Diesen „Ring“ muss man schleifen - Teil 1: Die Regie

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, Teil 1: Die Regie  Bayreuther Festspiele 2022

Götterdämmerung, Insz. Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Bayreuther Festspiele 2022

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen,
Aufführungen vom 10. August bis 15. August 2022

Jolanta Łada-Zielke berichtet von den Bayreuther Festspielen, wo gerade die zweiten Aufführungen stattgefunden haben.

Gioacchino Rossini fragte einmal: „Warum fangen meine Opern nicht mit der zweiten Vorstellung an?“ Zu den Premieren kamen nämlich ihm nicht gut gesinnte Menschen, die seine neuen Werke verspotteten und das Publikum störten.

Die zweiten Vorstellungen hingegen besuchten Musikliebhaber, die einfach gute Musik hören wollten, und diese waren von Rossinis Musik nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Sie bejubelten den Komponisten, und seine vermeintliche Niederlage stellte sich schließlich als Erfolg heraus.

Ist das genauso bei Valentin Schwarz, dem Regisseur des neuen „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth?  Schwer zu sagen, denn die Kritiken nach den zweiten Vorstellungen waren nicht nur eindeutig negativ. In den Pausen habe ich mit Kollegen aus verschiedenen Ländern darüber diskutiert und unsere Meinungen waren sehr geteilt. Den älteren Wagnerianern fällt es schwer zu akzeptieren, dass Schwarz die typischen Ring-Merkmale wie Drachen, Riesen, Zwerge, Götter und ihre Attribute abgelehnt und sie als Menschen dargestellt hat. Seine nach einer Netflix-Familiensaga geschaffene Inszenierung sorgt für eine ähnliche Empörung wie Christoph Schlingensiefs „Parsifal“ im Jahr 2004, der seinen Inhalt mit dem Voodoo-Kult assoziierte.

„Ich möchte, dass die Leute nach dem »Rheingold« rausgehen und wissen wollen, wie es weitergeht mit den Figuren. Wie nach einem Pilotfilm, der viele Fragen aufwirft, vieles anteasert und gespannt macht auf das, was da noch kommt – auch wenn man vielleicht noch nicht alles sofort einordnen kann“, sagte Schwarz im Gespräch mit Britta Schultejans [1]. Allerdings hat sich die Mehrheit der Zuschauer nach dem ersten Teil vom „Ring“ gefragt: Was denkt sich dieser Regisseur noch aus?

Rheingold, Insz. Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Ich selbst habe Schwierigkeiten, manche Dinge einzuordnen. Aber die Idee, die ganze Geschichte aus der Perspektive von Hagen zu erzählen, gefällt mir sehr gut. Im Original erscheint Hagen erst in „Die Götterdämmerung“ als rücksichtsloser und grausamer Alberichs Sohn, der Siegfried vernichten will. Warum nicht die ersten drei Teile der Tetralogie als seine Vorgeschichte interpretieren?

Als Kind verkörpert Hagen das Rheingold, weil Kinder der Schatz und die Zukunft jeder Zivilisation sind. Wotan und Alberich sind Zwillinge, die schon in der Zeit vor ihrer Geburt miteinander kämpfen. In dieser Inszenierung beschäftigt sich der reiche „Onkel“ Wotan mit Hagens Erziehung. Als die Rheintöchter (hier: Kinderbetreuerinnen) Alberichs Avancen ablehnen, entführt er den Jungen und bringt ihn in einen Kinderhort, den er zusammen mit Mime betreibt. In ihrer Obhut befinden sich schon die kleinen Walküren. Alberich „schmiedet den Ring“, das heißt, er formt den Charakter von Hagen auf seine Weise. Er macht das Kind zu einem kleinen Schlingel, der ohnehin, bedingt von dem ständigen Wechsel seiner Betreuer, traumatisiert ist.

In „Siegfried“ sehen wir Hagen als jungen Mann, der nach Fafners Tod den Titelhelden begleitet. Der Schatz des Nibelungen bekommt also einen neuen Wächter, leider nicht besser als die vorherigen. Hagens Tragödie ist, dass alle ihn haben wollen, aber sich niemand wirklich um ihn kümmert.

Im „Rheingold“ gibt ihm Wotan einen Zauberwürfel und überlässt ihn dann sich selbst. Der kranke Fafner zwingt Hagen an seinem Sterbebett zu wachen. Wie nachdrücklich passen dazu seine Worte: Ich lieg’ und besitz’. Nachdem Siegfried Brünnhilde geweckt hat, verliert er sein Interesse an Hagen. Kein Wunder, dass dieser zu einem rachsüchtigen und grausamen Menschen wird. Der hervorragende Bass Albert Dohmen, der diese Rolle in „Götterdämmerung“ singt, zeigt stimmlich und schauspielerisch die ganze geformte Figur. Die Rolle des „goldenen Kindes“ übernimmt im letzten Teil des Zyklus der kleine Sohn von Brünnhilde und Siegfried.

Schwarz verweist ebenfalls auf das Problem der Zerstörung der Natur durch die Zivilisation. Dies zeigt das Bühnenbild von Andrea Cozzi. In Wotans Luxusvilla befinden sich wenige Topfpflanzen in einem Glasfenster. Mime, der Siegfried großzieht, hat nur ein kleines Aquarium mit ein paar Grünresten. Die mit Geld und Karriere beschäftigte Wotan-Generation sieht in ihren Nachfahren ausschließlich die künftigen Erben und vermitteln ihnen keine Werte. Deshalb ist die nächste Siegfried-Generation ausschließlich konsumorientiert. Die Walküren (mit Ausnahme von Brünnhilde) wachsen zu Fashionsklavinnen auf, die ständig ihre Schönheit hegen und freudig „Hojotoho“ beim Kauf neuer Schuhe singen.

