Foto: © Christian Stelling
Windfuhrs Werkstatt-Konzerte mit den Symphonikern Hamburg
in der HfMT (Hochschule für Musik und Theater Hamburg), 13. Juli 2018
Matti Pakkanen (*1977): Umbra (Uraufführung)
Gustav Mahler (1856 – 1911): Symphonie Nr. 4 G-Dur
Ulrich Windfuhr, Dirigent
Symphoniker Hamburg
Michaela Kaune, Sopran
ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska
Wir haben es genossen. Vielleicht nicht exakt himmlische Freuden – das ist eine Frage der Gesinnung –, aber wir haben es genossen. Der Saal in der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg ist angenehm groß, gut belüftet, amphitheatralisch hochgestemmt; gute Sicht auf die Bühne. Ganz in schwarz, schon ordentlich abgenutzt in den Ecken, vermittelt er sofort den Eindruck, dass hier tagtäglich geackert wird. Man lernt, man performt das Gelernte, man lernt weiter und will nicht von Schnörkeln und Gold abgelenkt werden. Hier ist die Pflicht, die Kür kommt später.
In dieser Kargheit gedieh am Freitag, den 13., gute Musik. Für mich ist Musik – die immer latent gut ist – dann an einem bestimmten Abend gut, wenn ich mich zurücklehnen und bedenkenlos in die Hände von Komponisten, Dirigenten und Orchester begeben kann.
Begonnen wurde mit einer Uraufführung der „Umbra“ von Matti Pakkanen. Uraufführung… keine Vorgaben, keine Schablone vorhanden. Für mich war dieses etwa zehnminütige Werk (in der Literatur würde ich es „Essay“ nennen) interessant, ungewöhnlich friedlich, aber mutig. Atmosphärisch sehr dicht, sehr anspruchsvoll. Celli begannen mit Zupflauten, die Bässe folgten, die Bratschen taten ihnen nach und nach gleich. Die Streicher – mit sichtlichem Vergnügen, nicht wie immer tonangebend sein zu müssen – beobachteten die Kollegen entspannt.
Das Stück baut sich langsam auf. Von einzelnen Zupftönen zu vollem, saftigem Klang. Wie jede atonale Musik war für mich dieses Werk hauptsächlich Übung. Meine musikalische Entwicklung war auf dem Stand von Schostakowitsch und Szymanowski, als ich der „ernsten“ Musik für eine Weile den Rücken kehrte. Daher bin ich Pakkanen dankbar, dass meine noch unsicheren Schritte in die neuen Musikdimensionen durch eine so interessante, obwohl fremde, aber nicht bedrohliche Landschaft führten.
Auch den Mut, neben Mahler bestehen zu wollen, fand ich großartig. Nur Jugend kann so etwas: bedenkenlos, selbstbewusst, Augen-zu-und-durch-Haltung. Bravo!
Windfuhr sieht wie das Klischee eines Dirigenten aus: volles, graues Haar, markantes Kinn, schlank, durchtrainiert, militärisch stramm. Er dirigiert mit seinem ganzen Sein. Die rechte Hand mit dem Stock zeichnet in der Luft geheimnisvolle Arabesken. Die Linke vollführt eine Art des „bildgebenden Verfahrens“. Die Musiker folgen ihm gut und gerne; ihre Taktsicherheit ist für mich ein Rätsel. Umbra (Mittelpunkt eines Sonnenflecks oder ein Farbpigment) kam mit Bravour nach gefühlten 10 Minuten zum Ende, sehr zur Erleichterung einiger Zuhörer. Pakkanen bekam hübsche Blumen von einer hübschen, sehr jungen Frau, die ihn erst am Ende der Bühne erwischte – er wollte gerade leise im Dunkeln des Saals verschwinden. Süß.
Nach dem Konzert stand er im Foyer noch mit dem Blumenstrauß in der Hand, von mehreren Fans umringt. Das Gespräch war so ernst, dass ich mich nicht traute, nach dem Ursprung der Titel-Idee zu fragen. Alles Gute auf dem Weg … ja wohin? Himmlische Freuden oder die Musikwelt umkrempeln, Herr P.?
Mahlers 4. Symphonie G-Dur dauert bis viertel vor 9 und ist nur schön. Am Anfang des ersten Satzes ein Kontrast zum atonalen Umbra. Der Mensch sucht in der Musik vor allem Harmonie, dachte ich immer. Mitnichten! Dieser clash of music war sagenhaft. Mutig, mutig und voll Vertrauen in das – sehr zahlreiche – Publikum, bewegen sich die Symphoniker Hamburg bedächtig durch das Werk.
Mahlers Wunsch: 1. Satz – bedächtig, nicht eilen. 2. Satz – in gemächlicher Bewegung ohne Hast. Ruhevoll. 3. Satz: sehr behaglich – voll zu erfüllen und dabei nicht langweilig zu werden, meisterten dies die Symphoniker Hamburg mit Windfuhr am Pult mit sichtlicher Freude. Bis auf ein paar Tempomissverständnisse am Anfang des 1. Satzes floss die Erzählung über „Himmlische Freuden“ süß und unaufgeregt dahin.
Im 3. Satz erschien, schwebte ein, jedenfalls kam sie nicht wie wir normale Zweibeiner auf die Bühne: die Sopranistin Michaela Kaune. Sie stand eine gute Weile in einem schimmernden, mit Pailletten bestickten Oberteil und schlichtem Taft-Rock da und wog sich zu Mahlers Musik. Ihre Partie überzeugte durch ihren Wagner-Sopran sofort sehr, sehr eindrucksvoll hallend. Die Kaune ist so schön, dass Ihre Stimme sozusagen eine logische Konsequenz ihres Aussehens ist. Man erwartet etwas Himmlisch-Erhabenes. Aber der Text ist tückisch. Er verhöhnt unseren Intellekt aufs Schönste. Oder ergibt der Reim „Johannes das Lämmlein auslasset, der Metzger Herodes drauf passet“ für Sie, werte Leser, einen Sinn? Höchstens in einer Krippen-Ausstellung vielleicht.
Ich beneide diesen Gustav Mahler. 41-jährig, gut im Sattel als Dirigent auf größten europäischen Bühnen, verlässt er mit dieser Komposition ab und an die ausgetretenen Pfade der Harmonie. Im ersten Jahr des neuen XX. Jahrhunderts kann man in seiner 4. Symphonie die Disharmonien des „Sacre du Printemps“ von Strawinsky schon erahnen. Das Publikum der Uraufführung in München war empört. Wir am Harvesterhuder Weg, am Freitag dem 13. Juli, waren dankbar für alles. Für Harmonie und Disharmonie, für die um einige Töne höher gestimmte 1. Geige – der Konzertmeister musste zwischen zwei Instrumenten hin- und herwechseln, sehr interessant.
Erst jetzt, beim Schreiben dieses Berichts, erschließt sich für mich die Auswahl der beiden Werke: Beginn der neuen Musik: 1901, Mahler. 106 Jahre später: Pakkanen.
Und wir, das Publikum von 2018, durften dabei sein! Bei sehr zivilen Ticketpreisen (drei, fünf und zehn Euro) waren wir Zeugen der Musikgeschichte.
Teresa Grodzinska, 14. Juli 2018,
für klassik-begeistert.de