Foto: Westermann (c)
Staatsoper Hamburg, 11. November 2018
Der Ring des Nibelungen
Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels mit Vorabend von Richard Wagner (1813-1883)
Libretto: Richard Wagner
18. Vorstellung seit der Premiere am 19. Oktober 2008
Ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska
Vier Stunden Richard Wagner mit jeweils 30 Minuten Pause zwischen den einzelnen Aufzügen. Das Parkett und die ersten beiden Ränge sind voll. Der Altersdurchschnitt wird mit jeder Vorstellung jünger: beim “Rheingold” vor knapp zwei Wochen waren mehrere Yuppies (Young urban professionals) anwesend. Sie hielten die Vorstellung tapfer durch und wurden nie wiedergesehen. Jetzt, bei der „Walküre“, waren viele ganz junge – vor allem männliche – Zuschauer anwesend. Schmal, gut angezogen, sehr ernst. Wahrscheinlich haben sie gerade Nietzsche/Schopenhauer/Wagner gelesen.
Ja, gelesen. Richard Wagner ging in seinem Schaffen äußerst pragmatisch vor. Er notierte seine Ideen in Prosa, dem folgte eine lyrische Fassung, die Musik kam als letztes. An dem “Ring” arbeitete er insgesamt 21 Jahre. Das Wort “Musik” reicht irgendwie nicht ganz, um das, was zwischen dem Orchestergraben, Bühne und dem Publikum-Raum geschieht, zu beschreiben. Es gibt im Französischen den Begriff “Son et Lumière” (Klang und Licht). Der Klang, die Farbe und Intensität je nach Bühnengeschehen, der Anspruch einer Ganzheit aus Ton, Bild und Sprache, gehört zu Wagner. Und wer Wagner nicht kennt, kennt die Möglichkeiten der Oper nicht. Er nahm vorweg, was wir heute im Kino erleben: sich in dem Sessel einkuscheln und in eine Geschichte ganz und gar eintauchen.
Der Schaffensprozess der „Walküre“ war ein schwieriger. Hier Wagner in einem Brief an eine Bekannte im November 1854: „So lange ich Bücher schrieb und Verse machte, mochte es gehen: aber für die Musik brauche ich ein anderes Leben. (…) Dazu greift mich auch der Gegenstand der Walküre gar zu schmerzlich an: es gibt doch eigentlich kein Leiden der Welt, das hierin nicht zu seinem schmerzlichsten Ausdrucke gelangt; das künstlerische Spiel mit diesen Schmerzen rächts sich aber an mir; ich bin wiederholt schon ganz krank darüber geworden, und musste gänzlich aussetzen“.
Die schmerzlichen Gegenstände gibt es mehr als genug: Der Ehebruch der Sieglinde, wobei die Ehe der Sieglinde und des Hunding eine erzwungene war; der Vater, Wotan, ein manischer Gott, der seine eigene Tochter, Brünnhilde in eine Intrige verwickelt und sie dann für die Ausführung arg bestraft; der Tabubruch Geschwisterliebe, von einer Schwangerschaft gekrönt. Da kann man krank werden, unbestritten. Der unvergessene Christoph Schlingensief (1960 – 2010) erkrankte in und an Bayreuth. Er inszenierte dort 2004 “Parsifal” und beschallte die namibische Wüste mit Ring-Musik. Ja, Wagner ist nicht ungefährlich.
Doch „Die Walküre“ in Hamburg? Empört schaue ich auf das erste Bühnenbild: karge IKEA-Küchenschränke und ein noch kargerer Küchentisch. Am Herd erstarrt: eine Frau (Sieglinde, Jennifer Holloway). Durch die Tür kommt ein Mann (Siegmund, Robert Dean Smith), der fatal durch lieblos wirkende Kleidung an Obdachlose auf unseren Straßen erinnert. Farblos das Ganze. Langweilig. Das soll eine Oper sein?
Die Annäherung der beiden dauert. Sie serviert ihm Bier, er will nicht annehmen, dann doch, dann nimmt sie auch ein Glas zu sich. Wie so oft bei gemeinsamen Bechern – sie erkennen sich plötzlich. Du und ich – wir sind eins. Wir sind Seelenverwandte. Ich liebe Dich! Ich Dich auch!