Der junge Siegfried nippt an Wodka, ernährt sich von Fast Food und zerstört alles, was er anfasst, schafft aber nichts.

Siegfried, Insz. Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Der Regisseur verwendet seine eigenen Requisiten. Er tauscht Wotans Speer gegen eine Pistole, die praktisch jede Art von Waffe ersetzt. Das Schwert Nothung ist ein scharfer Spieß, schlau im Körper einer Krüppelstange versteckt. Das gelbe T-Shirt von Hagen als Zeichen des Goldes, die weiße Pyramide in einem transparenten Würfel (ein Modell der Walhalla), das von kleinen Walküren gefärbte Porträt Wotans und Stoffpferde gehen von Hand zu Hand. Als Mensch tritt auch Brünnhildes geliebtes Ross Grane auf. Hagen ermordet es bestialisch. In „Die Götterdämmerung“ gibt es einige grausame Szenen, die jedoch aus Sicht der Bühnenhandlung berechtigt sind.

Götterdämmerung, Insz. Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Es gibt Ungereimtheiten in dieser entmythologisierten Tetralogie. Sieglinde ist schon hochschwanger, als Siegmund bei Hunding ankommt. Wenn es Hundings Kind ist, gibt es kein Inzestproblem. Aber Wotan könnte genauso gut der Vater sein, aufgrund seines anzüglichen Verhaltens gegenüber Sieglinde. Der Grad der Verwandtschaft zwischen Wotan und Siegfried ist unklar; soll er Wotans Enkel oder sein Sohn sein? Wotan bestraft Brünnhilde, indem er sie vorübergehend mumifizieren lässt. Warum also taucht im zweiten Akt von „Siegfried“ eine obdachlose Begleiterin von Erda auf, die Wotan liebevoll umarmt? Ist sie ein Alter Ego von Brünnhilde? Valentin Schwarz soll entscheiden, ob Brünnhildes Vater sie „einschläfern“ oder von zu Hause verbannen soll. Beide Ideen sind gut, aber ihre gleichzeitige  Umsetzung wirkt verwirrend.

Man sagt, für Wagner sollen Sänger und ihre Stimmen reif werden; vielleicht gilt das auch für Regisseure. Was die Umsetzung von Wagners Dramen im zeitgenössischen Kontext betrifft, bleibt für mich der „Ring“ von Tankred Dorst 2006 in Bayreuth ein Meisterwerk. Der 33-jährige Valentin Schwarz hat keine große Berufserfahrung, obwohl er 2017 den renommierten Ring Award gewonnen hat.

Ich finde jedoch seine Produktion interessant und diskussionswürdig. Es lohnt sich diesen Ring etwas zu schleifen. Mein Vorschlag ist, zu klären, wer eigentlich Siegfrieds Vater ist, und die Anzahl der überbeanspruchten Pistolen sowie der Statisten auf der Bühne etwas zu reduzieren.

Im nächsten Beitrag gehe ich mehr auf die musikalische Seite von diesem „Ring des Nibelungen“ ein, zu der die Meinungen ebenfalls geteilt sind.

Jolanta Łada-Zielke, 18. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

[1] Das Interview erschien am 15. Februar 2022 im Nordbayerischen Kurier.

Richard Wagner, Das Rheingold Bayreuther Festspiele, 31. Juli 2022

Richard Wagner Rheingold (31. Juli 2022) PREMIERE Die Walküre (1. August 2022) Bayreuther Festspiele, 31. Juli und 1. August 2022

Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 11. August 2022

3 Gedanken zu „Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, Teil 1: Die Regie
Bayreuther Festspiele 2022“

  1. Diese Rezension empfinde ich als ausgezeichnet – differenziert, kenntnisreich, intelligent mit Sachverstand gerecht und zukunftsorientiert. Natürlich stimmt da manches nicht, aber entlang der Musik aus dem emotionalen Gehalt hat der junge Regisseur stringent geschöpft – ich halte Herrn Schwarz für ein Talent – dem noch einiges entglitten ist. Man sollte sich aber nicht nur auf die dramaturgischen Erstaunlichkeiten konzentrieren sondern auch auf die handwerklichen – und da kann er schon einiges -ich habe z.B. keine Sänger an der Rampe gesehen.

    Tim Theo Tinn

  2. Diesen Idioten in Bayreuth hilft kein Arzt mehr. Schickt endlich diese unerträgliche Intendanz zum 😈 Teufel.

    Herby Neubacher

  3. Ich schließe ich mich dem Kommentar von Herby Neubacher an. Dieser RING (ich war im Premieren-Zyklus) ist ein einziger Bockmist von Anfang bis Ende, obendrein handwerklich miserabel gemacht. Ein TOTALSCHADEN, wie es in einer Rezension genannt wurde, den man dem Publikum keine weiteren 3 Jahre zumuten kann. Als Konsequenz für die vielen Fehlentscheidungen ihrer Intendanz sollte die Festspielleiterin schnellstmöglich ihres Amtes enthoben und durch einen renommierten Profi ersetzt werden. Anders kann der Laden in Bayreuth nicht mehr gerettet werden, es ist alles zu verfahren. Ich schlage den gegenwärtigen Wiener Staatsoperndirektor Roščić vor. Er hat es in nur 1 Spielzeit geschafft, den nach 10 Jahren der Direktion Dominique Meyer künstlerisch heruntergewirtschafteten Schlampladen dort wieder auf Vordermann zu bringen. Bayreuth befindet sich derzeit am Tiefstpunkt. Roščić zusammen mit Thielemann würden das Desaster in kurzer Zeit wieder in Ordnung bringen.

    Mike Barfuß

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert