Gewaltige Gipfelgänge

Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, Anton Bruckner, Neunte Sinfonie in d-moll,  Semperoper Dresden, 13. Februar 2022

Christian Thielemann: © Matthias Creutziger

Semperoper Dresden, 13. Februar 2022

Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann Dirigent

Camilla Nylund, Sopran
Elena Zhidkova, Alt
Benjamin Bruns, Tenor
Franz-Josef Selig, Bass

Anton Bruckner: Neunte Sinfonie in d-moll
Te Deum C-Dur für Soli, Chor, Orchester und Orgel

Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle mit einem Bruckner-Programm

von Kirsten Liese

Es wurde Zeit, dass Bruckners Musik endlich auch in Dresden wieder Raum findet. Mit den Wiener Philharmonikern konnte Christian Thielemann in den vergangenen beiden Jahren aller Einschränkungen zum Trotz mehrere Sinfonien des Spätromantikers zyklisch einstudieren und aufnehmen, in Dresden musste man sich wegen strikterer Covid-Restriktionen länger in Geduld fassen.

Insbesondere mit seinen bezwingenden atmosphärischen Beleuchtungswechseln nach Generalpausen, Fermaten und abrupten Übergängen empfiehlt sich Thielemann immer wieder als ein genialer Bruckner-Dirigent der Extraklasse, zuletzt bescherte seine zutiefst berührende Wiedergabe der Siebten mit den Wienern dem Salzburger Festspielsommer einen konzertanten Höhepunkt.

Seine jüngste Wiedergabe der Neunten in der Semperoper wirkt nun ganz und gar zugeschnitten auf den besonderen Anlass dieses in langer Tradition stehenden Sonderkonzerts anlässlich der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 als Zeichen der Versöhnung, Mahnung und Hoffnung. Vor allem das rhythmisch gewaltsame Scherzo und das schmerzreiche Adagio erscheinen geradezu prädestiniert für das Gedenken an jenen Tag, an dessen Ende die Stadt  in Trümmern lag.

Schon der Kopfsatz kommt dramatischer daher als vor sieben Jahren, als ich die Kapelle unter Thielemann zuletzt mit diesem Werk hörte. Damals war die Wiedergabe von einem anderen Reiz, begann das „feierlich misterioso“ mit den tremolierenden Streichern und dem Motiv der kleinen Terz im Blech mystisch wie aus dem Nichts, die Musik bewegte sich in denkbar größter Ruhe in die Breite. Diesmal zieht Thielemann forscher die Zügel an,  katapultiert das Publikum  unmittelbar hinein in ein aufwühlendes Geschehen voller Steigerungen und gewaltiger Gipfelgänge.  Beim Scherzo vibrieren die hammerharten Fortissimo-Schläge noch im dritten Rang schier bis in die Fußspitzen hinein.

Doch nie nur einfach laut, sondern stets kompakt, schlank und brillant tönt das Orchester noch in den äußersten dynamischen Spitzen, und in dieser edlen Klangkultur liegt die besondere Qualität  dieses Vortrags.

Über die gewittrigen Kaskaden kommen indes auch die lyrischen Schönheiten der Musik nicht zu kurz. Wie so oft geht Christian Thielemann tief in die Knie oder lehnt sich leicht nach hinten, wenn es leise wird und zärtliche, paradiesisch-jenseitige oder sehnsuchtsvolle Motive anheben. Wunderbar markig  spielen dann die Streicher, warm-golden Oboe und Klarinette, ob nun im feierlichen ersten Satz oder im Adagio, wenn die Violinen ihr trostreiches Seitenthema anstimmen oder in einem Moment höchster Verzückung wie auf Engelsflügeln vom dreigestrichenen hohen a zum zweigestrichenen as hinabschweben.

Thielemann bringt die „dem lieben Gott gewidmete“ Sinfonie, deren Finalsatz Bruckner nur skizzieren konnte, in der üblichen dreisätzigen Form. Schließlich wirkt der Torso von einer außergewöhnlichen Geschlossenheit, was erklären mag, warum sich alle gut gemeinten Unternehmungen, den Finalsatz zu vervollständigen oder gar neu zu komponieren letztlich aufführungsgeschichtlich nicht durchgesetzt haben.

Dagegen wirkt die Unternehmung, auf das sich zwischen elegischen und elysischen Sphären bewegende Adagio das Te Deum  folgen zu lassen, durchaus überzeugend.

Wie in der Neunten treffen in diesem geistlichen Opus sehr kraftvolle Passagen  auf kammermusikalische Gespinste in der Mitte, in denen eine Violine die solistischen Fürbitten des Tenors  mit ornamentreichen Girlanden umspielt. Dragos Manza als Gast am Pult des Konzertmeisters empfahl sich dabei als ein feinnerviger Virtuose, Benjamin Bruns in dem exponiertesten, anspruchsvollsten Gesangspart mit seiner lichten, lyrischen Stimme als ein würdiger Ersatz für den ursprünglich vorgesehenen Saimir Pirgu. Auch für die weniger exponierten Solo-Parts leistete man sich den Luxus großer Namen: Camilla Nylund, Elena Zhidkova und Franz-Josef Selig bildeten ein homogenes Ensemble.

Nach Zeiten, in denen Publikum zu Konzerten nicht zugelassen war, hätte der Abend endlich wieder mit Beifall enden können. Dass er stattdessen bewegend in aller Stille mit einer Schweigeminute ausklang, folgte auf ausdrücklichen Wunsch der Künstler im Gedenken an jenen 13. Februar wenige Monate vor Kriegsende.

Kirsten Liese, 15. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Zubin Mehta, Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, Anton Bruckner, Symphonie Nr. 9 d-moll Wiener Konzerthaus, 3. November 2021

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Ein Gedanke zu „Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, Anton Bruckner, Neunte Sinfonie in d-moll,
Semperoper Dresden, 13. Februar 2022“

  1. Danke sehr für diese wieder einmal tolle Zusammenfassung. Ich konnte wegen der Corona-Regeln nicht dabei sein, umso wichtiger sind mir kompetente Rezensionen.
    Vielen Dank!! 👍🙏❤️

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