München: Diese Ariadne auf Naxos steht der unbeschreibbaren Freude eines Rosenkavaliers auf den Fersen

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos  Bayerische Staatsoper, 30. März 2023

Okka von der Damerau, hier mit Andreas Schager (Bacchus) © Wilfried Hösl

Was da gespielt wird, ist keine gewöhnliche Oper mehr.  Verrückte Vorstellungen von reichen Mäzenen sind im Dauerkonflikt mit dem Kunstverständnis des Komponisten, theaterpolitische Fraktionskämpfe treffen auf knutschende Künstlerpaare. Gemeinsam mit einer Mannschaft an herausragenden Stimmen bietet die brillante Regie von Robert Carsen einen völlig singulären Einblick in den Schaffensprozess der Opernwelt. Hier gilt’s der Kunst!

Bayerische Staatsoper, 30. März 2023

Ariadne auf Naxos
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

von Johannes Karl Fischer

Der Saal wird geöffnet, das Publikum gesellt sich gemächlich auf seine Plätze. Auf der Bühne stehen unter offenen Vorhang ein paar Dutzend Spiegel. Nein, das ist kein Schloss, sondern ein Ballettsaal. Man sieht Tänzerinnen und Tänzer ganz normal beim Proben. Also bei der Arbeit.

Dann stürzt der Dirigent Lothar Koenigs mit schwungvollen Streichern ein wunderbar spielendes Bayerisches Staatsorchester in die Flammen der Strauss-Partitur. Zu dieser Musik würde selbst jedes Laienballett in feuriger Energie ausbrechen! An anderen Ecken strömen süße-herzliche Geigenklänge wie musikalische Zuckerwatte aus dem Graben. Einfach herzzerreißend.

Die Handlung beginnt mit einem völlig von Sinnen getriebenen Hausherrn. Es ist der reichste Mann der Stadt – Milliardär muss er sein. Ihm scheint das ganze Opernhaus zu gehören, der Ballettsaal ist sein zweites Wohnzimmer. Sein Motto: Geld regiert auch die Kunstwelt.

Doch tritt der reiche Herr selbst nie auf. Stattdessen lässt er den Haushofmeister seine Befehle an die Kunst ausrichten. Wie ein Sprechrohr einer Mäzenkaste diktiert der auch als Tatort-Kommissar Franz Leitmayr bekannte Schauspieler Udo Wachtveitl den Künstlerinnen und Künstlern die völlig verrückten Vorstellungen seines gnädigen Herrn. So eine Oper wird man doch in zwei Minuten auf den Kopf stellen können? Ein einziges Chaos stiftet er!

Jochen Schmeckenbechers völlig einzigartige Darbietung des Musiklehrers versucht die entstehenden Unstimmigkeiten irgendwie im Schach zu halten. Die Primadonna bloß nicht zu nah an die Zerbinetta lassen, den Perückenmacher vom wütenden Bacchus befreien. Diese Melodien, die nur so nach theatralischer Komödie schreien, jongliert er wie ein Zirkusclown den Teller auf der Nasenspitze. Das ist die hohe Kunst des Strauss’schen Humors!

Unter all diesem köstlich komödianten Chaos gilt es, die Opera Seria des Komponisten vor dem Rotstift zu bewahren. Mit mächtiger Stimme verteidigt die Mezzosopranistin Tara Erraught das Werk bis auf die Knochen, donnernd widersteht sie dem stürmischen Gegenwind aus Richtung ihres Mäzens. Wie eine kleiner Christian Thielemann steht sie auf der Bühne. Wer an ihrer Kunst wackelt, wird mit wütendem Widerstand konfrontiert.

Doch die lustige Zerbinetta lässt sich davon nicht beeindrucken. Olga Pudova meistert die schwindelerregenden Koloraturen scheinbar schwerelos wie eine musikalische Trapezkünstlerin. Und gleichzeitig strahlt ihre sonnenhelle Stimme den Saal voll als hätte sie auch noch eine Portion Ariadne’scher Dramatik in sich. Diese höchst amüsierende Zerbinetta lässt sich von niemand was sagen – braucht sie auch nicht. Stimmlich und schauspielerisch beherrscht sie die Bühne wie keine andere!

Okka von der Damerau singt erstmals die Titelpartie, hier mit Andreas Schager (Bacchus) © Wilfried Hösl

Nur Ariadne kann diesem höchst heiterem Klangzauber widerstehen. Mit einem musikalischen Stimmstrudel zieht Okka von der Damerau das ganze Publikum in ihren Bann. Lange, lyrische Passagen strömen tief aus ihrer runden Stimme. Völlig unbeeindruckt von allem anderen Geschehen klagt sie aus ihrem Totenreich nach ihrem Erlöser, um sie aus ihrer Einsamkeit zu befreien.

Der Erlöser kommt auch – in Form von Andreas Schagers Bacchus. Mit seiner Stimmkraft könnte er Bäume entwurzeln, oder auch die Sonne in die bislang kaum belichtete Welt der Ariadne hereinbringen. Die hochdramatische Hammerrolle – für andere Sänger der Höhepunkt ihrer Karriere – nimmt er offenbar als leichtes Intermezzo zwischen den Löwenrollen Tristan und Siegfried an.

Die unzähligen Nebenrollen dieser Oper sind allesamt sehr stark besetzt, von Jonas Hackers stimmstark glänzendem Tanzmeister über Zerbinettas vier lustigen Partnern bis hin zu den in perfekter Harmonie schwebenden Nymphen. Die musikalische Paradeleistung dieses Hauses ist komplett.

Diese herausragende, humorvolle Ariadne steht der unbeschreiblichen Freude eines Rosenkavaliers auf den Fersen. Das lustige Vorspiel schleicht sich in allen Ecken der Opera seria, das Gesamtkunstwerk klingt wie eine süße, musikalische Sachertorte mit viel luftiger Schlagsahne. Mit dieser Aufführung erteilt die Bayerische Staatsoper der Kunstwelt eine Lehrstunde – und deklassiert ganz nebenbei den Richard-Strauss-Uraufführungs-Palast an der sächsischen Elbe!

Johannes Karl Fischer, 2. April 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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3 Gedanken zu „Richard Strauss, Ariadne auf Naxos
Bayerische Staatsoper, 30. März 2023“

    1. Da gebe ich Ihnen teilweise Recht, einer der zahlreichen Statisten in dieser Inszenierung soll vermutlich den angesprochenen „reichen Mann“ spielen. Allerdings ist dieser im sehr lebendigen Bühnengeschehen nicht eindeutig zu identifizieren und überlässt nach wie vor die Kommunikation seiner Kunstvorstellungen seinem Haushofmeister. Von einem echten „Auftritt“ kann hier meiner Meinung nach kaum die Rede sein.

      Johannes Karl Fischer

      1. Lieber Herr Fischer, Ihr Erklärungsversuch ist – mit Verlaub – kurios… Der reiche Herr ist eindeutig zu erkennen, lässt er sich sogar einen Stuhl an die Bühnenrampe stellen und sich dort das Geschehen vom Haushofmeister erklären…

        Hindemith

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