In diesem Ring geht es um Glauben und Götter.
Richard Wagner
Das Rheingold
Bayerisches Staatsorchester
Musikalische Leitung, Vladimir Jurowski
Inszenierung, Tobias Kratzer
Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 31. Oktober 2024
von Dr. Petra Spelzhaus
Die Premiere des neuen Münchener Rheingolds war schon vor vier Tagen. Aber konnte es einen besseren Zeitpunkt für den Vorabend des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ geben als diesen 31. Oktober 2024? Gruselig verkleidete Kinder durchstreifen mit Süßigkeitentüten und ihren Eltern im Schlepptau die Straßen Münchens. Das irisch-keltische Urfest Samhain ist durch den Übergang in die dunkle Jahreszeit gekennzeichnet. Der Vorhang zur mystischen Anderswelt der Toten, Feen und Götter ist durchlässig. Die Feuerrituale würden den Brandsachverständigen Loge zutiefst erfreuen.
Der Zuschauerraum des Nationaltheaters ist stockfinster, als das berühmte megatiefe Es der Kontrabässe aus dem Nichts erklingt. Es bilden sich immer mehr Schichten auf dem dunklen Fundament, der Rhein nimmt an Fahrt auf. Willkommen in Alberichs Reich. Eine Welt, die anfangs noch in Ordnung ist, als die Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde das Rheingold bewachen. Das kongeniale Dreiergespann Sarah Brady, Verity Wingate und Yajie Zhang lässt seine Vibrati gekonnt ineinanderfließen und so das Flirren des Wassers spürbar werden. Das ändert sich auch dadurch nicht, dass der Rhein in dieser Aufführung der Fußboden vor einer in Restaurierung befindlichen Kathedrale ist. Die Welt gerät aus den Fugen, als der von den Rheintöchtern gedemütigte Nibelungenzwerg Alberich der Liebe abschwört, den Schatz stiehlt und einen schicksalhaften Ring aus dem Gold schmiedet.
Regisseur Tobias Kratzer, der neben vielen gefeierten Projekten einen in Bayreuth umjubelten Tannhäuser hinlegte und 2025 die Intendanz an der Hamburger Staatsoper übernimmt, inszeniert trotz seiner zahlreichen Engagements den kompletten neuen Münchener Ring häppchenweise. Die Premieren der drei weiteren Teile des 16-Stunden-Spektakels werden auf die kommenden Spielzeiten verteilt.
Kratzer widersteht der Versuchung, das gängige Thema der Kapitalismuskritik aufzugreifen. Er möchte bislang weniger beleuchtete Aspekte des Zyklus ans Tageslicht bringen. In diesem Ring geht es um Glauben und Götter. Die in Bauplanen gehüllte düstere Kathedrale, auf deren Mauer in großen Lettern „Gott ist tot“ gekritzelt ist, deutet auf eine tiefe Religionskrise hin. Die Riesen Fafner und Fasolt sind Priester. Sie renovieren den Altar und erhalten die Göttin Freia als Bezahlung, die im weiteren Verlauf unter großen Opfern durch den Nibelungenschatz freigetauscht wird. Walhalla ist ein Gotteshaus, in das die Götter nach Fertigstellung des gold-glänzenden Altars im letzten Bild der Oper einziehen.
Wie interpretiert Katzer die Rollen der Antagonisten Wotan und Alberich? Beide stecken in einem Dilemma: Wotan, der unsterbliche Gott, hat alle Zeit der Welt, Handlungen werden träge. Die goldenen Äpfel Freias, deren Verzehr ewige Jugend verspricht – ja, auch an Göttern geht der Alterungsprozess nicht vorbei – machen ihn korrumpierbar. Der Nibelung Alberich hingegen muss alles in seine kurze Lebensphase reinpressen und wird zum Getriebenen.
