Stille – kühler Wind pfeift leise durch die Ritzen des Münchner Künstlerhauses. Ganz leise beginnt der Kontrabass, die Violine stimmt mit ein, und das Klavier übernimmt das Steuer. „Münchner Philharmoniker, 7. Kammerkonzert,
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"Wer hat Angst vor Neuer Musik?" Zuschauer verlassen vorzeitig die Elbphilharmonie

Foto: Höhne (c)
Minguet Quartett
Ulrich Isfort Violine
Annette Reisinger Violine
Aroa Sorin Viola
Matthias Diener Violoncello
Ludwig van Beethoven, Streichquartett cis-Moll op. 131
Peter Ruzicka, »…possible-à-chaque-instant« / Streichquartett Nr. 7 (Uraufführung)
Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 7. Mai 2017

von Sebastian Koik

Nacheinander setzen die vier Streicher zu Beginn von Ludwig van Beethovens Streichquartett cis-Moll mit einem getragenen Thema ein und beginnen ein Konzert, das sehr widersprüchliche Gefühle auslöst. Den sehr langsamen ersten Satz spielt das Minguet Quartett mit großer Tiefe, Spannung und Intensität. Im zweiten Satz überzeugt es mit enorm viel Sensibilität und perfektem Zusammenspiel. „Minguet Quartett, Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin, Matthias Diener, Ludwig van Beethoven, Peter Ruzicka,
Elbphilharmonie“
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850.000 Besucher erwartet: Die neue Saison 2017/18 in der Elbphilharmonie

Foto: Rätzke (c)
Elbphilharmonie Hamburg
, 8. Mai 2017

von Leon Battran

Der Intendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle Christoph Lieben-Seutter hat das Programm für die kommende Konzertsaison vorgestellt. Geplant sind rund 600 Konzerte von August 2017 bis Juni 2018, die ein breitgefächertes Programm abdecken. Rund 850.000 Besucher sollen im Verlauf der Saison die Konzerte, Performances, Reihen und Festivals besuchen können. Neben den Residenzorchestern des Hauses werden wieder Spitzenorchester und Ensembles aus aller Welt zu Gast sein, zudem internationale Solisten, gefragte Dirigenten und auch die eine oder andere Überraschung und Entdeckung. „Die Saison 2017/2018 in der Elbphilharmonie Hamburg,
Elbphilharmonie“
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Viel Applaus für einen Abend mit Feuerwerk

Foto: C. Höhne (c)
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Dirigent: Peter Ruzicka
Sopran: Sarah Maria Sun
Franz Schubert, Fantasie f-Moll für Klavier zu vier Händen D 940 (1828)
Bearbeitung für Orchester: Rolf Liebermann (1996)
Peter Ruzicka, Mnemosyne/ Erinnerung und Vergessen für Sopran, 18 Streicher und Schlagzeug (2016/ Uraufführung)
Gustav Mahler,Sinfonie Nr. 4 G-Dur (1899-1901)
Bearbeitung für Kammerensemble: Erwin Stein (1921)

Elbphilharmonie, 6. Mai 2017

von Bianca Heitzer

Ein Dirigent, der die Uraufführung seines eigenen Werkes dirigiert, eine Sopranistin, die kurzfristig einspringt, viel Trubel um den Hafengeburtstag und am Ende ein großes Feuerwerk – dieser Konzertabend in der Elbphilharmonie sollte ein Abend voller Überraschungen werden. „Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Peter Ruzicka, Sarah Maria Sun,
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Der Symphonische Chor Hamburg strahlt in feierlich-geerdeter Manier

Foto: Symphonischer Chor Hamburg (c)
Joseph Haydn
Die Schöpfung /
Oratorium für Soli, Chor und Orchester Hob. XXI/2
Symphonischer Chor Hamburg
Symphoniker Hamburg
Johanna Winkel Sopran
Georg Poplutz Tenor
Thomas Laske Bariton
Leitung Matthias Janz

von Ricarda Ott

„Es lebe Papa Haydn! Es lebe die Musik!“– mit diesen Worten soll der 76 Jahre alte Joseph Haydn zum Schlussapplaus der Uraufführung der Schöpfung im Jahr 1799 auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gerufen worden sein. Die Begeisterung hält an: das dreiteilige Oratorium gilt als Referenzwerk und ist nicht mehr fortzudenken aus dem klassischen Konzertrepertoire. „Joseph Haydn, Die Schöpfung, Symphonischer Chor Hamburg, Matthias Janz, Symphoniker Hamburg, Johanna Winkel, Georg Poplutz, Thomas Laske,
Laeiszhalle Hamburg“
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Tosender Applaus für Sol Gabetta in Wien

© Julia Wesely
Wiener Symphoniker
Sol Gabetta Violoncello
Jukka-Pekka Saraste Dirigent
Dmitri Schostakowitsch, Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107
Jean Sibelius, Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 5. Mai 2017

von Mirjana Plath

Der Freitagabend im Wiener Konzerthaus bietet ein erfrischendes Musikerlebnis. Das Format „Fridays@7“ reiht nicht endlose Orchesterwerke aneinander. Stattdessen präsentieren die Wiener Symphoniker ein etwa einstündiges Programm ohne Pause. In der letzten Ausgabe war Sol Gabetta zu Gast bei den Symphonikern, die musikalische Leitung übernahm der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste. Zusammen spielten sie Dmitri Schostakowitschs erstes Konzert für Violoncello und Orchester in Es-Dur, als zweites Werk führte das Orchester die Symphonie Nr. 2 in D-Dur von Jean Sibelius auf. „Wiener Symphoniker, Sol Gabetta, Jukka-Pekka Saraste,
Wiener Konzerthaus“
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