Foto: Wien Kultur
Als wir (noch) nicht „Merker“ und „Blogger“ waren.
Erinnerungen an schöne musikalische Erlebnisse
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Es ist kein Tippfehler. Bei „Dona“ oder „Donn“ wäre es schon eher möglich gewesen als bei gleich zwei Buchstaben hintereinander. Überlegenswert, das Werk nicht gleich Donna Giovanna zu nennen.
Es handelt sich um eine „Oper frei nach Mozart und da Ponte in zwei Akten für sechs Komödiantinnen und ein Piano (Pianist Gustavo Rivero) in Itanol (Mischung aus Italienisch und Spanisch)“. Die Bearbeitung oblag der Pianistin und Komponistin Alicia Urreta.
Regie führte Jesusa Rodríguez, Schauspielerin und Regisseurin, verheiratet mit Liliane Felipe, die ebenfalls mit ihr in der mexikanischen Compagnie Divas mitwirkte. Sie ging – nicht verwunderlich – später in die Politik und kämpfte für die Freigabe von Marihuana.
Die Erstaufführung fand 1983 in Mexiko statt. Ein Jahr später startete die Kompagnie ihre Europatournee über Paris, München, Barcelona und Mailand, bis sie anlässlich der Wiener Festwochen 1985 unter der Intendanz von Dr.in Ursula Pasterk im Messepalast landete.
Typisch für diese Inszenierung war, dass Gemälde zitiert und nachgestellt wurden (Cranach, Botticelli, Manet). Und wenn Don Giovanni zum Schluss in die Hölle gerissen wird, so gleicht diese Dantes Inferno, wie sie Dalí vielleicht gemalt hätte.
Nicht Don Giovanni steht im Mittelpunkt, sondern die Frauen sind in dieser Interpretation die Hauptsache. Mozarts Musik soll tiefer sitzen. Jesusa Rodríguez schuf diese Version in memoriam Fiona Alexander, die an der Oper von Mexico „Don Giovanni“ inszenieren wollte mit der Idee, die Frauengestalten dieser Oper lebendiger zu machen, dann aber verunglückte. Die Schauspielerinnen (!) schlüpfen abwechselnd in die Rolle des Don Giovanni, leben auf diese Weise ihre Sehnsüchte aus. Donna Elvira zum Beispiel ist hier mehr Subjekt denn Objekt. Rekelnd träumt sie im Halbschlaf sichtlich Schönes. In dieser Produktion ist „Donna“ Giovanni eine Erfindung von Frauen, ihr Geschöpf, ein Produkt ihrer Sinnlichkeit.
In einer Sache differiert unsre Ansicht mit der von Rodríguez. Sie ist sich sicher, dass im nicht gezeigten Schlafgemach Donna Annas kein Kampf stattfand, sondern Einverständnis gegeben war. Wir vermuten eher aus Donna Annas späteren Reaktionen eine ausgeprägte Vaterbeziehung.
Rodríguez arbeitete als Schauspielerin mit ausgezeichneten Regisseuren zusammen, aber oft kam der Augenblick, wo sich für sie Welten trennten. Männer arbeiten bei Frauengestalten zu gekünstelt, ihnen fehlt ihrer Meinung nach die Intuition. Das erinnert uns an ein Interview mit der großartigen „Lulu“ der Wiener Staatsoper, Agneta Eichenholz, die immer wieder die Erfahrung machen musste, dass Regisseure bei dieser Rolle zu kompliziert denken.
Was bass erstaunte, die jungen Damen zwischen zwanzig und dreißig Jahren sind mit einer Ausnahme Schauspielerinnen ohne intensiven Gesangsunterricht.
Nur der schöne Alt der Regina Orozco, die den ganzen Abend hindurch Leporello bleibt, hat einen professionelleren Hintergrund. Zehn Jahre später als „mujer insumisa“ (rebellische Frau) auf der Leinwand zu sehen.
Das alles unter den Augen der heiligen Theresia von Ávila. Das Gesicht dieser ekstatischen Mystikerin von Bernini aus Marmor gestaltet wird als Ausschnitt zur Kulisse. Wenn im Programmblatt behauptet wird, nicht so sehr aus Liebe zu Gott als aus Angst vor der Tyrannei eines Ehemanns sei sie Nonne geworden, so wird der Charakter dieser Persönlichkeit nach unsren dadurch ausgelösten Recherchen etwas verzeichnet, auch wenn ihr Satz von der Gnade, der Tyrannei eines Ehemanns zu entkommen, authentisch ist.
„Was geht in den Frauen vor, die bei dieser Aufführung kreativ mitgewirkt haben?“, fragte damals vor mehr als dreißig Jahren nachdenklich die Presse.
Lothar und Sylvia Schweitzer,24. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 77: Werden wir Opern untreu? klassik-begeistert.de, 13. Dezember 2022
Schweitzers Klassikwelt 72: Die Oper und ihr Bühnenbild klassik-begeistert.de 4. Oktober 2022