Die Aufführung besticht durch interessante und humorvolle Regieideen. Nibelheim ist in eine Garage verlegt. Alberich und sein Bruder Mime schrauben nerdig an Tarnhelm und der Weltherrschaft, als sie von Wotan und Loge heimgesucht werden. Der Hauptgott hat mittlerweile seinen Umhang und geflügelten Helm in einen Businessanzug umgetauscht. In einer Videosequenz wird der Heimweg Wotans und Loges durch Zeit und Raum gezeigt. Die göttliche Gesandtschaft hat Probleme, den als Kröte verwandelten Alberich in einer Tupperdose durch die Flughafenkontrolle zu bringen, bis Loge das Personal durch ein Feuer ablenkt.
Sean Panikkar, der als Loge den Halbgott des Feuers und gewiefter Berater Wotans mimt, kommt als ein komplett in schwarz gekleideter rauchender Existenzialist daher mit elegantem Tenor und so ungewöhnlich deutlicher Artikulation, dass es für ihn keine Übertitel gebraucht hätte.
In dem durchweg überzeugenden Ensemble möchte ich Ekaterina Gubanova als Fricka hervorheben. Ihr kräftig-präsenter runder und klangschöner Mezzosopran passt perfekt zu ihrem selbstbewussten Spiel. Wotans Göttergattin hat die Hosen an.
Matthew Rose, der den Riesen Fasolt mit einem sonoren beweglichen, fließenden und schmachtenden Bass interpretiert, hätte man fast wünschen wollen, dass die Liaison mit Freia doch funktioniert hätte.
Mit Spannung wird Erdas Kurzeinsatz erwartet. Wiebke Lehmkuhl löst als alte gebückte Frau mit ihrem warmen, dichten perlenden Gesang Gänsehaut hervor. Die Urmutter dreht während ihrer Prophezeiung den Ring am Finger, das Bühnenbild dreht sich mit und deutet auf die Götterdämmerung hin. Das ist wieder mal so ein brillanter Regieeinfall.
Wotan wird in jeglicher Hinsicht beeindruckend von Nicholas Brownlee verkörpert. Der Bassbariton überzeugt darstellerisch sowie mit souveräner Stimmführung.
Der größte Respekt gehört jedoch seinem Gegenspieler, Markus Brück als Bösewicht Alberich. Sein Spiel ist mutig und radikal. Als Publikum bekommt man zwangsläufig Mitleid mit der verspotteten und zutiefst gequälten Kreatur. Nach der Befreiung als Kröte windet sich der Nibelungenzwerg splitterfasernackt und gefoltert auf dem Kirchenboden ohne gesangliche Einbußen. Körperlicher und emotionaler Höchsteinsatz. Chapeau!
Das bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Wladimir Jurowski wird völlig zurecht vom Publikum bejubelt. Das Dirigat ist hochpräzise und eher schlank. Die gezähmte Urkraft des Orchesters ist förmlich zu spüren. Wehe, wenn sie freigelassen wird. Orchester und die Gesangssolisten agieren optimal aufeinander abgestimmt.
Das neue Rheingold ist kurzweilig und macht Lust auf mehr. Fortsetzung folgt zum Glück. Ich freue mich drauf.
Dr. Petra Spelzhaus, 2. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Mitarbeit Regie Matthias Piro
Bühne und Kostüme Rainer Sellmaier
Licht Michael Bauer
Video Manuel Braun, Jonas Dahl, Janic Bebi
Dramaturgie Bettina Bartz, Olaf Roth
Wotan Nicholas Brownlee
Donner Milan Siljanov
Froh Ian Koziara
Loge Sean Panikkar
Alberich Markus Brück
Mime Matthias Klink
Fasolt Matthew Rose
Fafner Timo Riihonen
Fricka Ekaterina Gubanova
Freia Mirjam Mesak
Erda Wiebke Lehmkuhl
Woglinde Sarah Brady
Wellgunde Verity Wingate
Floßhilde Yajie Zhang
Richard Wagner, Das Rheingold Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2024