Ring & Wrestling nach Richard Wagner: Der Abend endete in einer Handy-Selfi-Schlacht aller gegen alle

Ring & Wrestling, Operanovela, Folge 4, Musik nach Richard Wagners „Ring des Nibelungen“,  Opera stabile, Hamburg

Foto: Jörn Kipping (c)
Opera stabile, Hamburg
, 29. September 2018
Ring & Wrestling, Operanovela in fünf Folgen, Folge 4
Musik nach Richard Wagners „Ring des Nibelungen“
Wotan – Julian Arsenault
Donner – Shin Yeo
Brünnhilde – Pia Salome Bohnert
Fricka – Maria Markina
Freia – Gabriele Rossmanith (immer noch verschollen)
Mitglieder der Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Musikalische Konzeption und Leitung: Leo Schmidthals
Szenische Konzeption und Inszenierung: Dominik Günther (früher Hobby-St.Pauli-Wrestler)
Bühne und Kostüme der SängerInnen: Sandra Fox
Dramaturgie: Johannes Blum
Spielleitung und Inspizienz: Maike Schuster

von Teresa Grodzinska

Die Wrestler, 25 Personen, werden wir in der letzten Besprechung selbstverständlich aufzählen. Jeder Klick zählt…

Hanna beobachtete alles aufmerksam und machte sich sogar Notizen, bis die Strobo-Sequenzen kamen. Sie musste die Augen sofort zumachen und so bleiben. Erst wollte ich sie raustragen, sie zeigte aber auf eine Hochschwangere neben sich, die trotz Strobo sitzen blieb und flüsterte: “Erst wenn sie sich auf den Weg macht, gehe ich auch.” Ihrer beider Entscheidung, oder musste man die zukünftige Generation auch fragen? Ich versuchte auf alles zu achten, aber trotzdem: Wir bitten, einige Strobo-Lücken in diesem Bericht zu entschuldigen. Und liebe Leser: Wenn man Sie auf “Arbeit mit Stroboskop” aufmerksam macht, dann handelt es sich um eine Warnung. Es gibt mehrere Gegenindikationen. Googeln Sie bitte.

Hanna schaute aufmerksam und machte sich sogar Notizen, bis die Strobo-Sequenzen kamen. Sie musste die Augen zumachen. Von Musik versteht sie nichts bis gar nichts, also musste ich auf alles achtgeben, aber wir bitten um Verständnis für einige Strobo-Lücken in diesem Bericht. Erst wollte ich Hanna heraustragen, sie zeigte aber auf eine Hochschwangere neben sich, die trotz Strobo sitzen blieb und flüsterte: “Erst wenn sie sich auf den Weg macht, gehe ich auch.” Ihrer beider Entscheidung oder hätte man die zukünftige Generation auch fragen müssen?

Das Orchester bestand diesmal aus zwei Bratschen, einem Cello, einem Flügel und Perkussion. Leo Schmidthals leitete konsequent und unaufdringlich wie immer; die obligatorische Hymne begleitete er auf der Gitarre. Wummernde St.-Pauli-Bässe ließen sein Gitarrenspiel nur optisch genießen, sein Gesicht verriet in diesem Moment pure Seligkeit – also zupfte er vermutlich die richtigen Saiten.

Die Götter aus dem Richard-Wagner-Universum waren wie üblich verwirrt, gelangweilt und träge. Es half wenig, dass sie diesmal in sportlich munterem Blau und Rot auftraten. Unsere übriggebliebenen Wagner-Kinder waren schwer zu erkennen, weil sie – Obacht! – die Lager gewechselt hatten. Donner wurde von Trump, Fricka und Wotan von Putin adoptiert. Die Adoption wurde geschickt anonym durchgeführt; erst als alle drei Götter die Putin- bzw. Trump-Masken abnahmen (unvergesslicher Moment!), wusste das Publikum: who is who. Brünnhilde wurde vorübergehend hinter der Ringempore zurückgehalten. Von Menschenrechtsverletzungen wurde uns nicht berichtet, aber es fand eine klare  Majestätsbeleidigung an diesem Abend statt.

Auf der Ringempore, immerhin ziemlich hoch, erschien eine korpulente, rötlich-blondierte Dame mittleren Alters in staatstragendem rosa-beigem Jackett. Sie hielt eine nicht minder staatstragende Rede, die allerdings mit mütterlicher Wärme herüberkam. Ihre Gesamterscheinung und ihre wohltuende  Rhetorik  brachten das Publikum fast zum Weinen. Wotan – obwohl Putins Kind – riss sich aus seiner Ehegatten-Rolle und versuchte die Dame über die Rampe zu erreichen. Fricka war aber schnell zur Stelle und verhinderte das Schlimmste.

Ein musikalisches Novum war der Auftritt von Mark Boombastic. Auf der Ringempore platzierte St.-Pauli-Musiker mischten die Götterstimmen (diesmal wurden die Opernsänger mit Mikros ausgestattet) und ließen sie elektronisch verfremden. Ein gewagtes Experiment, da somit die letzte Bastion der Hochkultur fiel.

Das Publikum applaudierte mehr als wild. Ich enthalte mich hier jeglichen Kommentars, wo die Grenze zwischen Hoch- und Subkultur liegt. Aber sie liegt irgendwo… Von Stehen konnte an diesem Abend keine Rede mehr sein.

Da die Machtverhältnisse auf dem Ring in wildes Geschubse auszuarten drohten, erschienen aus dem Wrestler-Schlund zwei monumentale Damen, die als Justitia (verbundene Augen) und Liberty (grüne Krone) zu erkennen waren. Sie wurden von Trump und Putin mit Hilfe des Bären Medvedev sofort fies aus dem Ring herausgeworfen. Recht und Freiheit ade!

Die Götter sanken wiederholt in die Ringecken, “Für uns kein Sieg” vierstimmig singend. Das rief ein neues Wrestler-Paar auf den Plan: Der Saal wurde in goldenes Licht getaucht, und im Ring erschienen zwei SuperheldInnen – wahrscheinlich eineiige Zwillinge – mit dem stolzen Namen “St. Pauli auf Mauli”. Der Name war Programm. Die SuperheldInnen, mit todbringenden Klobürsten bewaffnet, machten mit den Diktatoren kurzen Prozess und wurden zum neuen – doppelten – Siegfried.

Das rief Haidi Hitler auf den Plan, die spuckend und kreischend der Frage nachging, wo denn die Kultur geblieben ist. Prompt erschien im Ring der Promotor (grünes T-Shirt, unter 30 Jahre alt und von undurchsichtiger Herkunft), gefolgt von einer Elbphilharmonie aus Pappe. Der Abend endete in einer Handy-Selfi-Schlacht aller gegen alle. Also alles wie immer überall…

Hymne, Gitarre, frenetischer Applaus. Nik Neandertaler ließ den Saal tobend räumen.

Die Auflösung, wer wer ist, und warum nicht umgekehrt, findet am 6. Oktober 2018 bei der Dernière wie gewöhnlich um 20.30 Uhr statt. Trotz Überlastung aufgrund der beginnenden Opernsaison eine Straße weiter, werden wir selbstverständlich über dieses Ereignis minutiös berichten 😉

Teresa Grodzinska, 1. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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