… leider können Tristan und Isolde nicht mithalten, und
Festspielchefin Katharina Wagner bekommt unverdiente Buh-Rufe
Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele, 1. August 2019
Richard Wagner, Tristan und Isolde
Dirigent: Christian Thielemann
Inszenierung: Katharina Wagner
Tristan: Stephen Gould
Isolde: Petra Lang
König Marke: Georg Zeppenfeld
Brangäne: Christa Mayer
Kurwenal: Greer Grimsley
Melot: Armin Kolarczyk
Ein Hirte, Junger Seemann: Tansel Akzeybek
Ein Steuermann: Kay Stiefermann
von Andreas Schmidt
So schön könnten sie klingen: Tristan und Isolde – lauschen wir den Worten von klassik-begeistert.de-Autor Peter Sommeregger vom 20. Juni 2019:
„Wagner selbst hat einmal vor perfekten Tristan-Aufführungen gewarnt, die Menschen würden sie wohl nicht ertragen und wahnsinnig werden. Eine Ahnung dessen, was Wagner damit gemeint haben könnte, bot die Aufführung in der Staatsoper Unter den Linden an diesem schwül-warmen Nachmittag und Abend.
Jeder Opernliebhaber, der schon etliche Aufführungen dieses Mammutwerkes erlebt hat, weiß um die Unvollkommenheit der meisten dieser Interpretationen. Oft genug fehlen den Sängern der Titelrollen die stimmlichen Mittel, um sie befriedigend ausführen zu können, manche retten sich in Schreien oder auch dem Unterschlagen einzelner Töne oder gar Phrasen.
Nichts davon in dieser denkwürdigen Aufführung an der Berliner Staatsoper. Die Besetzung mit Andreas Schager und Anja Kampe versöhnt sogar teilweise mit der grotesk banalisierenden Inszenierung Dmitri Tcherniakovs. Die Kraft von Schagers sehr hell timbriertem Tenor scheint schier unerschöpflich zu sein, man hat das Gefühl, der Sänger könnte mühelos am Ende noch einmal von vorne beginnen, obwohl ihm die völlig überdrehte Personenregie auch noch gymnastische Höchstleistungen abverlangt. Einziger, kleiner Kritikpunkt: Schager wirkt streckenweise einfach zu gesund, zu eindimensional für diesen introvertierten Helden, er scheint permanent gut gelaunt.
Anja Kampes Isolde ergänzt, bzw. konterkariert Schagers Tristan in idealer Weise. Sie ist keine Hochdramatische im eigentlichen Sinn, ihre große, warm timbrierte Stimme verfügt aber über alle Qualitäten, die für diese wohl anspruchsvollste Sopranpartie benötigt werden, wie Schönheit des Timbres, Durchschlagskraft und Geschmeidigkeit der Höhe, zusätzlich noch gut gebildete tiefere Register. Mit diesen Dingen reich gesegnet, kann sich Kampe voll auf den gestaltenden Teil ihrer Rolle konzentrieren. Da ihre Stimme auch noch optimal mit jener Schagers harmoniert, erlebt man speziell im Liebesduett Augenblicke, die das unerreichbar scheinende Ideal einer perfekten Aufführung tatsächlich erreichen.“
Soweit die Steilvorlage aus Berlin vor 42 Tagen. Und das war die Realität der ersten „Tristan“-Aufführung 2019 im bedeutendsten Richard-Wagner-Opernhaus der Welt: dem Festspielhaus in Bayreuth:
Wagner machen, das kann er wie kein zweiter. Das Festspielorchester spielt unter Christian Thielemann phänomenal – es ist berührend schön, dabei zu sein. Dieses Gefühl stellt sich bei „Tristan und Isolde“ wie im Vorjahr schon nach den ersten drei Takten des Vorspiels ein. Alles ist wie verwandelt: Raum und 2000 Menschen.
Es war einsame Weltklasse, was der weltweit versierteste Wagner-Dirigent den europäischen Ausnahmemusikern des Festspielorchesters im Bayreuther Graben abzuverlangen vermochte. Schon bei der Ouvertüre, deren Anfang zauberhaft leise und langsam den berühmten Tristan-Akkord zelebrierte, stellte sich Gänsehautgefühl ein. Auch die Hörner Anfang des zweiten Aufzuges hört man nirgends so gut wie in Bayreuth. Und die Streicher zu Beginn des dritten Aufzuges und das folgende Englischhorn-Solo des Hirten sind wegweisend.
Und so bekam der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele nach drei Stunden und 55 Minuten „Tristan und Isolde“ den stärksten Applaus im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Thielemanns Leistung war so berauschend und betörend, dass es sich lohnt, Deutschlands bester Musikkritikerin Eleonore Büning zu lauschen, die der Tristan-Premiere 2017 beiwohnte:
„Der Dirigent Christian Thielemann hat ein spezielles Gefühl für Klangmixtur. Außerdem kann er mit der Akustik des Festspielhauses in Bayreuth so selbstverständlich und souverän umgehen, als handele es sich um den Inhalt seiner Hosentasche. So gelingen ihm immer wieder unerhörte Synthesen aus allen möglichen Instrumentenfarben und Klangzaubereien, von denen alle Welt ahnt und erwartet, dass sie sich in diesem Hause einzustellen haben. Dieses Zaubers wegen sind die Leute angereist.“
Soweit zur gigantischen Tristan-Musik und dem Weltklasse-Dirigat des Christian Thielemann. Leider konnten nicht alle Sänger an diesem Abend mithalten: Die beiden Protagonisten lieferten nicht so gut ab: Der Tenor Stephen Gould bot als Tristan eine gut befriedigende Leistung. Die Sopranistin Petra Lang als Isolde – wie im Vorjahr – wenn überhaupt eine knapp mittelmäßige.
