„Ein eigenes Sternengewölbe vom Tango“ – Ute Lempers Hommage an Astor Piazzolla ist magisch

Tango-Matinee, Ute Lemper und Ensemble  Semperoper Dresden, 29. Mai 2022

Foto: © Oliver Killig

Semperoper Dresden, 29. Mai 2022

Ute Lemper, Gesang

Víctor Villena, Bandoneon
Cyril Garac, Violine
Vana Gierig, Klavier
Rémy Yulzari, Kontrabass

von Pauline Lehmann

Die vier schwarz gekleideten Herren an Klavier, Kontrabass, Violine und Bandoneon fallen in die elegischen, rhythmisch monotonen und sich wiederholenden Phrasen ein. Die unverwechselbaren Klänge des »Libertango«, Astor Piazzollas wohl bekanntestes Stück, welches er im Jahr 1974 komponierte, erobern sich den Saal und eröffnen die Tango-Matinee, mit welcher Ute Lemper gemeinsam mit ihrem Ensemble (das sind Vana Gierig am Klavier, Rémy Yulzari am Kontrabass, Cyril Garac an der Violine und Víctor Villena am Bandoneon) im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele in der Semperoper gastiert.

Der Tango, das Kind der argentinischen Nacht, und der helllichte Tag, sie fliehen einander: „Der Feind des Tangos ist der Morgen. (…) Man wartet sehnsüchtig auf den Sonnenuntergang“, schwärmt Ute Lemper in leicht melancholischer Tango-Manier in ihren einleitenden Worten. Doch anders an diesem Sonntagvormittag: In der Pause genießt man frisch aufgebrühten Kaffee und Croissants und blinzelt ins helle Sonnenlicht, im Bühnendunkel tauchen Ute Lemper und ihr Ensemble tief ein in die Welt des nachtschwärmenden Tangos und ins Feeling von Buenos Aires.

Sie erzählen von den „Damen mit den dunklen Rändern unter den Augen“, vom kleinen Chiquilín, der von einem Vogel träumt und dorthin möchte, „wo die Menschen lachen“ (»Chiquilín de Bachín«). In der »Balada para mi muerte“, wo es heißt, „Ich möchte sterben in Buenos Aires“, begegnen dunkle, pulsierende Bässe einer ebenso dunklen, rauen Singstimme und in der »Balada para un loco«, die Astor Piazzolla gemeinsam mit dem „Großstadtpoeten“ Horacio Ferrer schrieb, begegnet das lyrische Ich im nächtlichen Park Tänzern und Trommlern und fragt: „Wo seid ihr, ihr Verrückten?“ Es schreit sich die Seele aus dem Leib. Alles ist so wirklich, so hörbar und greifbar nah.
Dass Astor Piazzolla im März des vergangenen Jahres seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, ist für Ute Lemper Anlass genug, den Komponisten, Arrangeur und Bandoneon-Spieler, den „Visionär“, „Traditionsbrecher“ und „Revolutionär“, wie sie ihn nennt, mit einer musikalischen Hommage zu würdigen.

Sie arrangiert ein fiktives Treffen und knüpft mit ihrem Bühnenprogramm »Astor Piazzolla meets Ute Lemper« an ein Treffen mit dem Avantgardisten des Tangos im Jahr 1987 an. Damals hätten sie sich in Paris getroffen, sie, 24-jährig, und Astor Piazzolla, der damals um die Welt tourte. Zu einem gemeinsamen Projekt sei es jedoch nicht mehr gekommen, da Astor Piazzolla kurze Zeit später erkrankte, im Jahr 1992 verstarb er. Astor Piazzollas Musik sei ein „Mosaik aus vielen Inspirationen und Kulturen“, von den Traditionalisten zunächst verfemt und später gefeiert, hätte er mit dem Tango Nuevo ein „eigenes Sternengewölbe vom Tango“ geschaffen.

Nachdem im ersten Teil des Konzerts Astor Piazzollas Stücke die Sehnsucht nach Buenos Aires in großen Zügen atmen, lässt Ute Lemper den Tango-Meister im zweiten Teil in Klang und Wort auf andere Protagonisten des 20. und 21. Jahrhunderts aus Europa und Übersee treffen. Es sind die historischen Geschehnisse und Schrecken des vergangenen und laufenden Jahrhunderts, die Ideen, Erwartungen, Enttäuschungen und Gefühle der Menschen, die hier durchrauschen; es sind Bertolt Brechts ewiger „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und Astor Piazzollas »Preludio para el año 3001«, denen sich Ute Lemper hier mit einer beeindruckenden Tiefe und Intensität verschreibt. Mit eleganter Bravour betritt sie das Parkett der politischen Bühne Berlins, lässt Kurt Weill und den stets eine Zigarre rauchenden Bertolt Brecht sprechen.

Ute Lemper und der Piazzolla-Schüler Marcelo Nisinman (geb. 1970) schwärmen in ihrer gemeinsamen Komposition tiefmelancholisch vom Wind auf einer Insel, »El viento en la îsla« lautet der Titel des Liedes, nach einer Textvorlage des chilenischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda ist dies gleichsam eine biografische Hommage über Pablo Nerudas Exil auf einer kleinen Insel und sein Frieden-finden und Zur-Ruhe-Kommen in den Armen seiner Frau Matilde. Mit den Worten des Dichters Paulo Coelho singt Ute Lemper in ihrem eigenen, gleichnamigen Lied von der Einsamkeit: „Ich brauche euch nicht, ich vergesse dein Gesicht.“

Das Publikum ist überaus begeistert. Ein kurzer, unschöner Zwischenfall unterbricht die Matinee, als eine Frauenstimme dreist und unverhohlen wiederholt in den Saal ruft: „Bitte ohne Mikro singen.“ Ute Lemper bleibt – wie sagt man jugendsprachlich – „cool“, sie antwortet gelassen und entschieden mit einem „So etwas tut man nicht“.

Pauline Lehmann, 2. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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