Sommereggers Klassikwelt 169: Die unvergleichliche Marilyn Horne – eine Stimme mit Sucht-Potential

Sommereggers Klassikwelt 169: Die unvergleichliche Marilyn Horne  klassik-begeistert.de, 18. Januar 2023

In dieser Woche konnte die amerikanische Mezzosopranistin Marilyn Horne ihren 89. Geburtstag feiern. Aus der Öffentlichkeit hat sich die Künstlerin schon lange zurückgezogen, aber auch dieser „unrunde“ Geburtstag ist ein willkommener Anlass, ihre künstlerischen Verdienste und die Unverwechselbarkeit ihrer Stimme zu würdigen.

von Peter Sommeregger

Am 16. Januar 1934 in einer Kleinstadt in Pennsylvania geboren, entschied sie sich schon früh für eine musikalische Ausbildung. Sie studierte Gesang an der University of Southern California, nahm u.a. auch an Meisterklassen der berühmten Lotte Lehmann teil. Schon mit 19 Jahren hatte sie Auftritte in kleineren Rollen, konzentrierte sich aber auf Konzertauftritte als Altistin. Für den Film „Carmen Jones“ lieh sie der Schauspielerin Dorothy Dandridge ihre Stimme für die moderne Version der Carmen.

Ihr erstes Engagement an ein Opernhaus erhielt sie in Gelsenkirchen, wo sie sich von 1957 bis 1960 ein breites Rollenspektrum erarbeiten konnte. Sie übernahm auch Rollen des Sopranfachs, was ihr durch eine sichere Höhe möglich war. Im Jahr 1961 sang sie eine der Mägde in Strauss’ „Elektra“ bei den Salzburger Festspielen. Später sollte sie in Salzburg zahlreiche umjubelte Liederabende geben. 1960 kehrte sie in die USA zurück, wo sie zunächst ein Engagement an der Oper von San Francisco annahm, aber auch in anderen amerikanischen Musikmetropolen auftrat.

Ab 1961 trat sie mehrfach mit der Sopranistin Joan Sutherland auf, deren Koloratursopran sich optimal mit Hornes sattem Mezzosopran verband. Diese Konstellation schlug sich auch positiv auf mehrere Schallplatteneinspielungen von Belcanto-Opern nieder. 1970 wurde Marilyn Horne schließlich an die Metropolitan Opera New York verpflichtet, wo sie an ca. 150 Abenden in verschiedenen Rollen auftrat, und zu einer der großen Stars des Hauses avancierte. Parallel dazu verfolgte sie aber auch eine internationale Karriere, die sie praktisch in alle bedeutenden Musikzentren der Welt führte.

Das Spektrum von Hornes Repertoire reichte vom klassischen Liedgesang, über Bach-Kantaten bis zu einer Vielzahl von Opernpartien, vom Barock bis zu Alban Berg. Bei Konzertauftritten sang sie häufig auch Sopran-Arien, so existiert beispielsweise ein Mitschnitt der „Starken Scheite“ aus Wagners Götterdämmerung. Eine ihrer Glanzrollen war die Carmen, die sie unter Leonard Bernstein in einer Produktion der Met eindrucksvoll und fern jeder hüftenschwingenden Pseudo-Erotik gestaltete, der man in dieser Rolle so oft begegnet. Ich hatte leider nur einmal das Glück, Marilyn Horne live zu erleben, und zwar als schon sehr reife Rosina in Rossinis Barbier von Sevilla. Stimmlich perfekt überspielte sie mit einem Augenzwinkern ihre figürlichen Defizite und lieferte eine stimmige und souveräne Leistung.

Verheiratet war Marilyn Horne von 1960 bis 1979 mit dem Dirigenten Henry Lewis, einem der ersten afroamerikanischen Musiker, dem in seiner Heimat eine große Karriere gelang. Das Ehepaar trat häufig zusammen auf, auch bei einer großen Zahl von Hornes Schallplatten ist Lewis der Dirigent. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter und blieb auch nach der Trennung freundschaftlich verbunden. Mit dem griechischen Bassisten Nicola Zaccaria, einem häufigen Bühnenpartner, war Marilyn Horne über längere Zeit liiert.

Der warme, füllige Klang von Marilyn Hornes voluminösem Alt bzw. Mezzo (oder doch Sopran?) ist in der Schönheit und dem Farbenreichtum seines Timbres unverwechselbar. Ihre fulminanten tieferen Register trugen ihr den Spitznamen „Einziger weiblicher Bassist der Welt“ ein, Tondokumente machen dies nachvollziehbar.

Das akustische Vermächtnis Marilyn Hornes ist erfreulich umfangreich, sie hat eine Vielzahl von Opern eingespielt, es existieren auch Arien- und Lieder-Platten. Auch als Konzertsängerin ist Horne gut dokumentiert. Darüber hinaus existieren zahlreiche Mitschnitte ihrer Auftritte auf dem Graumarkt. Ihre Stimme besitzt ein großes Sucht-Potential, hat man sie oft gehört, kann man aktuellen Stars des gleichen Faches wenig abgewinnen.

Peter Sommeregger, 18. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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