Stephen Gould erwies sich als ein gestandener Heldentenor alter Schule, seine Kraftreserven bis zum Schluss waren beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe immer wieder fulminant. Allein, magische Momente wollten sich nicht einstellen an diesem Abend: Gould sang zu monoton, zu wenig nuancenreich – er hat den Tristan schon (deutlich) besser gesungen! Es gab fast keine Passagen, die mich richtig in die Knie zwangen. Dennoch bleibt Goulds Tristan immer noch einer der besten, der derzeit zu hören ist. Es drängt sich aber der Eindruck auf, dass Gould sich in diesem Jahr auf dem Grünen Hügel etwas übernimmt – der US-Amerikaner verfügt mit seinen 57 Jahren halt nicht über das gleiche „Material“ wie etwa ein Klaus Florian Vogt, 49, der am Freitag den Lohengrin sang und am Samstag den Ritter Stolzing in den „Meistersingern von Nürnberg“.
Goulds Tannhäuser: 25.7., 28.7., 13.8., 17.8., 21.8. 25.8.
Goulds Tristan: 1.8. ,9.8, 28.8,
Für Petra Lang, auch sie wird im November 57, galt an diesem Abend das Urteil vom Vorjahr: Sie ist eine Isolde, die in den Höhen fast immer mit zu viel Druck singt. Das hört sich dann unangenehm gepresst an, sie singt mit zu viel Vibrato. In den Ausbrüchen wird ihre Stimme unangenehm schrill. Am Ende des dritten Aufzugs versagten ihr die Kräfte, es hagelte diverse Fehltöne. Langs Mittellage und tiefere Lage sind deutlich besser als die Höhenlage – an die Isolde von 2015, Evelyn Herlitzius, reicht sie aber bei Weitem nicht heran. Tiefere Partien wie die Ortrud im „Lohengrin“, dargeboten in Bayreuth vor vier Jahren, liegen der aus dem Mezzofach stammenden Lang deutlich besser.
Die Bayreuther Festspiele, die ja quasi fast jede Sängerin der Welt engagieren können, sollten dringend über eine Neubesetzung der Isolde nachdenken, auch wenn Petra Lang sehr viel Applaus bekam. Für anspruchsvolle, geschulte Ohren ist Frau Lang kein großer Genuss – das ergab auch das Gespräch mit zahlreichen Zuschauern.
Als sorgende Brangäne bot die Mezzosopranistin Christa Mayer eine sehr gute Leistung. Ihre Stimme verfügt über eine schöne ausdrucksstarke Farbe und plastische Diktion. Das Timbre ist fraulich. Ihre Textverständlichkeit ist gut. Sie konnte sich im Vergleich zum Vorjahr noch steigern. Immer wieder sorgte sie mit Weltklasse-Passagen auch für Begeisterung.
Kaiser in Sachen Textverständlichkeit war der Bass Georg Zeppenfeld als König Marke. Zeppenfelds warmer, väterlicher, markanter Bass wird von einem Mantel aus Weichheit umhüllt. Seine virile Stimme ist durchschlagend – die einzige Weltklasse-Leistung der Gesangssolisten an diesem Abend.
Den treuen Kurwenal gab der Bariton Greer Grimsley sehr vital und energisch und energetisch – das war in weiten Strecken wirklich Weltklasse und hinreißend. Grimsley sang kraftvoll, souverän und mächtig. Ganz wunderbar ist seine dunkle Seite des Baritonalen.
Der Festspielchor überzeugte bei seinem kurzen Auftritt, Armin Kolarczyk gab einen sehr guten Melot.
Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat für das Nachtstück von Katharina Wagner drei abstrakte Räume gebaut: Ein Treppen-Labyrinth mit Hängebrücken und Reling, ein Gefängnis mit Fahrradständern (erinnert leicht an ein SM-Studio), ausfahrbaren Metallkrallen und Suchscheinwerfern sowie eine Artus-Runde im mystischen Nebel. In großen Teilen, außer im dritten Aufzug, ist die Inszenierung düster, morbide und etwas emotionslos. Sie passt nicht immer zur emotionalen Musik, die die verzweifelte Liebe Tristans und Isoldes und deren Liebestod – in dieser Inszenierung führt König Marke Isolde nach Tristans Tod mit den Schlussakkorden von der Bühne – mit phantastischen Wellen, Nuancen, Bögen und leisen Feinheiten zelebriert.
Vor allem die Visionen der Isolde im Fieberwahn, die Tristan im dritten Aufzug erscheinen, bleiben dem Zuschauer als beeindruckende Bilder haften. Die Urenkeltochter Richard Wagners musste sich bei der 2019er-Premiere neben viel Beifall auch zahlreiche Buhrufe anhören. Diese Buhrufe dürften überwiegend von alten „WagnerianerInnen“ stammen – die Inszenierung ist unterm Strich sehr anregend und hochwertig.
Ein paar Buhs – bei viel Beifall – bekam auch Petra Lang als Isolde. Buhs für Sänger, die Überirdisches vollbringen müssen, gehören sich nicht. Aber, sorry, sorry, liebe Frau Lang, Sie sind einfach keine richtige Isolde mehr.
Andreas Schmidt, 2. August 2019, für
klassik-begeistert.de