Verismo, Konzert von Anna Netrebko und Yusif Eyvazov
Laeiszhalle Hamburg, 28. August 2016
Für die russische Sopranistin Anna Netrebko gehen manche Menschen durch Dick und Dünn. „Ich würde mein Leben geben für sie“, sagt der Hamburger Dr. Carsten Meyer-Tönnesmann, 62. Der frühere erste Trompeter in St. Michaelis und Musikwissenschaftler ist der bekanntesten Opernsängerin der Welt schon an viele Orte gefolgt. An diesem Sonntag hatte der Mann aus Hamburg-Rissen ein Heimspiel: Seine Anna sang mit ihrem Mann Yusif Eyvazov in der Hamburger Laeiszhalle 13 Arien und Duette aus ihrem neuen Album „Verismo“, das am Freitag in den Handel kommt und ab sofort im Internet zu bestellen ist.
Verismo ist eine Stilrichtung der italienischen Oper zwischen 1890 und 1920, und die Stücke zeigen, wohin die Reise der Anna Netrebko führt: Weltweit bekannt geworden ist sie 2002 bei den Salzburger Festspielen in der Rolle der Donna Anna in Mozarts Don Giovanni. Jetzt strebt sie ins schwerere, dramatische Repertoire. Sie hat sogar schon Richard Wagner gesungen und stand bei viel umjubelten Auftritten als Elsa von Brabant im Lohengrin in St. Petersburg und Dresden auf der Bühne – und gab bei einem Benefizkonzert in Berlin sowie im Wiener Musikverein sogar die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss zum Besten.
Dagegen waren die Arien und Duette aus Adriana Lecouvreur von Francesco Cilea, aus Turandot, Manon Lescaut und Gianni Schicchi von Giacomo Puccini, aus Pagliacci (Der Bajazzo) von Ruggero Leoncavallo, La Wally von Alfredo Catalani sowie Andrea Chenier von Umberto Giordano noch leichte Kost. Und Anna Netrebko sorgte an diesem Abend in der fast ausverkauften Laeiszhalle wieder einmal für magische Momente, für Glücksgefühle, für Gesangeswonnen, die tief unter die Haut gehen, weil die Russin mit dem österreichischen Pass mit solcher Hingabe singt, als sei dieser Auftritt ihr letzter. Ja, sie singt wie von einem anderen Stern.
Auch die Opernredakteurin Sabine Lange von NDR Kultur war von Anna Netrebko begeistert: „Sie ist und bleibt eine der besten Sopranistinnen der Welt. Ihre Stimme, der sie jetzt viel mehr Farben beimischt als früher, ist makellos, warm. Ihre Ausdrucksfähigkeit hat enorm zugenommen. Man glaubt ihr jetzt ihre Rollen und kann mitfiebern bei ihrem Weg zu den neuen Partien.“ Höhepunkt für Sabine Lange war das „Tu, tu, amore, tu“ aus Puccinis Manon Lescaut, das Anna Netrebko und Yusif Eyvazov auch bei den Salzburger Festspielen konzertant unter frenetischem Jubel geboten hatten: „In diesen Minuten verschmelzen die beiden Stimmen mit dem Orchester auf überirdische Art – der Himmel schien sich zu öffnen.“
In Puccinis „In questa reggia“, das Anna Netrebko als Prinzessin Turandot (mit rosafarbenen Finger- und Fußnägeln) das erste Mal öffentlich sang, zeigt die Sopranistin, das ihre Strahlkraft in der Höhe ungebrochen ist; in Francesco Cileas „Ecco.. respiro appena… Io son l’umile ancella“ vereinten sich atemberaubende Kraft in der Höhe mit einem himmlisch warmen Mezzo.
„Das Timbre der Netrebko ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es fast wie ein Mezzo klingt, aber ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen“, resümiert das Neue Volksblatt aus Österreich. „Ihr Geheimnis besteht aber außer den gesanglichen Qualitäten vor allem in ihrer Präsenz – Anna Netrebko kommt auf die Bühne, und sie gehört ihr allein. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ebenso ihre darstellerische wie gesangliche Energie zum Blühen bringt.“
Die Zuschauer in Hamburg waren zu großen Teilen überwältigt von der Leistung Anna Netrebkos. „Das Konzert war atemberaubend schön, Annas Stimme ist rund, ausdrucksstark und sehr warm“, sagte die Hamburgerin Katja Noatsch, 54. „Sie singt mit sehr viel Herzblut und makellos strahlend, so dass man mehr hören möchte. Anna zieht einen mit hinein in die wunderbare Musik.“
Stefan Marott, 53, und Frank Jacob, 51, aus Potsdam schätzen Netrebkos „angenehmen, raumfüllenden Sopran“. Auch sein 21 Jahre alter Sohn wäre gerne mitgekommen, sagte Frank Jacob. Angela Behn, 71, und Hans-Peter Behn, 74, aus Hamburg spüren, „dass man bei Anna Netrebko nie merkt, dass viel Arbeit hinter der Ausdruckskraft steckt“. Niels Paradies, 52, der gemeinsam mit André Paradies, 52, das Konzert besuchte, fand Netrebkos Stimme „sehr rassig, kraftvoll und präzise“. Und Antje Brüning, 50, aus Hamburg empfand das Konzert als „sensationell – Anna Netrebko singt kraftvoll und ausdrucksstark.“
Kritik gab es allein von den sehr erfahrenen Opernbesuchern Peter, 78, und Ursula Hülsbergen, 79, aus Hamburg, die in Reihe 5 im Parkett saßen. „Wir haben Anna Netrebko zuletzt in London, Paris und New York gehört“, sagte Peter Hülsbergen. „Ihre Stimme ist wunderbar, aber hier in der kleinen Laeiszhalle völlig übersteuert. Man hat den Eindruck, sie wolle die Arena in Verona beschallen müssen.“
Und Yusif Eyvazov? Er zeigte, dass er ein guter, kraftvoller Tenor ist, der auch passabel bis zum hohen C singen kann. Aber ihm fehlt im Vergleich zu seiner Ehefrau das Magische, das Außergewöhnliche. Leider brachte der Tenor mit rhythmischen Unsauberkeiten mehrfach den Dirigenten Jader Bignamini und das Tschechische Nationale Symphonieorchester in Bedrängnis. Beim „Nessun Dorma“ (Turandot/Puccini) als Zugabe – einem Stück, das in Italien jede Hausfrau singen kann – geriet das Orchester wegen Eyvazov gewaltig ins Trudeln und musste mehrere Takte lang vollständig nach den korrespondierenden Noten suchen.
Aber das hatten die Zuschauer nach den letzten Takten schnell wieder vergessen. Viele Fans waren mit lauten Bravo-Rufen und leider auch zahlreichen Fotoaufnahmen während der Aufführung ohnehin aus dem Häuschen. 300 von ihnen standen ab 22 Uhr noch für ein Autogramm der großen Anna an.
Andreas Schmidt, 29. August 2016
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