Eine musikalische Trilogie in Budapest – Teil 1: Die schrecklichen Kinder

Philip Glass,  „Les Enfants Terribles“  Eiffel Arts Center, Budapest, 19. April 2024

Eiffel Arts Center in Budapest © R. Frühwirth

Das reiche Musikleben von Budapest lockt mich immer wieder, der Stadt einen Besuch abzustatten. Auch diesmal hat sich der Ausflug gelohnt, mit drei Abenden in drei Spielstätten.

Philip Glass
„Les Enfants Terribles“
Libretto nach Jean Cocteau von Philip Glass und Susan Marshall

Elisabeth: Szilvia Rálik (Gesang)/Inès Furuhashi-Huber (Tanz)
Paul: Lőrinc Kósa (Gesang)/Carlos Taravillo Mahillo (Tanz)
Gérard: Benjámin Beeri (Gesang)/Kristóf Morvai (Tanz)
Agathe: Zsófia Kálnay (Gesang)/Anna Krupp (Tanz)
Dargelos: Zsófia Kálnay (Gesang)/Taran Dumitru (Tanz)
Erzähler: János Szemenyei (Ungarisch gesprochen)
Mutter: Zsófia Gyarmati (Tanz)
Michael: Timofiy Bykovets (Tanz)

Klavier: Jean Klára, Pálma Hidegkuti, Kálmán Szennai

Regie und Choreographie: Dóra Barta
Bühne: Ildi Tihanyi
Kostüme: Andrea Kovács
Licht: Zoltán Katonka

Dirigent: Péter Dobszay

Eiffel Arts Center, Budapest, 19. April 2024

von Dr. Rudi Frühwirth

Meines Wissens wurde die Oper „Les Enfants Terribles“ von Philip Glass nach dem Roman von Jean Cocteau in Wien noch nie aufgeführt. Umso begieriger ergriff ich die Gelegenheit, sie während eines langen Wochenendes in Budapest zu hören und zu sehen. Da das Stammhaus der Ungarischen Staatsoper an der Andrássy ut für das Werk eindeutig zu groß ist, wurde als Spielort das „Eiffel Arts Center“ gewählt, eine ehemalige Werkshalle einer Eisenbahngesellschaft, die unter anderem die zweite Bühne der Staatsoper beherbergt.

Das Sujet der Oper ist die seltsame Hassliebe zweier Geschwister, deren Ursache auch in der Vorlage im Unklaren gelassen wird. Sie sind in einer intimen, möglicherweisen inzestuösen Beziehung aneinander gekettet und verweigern sich konsequent der Realität des Erwachsenwerdens. Als diese dann doch in ihre hermetisch abgeschlossene Welt einbricht, kann dies nur in einer Katastrophe enden.

Tänzerinnen und Tänzer © R. Frühwirth

Das Libretto, oder besser das Drehbuch der Oper bezieht neben Musik, Gesang, Sprache und clowneskem Schauspiel auch Tanz als wichtiges Gestaltungsmittel mit ein. Die Hauptrollen sind folglich doppelt besetzt. Dem Erzähler – der in Jean-Pierre Melvilles Verfilmung des Stoffs von Cocteau selbst gesprochen wurde – kommt eine wichtige Funktion zu: er treibt die Handlung voran, fasst zusammen, was auf der Bühne nicht gezeigt wird oder gezeigt werden kann, interpretiert auch das Geschehen. Man kann das als einen dramatischen Kniff sehen; ich empfand es eher als dramatischen Schwachpunkt. Der Erzähler sprach sehr klar und ausdrucksvoll, allerdings auf Ungarisch, sodass ich auf die englischen Übertitel angewiesen war.

Die Partitur von Philip Glass ist für drei Klaviere geschrieben. In jeder der etwa zwanzig Szenen, in die die Oper gegliedert ist, wird ein Metrum, ein Rhythmus, eine Stimmung angeschlagen, die sich dann nur wenig ändert, von einigen dramatischen Steigerungen abgesehen. Das Ergebnis klingt durchaus reizvoll, trägt jedoch zur psychologischen Ausleuchtung der ohnehin rätselhaften Charaktere nicht viel bei. Immerhin sorgte der Dirigent für soviel Spannung wie nur möglich. Die drei Pianist/inn/en spielten mit großem Einsatz und bemerkenswerter Präzision.

Die sängerischen Leistungen waren durchwegs lobenswert; allerdings fand ich die Stimme von Szilvia Rálik für die Rolle der Elisabeth etwas zu wenig mädchenhaft. Dass die Budapester Staatsoper fabelhafte Tänzerinnen und Tänzer aufbieten kann, hat sich auch in dieser Vorstellung bestätigt. Die Choreographie war weitgehend abstrakt, an einigen Stellen, wie beim überraschenden Tod der Mutter, verdeutlichte sie die Erzählung. Besonders gut gefielen mir die ausdrucksstarken Szenen, in denen die Tänzerinnen und Tänzer die Bühne für sich alleine haben.

Erzähler mit Sängerinnen und Sängern © R. Frühwirth

Die singenden Personen sind in grelle, exotische Kostüme gekleidet sind, was ihre radikale, durch und durch unbürgerliche Existenz sehr augenfällig macht. Die Tänzerinnen und Tänzer tragen dagegen unscheinbares Grau – sie verkörpern meiner Auffassung nach das verborgene Innenleben der Figuren. Die Bühne ist fast monochrom in weiß gehalten und hat mich an die Ästhetik des Bauhauses erinnert, das ja zu Zeit von Jean Cocteau eine treibende Kraft der Avantgarde in vielen Kunstrichtungen war.

Dirigent mit Ensemble © R. Frühwirth

Der Applaus zum Schluss war freundlich, aber nicht enthusiastisch. Für mich war der Abend auf jeden Fall eine interessante Erfahrung; er hat mich musikalisch aber nur mäßig begeistert.

Dr. Rudi Frühwirth, 24. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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