Kurz vor Überschreitung der Grenze zu Geschmacklosigkeit erscheint Hunding, der Hausherr und Ehemann. Diesen Sänger muss man sich merken. Während bei den Turteltäubchen die Stimmen gepresst und streckenweise sehr bemüht wirken, trägt der Bass von Alexander Tsymbalyuk wohl bis ins Foyer. Mühelos. Schön. Klasse. Danke. Er wurde am Ende des zweiten Aktes frenetisch beklatscht wie auch die Fricka, Wotans Gattin, gegeben von Mihoko Fujimura (Sopran). Wie in einer solch zierlichen Person diese grandiose Stimme hausen kann, ist mir ein Rätsel.
Das Händchen des Dirigenten Nagano, in dem hellen Licht der Spots aufblitzend, gibt den Solisten deutliche Einsatz-Zeichen. Vor allem Brünnhilde (Lise Lindstrom) nimmt seine Anweisungen sehr dankbar an. Souverän würde ich sein Dirigat nennen. Hier ist es aber mehr. Als Simone Young im Jahre 2008 den Ring an die Hamburgische Staatsoper brachte, hatte sie ein genaues Quellenstudium der Bayreuther Partitur-Reinschrift und der Orchesterstimmen vorgenommen. “Man erreicht eine stärkere Durchsichtigkeit der Partitur”, sagte sie in einem Gespräch mit Hella Barting. Es wurden zum Beispiel kleine Abweichungen, die durch Notenkopieren und Notendruck entstanden waren, beseitigt. Im jetzigen Hamburger Ring hören wir “Die Walküre” – und demnächst auch den “Siegfried” sowie die “Götterdämmerung” sozusagen im Original, sehr nah an Wagners Manuskript.
Dem Meister hätte die Inszenierung wohl gefallen. Alle drei Aufzüge sparsam und zweckmäßig auf die Bühne gebracht. Gut so! Die schier endlosen Gesangspartien, die sprichwörtlichen Wagnerschen Stimmlagen bei fast allen SolistInnen und die grandiose Musik würden eine üppige Bühnen-Szenographie – wie noch vor ein paar Jahrzehnten üblich – heutzutage nicht vertragen.
Mir – wie den meisten Zuschauern – gefiel am besten die Szene, in der die Brünnhilde mit Sieglinde Schutz bei den Walküren zu finden versucht. Die “Weibsgarde” Wotans, acht sehr gute bis hervorragende Solistinnen stehen dem über 80-Mann-Orchester in nichts nach. Ihre Stimmen – kraftvoll, herrlich verschieden und doch harmonisch zusammenwirkend – sind ein Genuss. Und erst die Kostüme. Darauf muss man erst kommen (Danke Christian Schmidt!). Die Damen sind allesamt Kampfkünstlerinnen. Sie wurden in zartgraue, leicht schimmernde Kleider mit fliegenden Röcken gesteckt. Dazu schwarze Knöchel-Stiefeletten. Leichtigkeit trifft Kampfkunst, leichtes Übergewicht kämpft graziös auf Pfennigabsätzen. Keine einzige Barbiepuppe. Dazu wird mit vier Etagenbetten samt Bettzeug auf Rädern das Bühnenbild sehr schön lebendig gehalten. Große Klasse.
Den letzten Absatz widme ich dem schwedischen Bariton John Lundgren in der Rolle des Wotans. Im zweiten Akt noch ein sympathisches Dickerchen mit randloser Brille, seine Gattin Fricka mit stoischer Geduld ertragend, wächst er im dritten Akt stimmlich und – ist das möglich? – auch körperlich zu einem unberechenbaren Rache-Zeus hin. Sein Bariton ist für Wagnerpartien wie geschaffen. Seine Bühnenpräsenz, seine nuancierte Phrasierung – im piano bis zu dem letzten Winkel des Auditoriums hörbar – ist einmalig. Der Vater-Tochter-Disput hat mich – nicht zuletzt durch seine Sensibilität – tief im Herzen berührt. Danke.
Auf zu “Siegfried” am Sonntag, 18. November, wieder um 16 Uhr. Über die “Götterdämmerung” berichtet Sarah Schnoor.
Sollten Sie noch die Restkarten (die gibt es immer!) ergattern wollen: die Aufführung dauert am Freitag, 16. November, bis ungefähr 22 Uhr. Zwischen den Aufzügen sind 30 Minuten Pause eingeplant. Das Bequeme an dem frühen Beginn: die Stadtbäckerei hat bis 20 Uhr offen! Dort speist das halbe Orchester im Frack und mit Fliege. Lustig!
Teresa Grodzinska, 13. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Michael Bauer