Hans Hotter © Spotify
von Peter Sommeregger
Der Bariton Hans Hotter ist für viele Opern- und Stimmenliebhaber bis heute das Maß aller Dinge, wenn es z.B. um Schuberts „Winterreise“, Wagners Wotan und Holländer geht. Seine Karriere dauerte ungewöhnlich lange, bereits in den 1930er Jahren sang er große Partien, seine letzten Auftritte fanden bis in die 1990er Jahre statt. Als er am 6. Dezember 2003 in München im Alter von 94 Jahren starb, wurde er zurecht in Nachrufen als Jahrhundertsänger gefeiert.
Obwohl man Hotter hauptsächlich mit der Münchner und Wiener Oper in Verbindung bringt, war er tatsächlich aus Offenbach am Main gebürtig. Sein Studium absolvierte er allerdings in München, ursprünglich studierte er Orgel und Chorgesang, ehe er ein Gesangsstudium begann. Mit gerade einmal 20 Jahren gab er sein erstes Konzert in München, sein Debüt auf der Opernbühne fand 1930 in Troppau als Sprecher in der „Zauberflöte“ statt.
Bereits ein Jahr später wechselte er nach Breslau, anschließend an das Deutsche Theater in Prag und an die Hamburgische Staatsoper. 1937 wurde er schließlich an die Münchner Staatsoper engagiert, deren Ensemble er dreißig Jahre lang angehörte, aber dort auch danach noch vereinzelt auftrat. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg sang Hans Hotter auch an internationalen Opernhäusern, an der Wiener Staatsoper war er häufiger Gast.
In zwei Uraufführungen von Opern von Richard Strauss in München wirkte Hotter mit: 1938 als Kommandant in „Friedenstag“, und 1942 als Olivier in „Capriccio“. In späteren Jahren sang er in dieser Oper den Theaterdirektor La Roche. Wenn Hotters Repertoire auch seinen Schwerpunkt in den Opern von Wagner, Strauss und Mozart hatte, so trat er zusätzlich auch im italienischen Fach auf. Seit den Anfängen seiner Karriere machte er sich auch einen Namen als Liedinterpret, seine Gestaltung von Franz Schuberts „Winterreise“, die er 1954 erstmals für die Schallplatte einspielte, und bis in die 1990er Jahre noch im Konzertsaal sang, gilt als legendär, und für viele unerreicht.
Nach dem Neubeginn der Bayreuther Festspiele 1951 trat Hotter dort ab 1952 bis weit in die 60er Jahre auf, sein Wotan und Holländer setzten dort neue Maßstäbe. Nach dem zweiten Weltkrieg häuften sich Auslandsgastspiele, die den Sänger nach Buenos Aires, Chicago, Paris, Amsterdam., London und von 1950 bis 1954 auch an die Metropolitan Opera von New York führten, wo er in 13 Partien von Wagner, Strauss und Verdi auftrat. Seine Altersrolle wurde der Schigolch in Alban Bergs „Lulu“, mit dieser Partie hatte er bis Ende der 1980er Jahre noch große internationale Erfolge.
Hans Hotter wirkte auch als Gesangspädagoge, die Liste seiner erfolgreichen Schüler ist eindrucksvoll. Auch als Regisseur betätigte sich der Sänger, so inszenierte er am Londoner Covent Garden Opera House Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Im Jahr 1996 veröffentlichte der Sänger seine Memoiren unter dem Titel „Der Mai war mir gewogen“. Darin ist eine Episode erwähnenswert: Hotter sang in den 1950er Jahren unter Erich Kleiber den Kurwenal im „Tristan“ am Teatro Colón in Buenos Aires.
Der Weg von den Garderoben zur Bühne ist in diesem sehr großen Opernhaus ungewöhnlich weit, und Hotter verpasste dadurch seinen kurzen Auftritt im dritten Akt. Viele Jahre später wurde ein Mitschnitt dieser Aufnahme veröffentlicht. Ein Kritiker monierte die Tonqualität der Veröffentlichung, denn „den Hotter hört man im dritten Akt überhaupt nicht“. Hotter erwähnt diese Geschichte als gutes Beispiel für Missgeschicke, die auch erfahrenen Künstlern passieren können.
Hotters dunkel timbrierter Bariton, im Klang ein wenig rau, erlaubte dem Sänger eine breite Palette des Ausdrucks und der Gestaltung. Ich konnte ihn noch häufig an der Wiener Staatsoper erleben, im Jahr 1962 sang er dort einen Holländer, die Karte für diese Aufführung war ein Geschenk zu meiner Konfirmation. Nicht nur in dieser Rolle hat er für mich einen hohen Standard gesetzt, an dem ich gegenwärtige Sänger messe.
Peter Sommeregger, 5. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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