Mojca Bitenc, Foto: © Rok Deželak
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
Folge 1: Mojca Bitenc und Domen Križaj
Arien und Duette im Livestream aus der Oper Frankfurt mit Mojca Bitenc, Domen Križaj und Felice Venanzoni am Klavier, Nov. 2020
von Lorenz Kerscher
Slowenien war lange Zeit ein weißer Fleck auf meiner musikalischen Landkarte. Die Oberkrainer Volksmusik war mir zwar ein Begriff, doch ich hörte sie so gut wie nie. Und aus der Klassikwelt des gerade zwei Millionen Einwohner zählenden Landes war noch nie etwas bis zu mir durchgedrungen. Dies änderte sich im Sommer 2018 bei den Bregenzer Festspielen, als bei der spektakulären Produktion von „Carmen“ eine traumhaft schöne, warm grundierte und bis in die Höhe voll und klar klingende Stimme als Micaëla zu hören war. Es war die junge Slowenin Mojca Bitenc (beide Buchstaben c werden wie das deutsche z ausgesprochen), die dann beim Schlussapplaus die Bravorufer auch ganz auf ihrer Seite hatte.
Neugierig geworden, befragte ich Google und brachte in Erfahrung, dass sie einen 2. Preis beim polnischen Ada-Sari-Gesangswettbewerb und einen 3. Preis beim hoch angesehenen Salzburger Mozartwettbewerb gewonnen hatte und dass sie im Vorjahr bei den Bregenzer Festspielen an Projekten mit jungen Künstlern beteiligt war. In YouTube fand ich zahlreiche Videos, die ihren Werdegang vom Kinderstar der Oberkrainer Volksmusik über Konzertabende der medizinischen Fakultät und der Musikakademie, Auftritte mit teilweise ungewöhnlichen Ensembles wie Blasorchester und Balalaikaorchester und schließlich bis hin zur makellosen Darbietung im Wettbewerbsfinale nachvollziehbar machten.
Mojca Bitenc singt die Arie der Donna Anna aus Don Giovanni, 3. Preis beim Salzburger Mozartwettbewerb 2018
Die meisten Treffer meiner Recherchen waren in slowenischer Sprache, so auch das unten zitierte ausführliche Interview, dessen automatische Übersetzung zwar einige seltsame Stilblüten hervorbrachte, aber doch guten Aufschluss über die interessante Entwicklung der jungen Künstlerin gab. Trotz ihrer Erfolge als Sängerin bei einigen Oberkrainer Volksmusikgruppen wollte sie von Kindheit an Ärztin werden und studierte deshalb in Ljubljana Medizin. Da sie das Singen nicht aufgeben wollte, nahm sie nebenbei Unterricht an einer Musikschule. Bald drängte sie ihr Lehrer, die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie zu machen, wo sie dann parallel zur Medizin Gesang studierte. Hiervon sollten die Medizinprofessoren möglichst wenig mitbekommen, doch mag manchem Zuhörer der Fakultätskonzerte die offensichtliche Doppelbegabung aufgefallen sein.
An der Musikakademie begegnete sie einem flüchtigen Bekannten aus dem Medizinstudium, der ebenfalls seine Stimme ausbilden wollte, und wirkte mit ihm in verschiedenen Projekten zusammen. Eines davon war Anfang 2014 eine sehr gelungene Aufführung von Niccolò Piccinnis richtungsweisender Opera buffa „La Cecchina“. Hiervon gibt es eine sehenswerte Videoaufzeichnung, die auch nachweist, welches hohe Niveau die Gesangsausbildung an Sloweniens einziger Musikakademie hat. Darin stellte der Bariton Domen Križaj den erfolglosen Verehrer des von Mojca Bitenc dargestellten gutherzigen Findelkinds Cecchina dar, doch im wahren Leben war das Glück auf seiner Seite und er schloss mit ihr wenige Jahre später den Bund fürs Leben.
Beide brachten im Jahr 2016 sowohl das Medizin- als auch das Gesangsstudium zum Abschluss. Mojca Bitenc bekam bald die Chance, am Opernhaus von Ljubljana große Rollen wie die Donna Anna in „Figaros Hochzeit“, die Antonia in „Hoffmanns Erzählungen“, die Marie in der „Verkauften Braut“, Violetta in „La Traviata“ und die Pamina darzustellen. Zusätzlich besuchte sie Aufbaukurse an der Musikakademie in Zagreb. Bald ergab sich auch die Mitwirkung bei den Bregenzer Festspielen, während im Jahr 2020 ihr Debüt an der Staatsoper Hamburg als Donna Anna leider wegen Corona entfallen musste. Ich wünsche ihr von Herzen, dass das bald nachgeholt werden kann!
Domen Križaj nahm von 2017 bis 2019 am Opernstudio des Theaters Basel teil und gehörte dann ein Jahr lang dem Ensemble dieses Hauses an. Ab der Spielzeit 2020/2021 ist er fest an der Frankfurter Oper engagiert. Rollen wie Eugen Onegin, Albert in Massenets „Werther“, Marcello in „La Bohème“ und Lescaut in Puccinis „Manon Lescaut“, die er bislang darstellte, könnte man unter dem Schlagwort „Kavaliersbariton“ zusammenfassen. Zu dieser Kategorie passt seine Stimme, die ein Rezensent recht zutreffend als „viril mit einem schönen Obertonspektrum“ charakterisiert hat. Hinzu kommt die selbstbewusste und energiegeladene Ausstrahlung des jungen Mannes, der, so denke ich, allerbeste Karrierechancen hat.
Domen Križaj mit der Arie des Grafen aus Figaros Hochzeit, 2. Preis beim Wettbewerb Neue Stimmen, Gütersloh 2019
Mojca Bitenc Križaj und Domen Križaj, beide groß gewachsen, sind auch äußerlich ein schönes Paar und es sind einige Konstellationen vorstellbar, in denen man beide gerne zusammen erleben möchte. Das sind nicht nur Tatjana und Onegin, die von beiden schon 2016 beim belgischen Festival „Zomeropera Alden Biesen“ dargestellt wurden. Ganz gewiss würden sie auch als Graf und Gräfin in „Figaros Hochzeit“ überzeugen, ebenso als Nedda und Silvio in „Pagliacci“ oder als Arabella und Mandryka. Doch auch wenn sie eigene Wege gehen, werden sie, davon bin ich überzeugt, als Künstler mit Wiedererkennungswert zu festen Größen in der Welt der Oper werden. Es muss nur noch das geschehen, was längst geplant, aber wegen Covid derzeit nicht umsetzbar ist: nämlich dass sie auf bedeutenden Bühnen in attraktiven Rollen vor das Publikum treten und dieses begeistern können.
Lorenz Kerscher, 4. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
Offizielle Webseite von Mojca Bitenc
Biografisch sortierte Playlist von Mojca Bitenc
Playlist von Oberkrainer Volksmusik mit Mojca Bitenc
Interview von Mojca Bitenc von Dez. 2018 (in Slowenisch):
Dekle, o katerem se bo še govorilo (Ein Mädchen, über das man reden sollte)