Julia Fischer © Felix Broede
Wie eine Zehnkämpferin zeigt sich die Ausnahme-Geigerin Julia Fischer von allen Seiten der Klassik. Sanften, seligsten Bach, zwei zauberhafte Streicherserenaden und selbst ein deftig-heftiges Schnittke-Konzert serviert sie mühelos wie in einer Silberschüssel.
Elbphilharmonie Hamburg, 16. Mai 2023
Academy of St. Martin in the Fields
Julia Fischer, Violine und Leitung
Lena Neudauer, Violine
Werke von Johann Sebastian Bach, Alfred Schnittke, Edward Elgar und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky
von Johannes Karl Fischer
Es ist eine Sache, dieses haarsträubende Doppelkonzert von Alfred Schnittke so scheinbar mühelos zum Klingen zu bringen. Allein schon alle Noten korrekt zu spielen, grenzt an ein wahres Wunder. Und wenn die Weltklasse-Violinistin Julia Fischer mit ihrem federleichten Geigenspiel das ganze Publikum an die Hand nimmt und durch die wunderbare Welt dieser bewusst schrill und dissonant komponierten Klänge führt, wird aus dem wahren Wunder ein höchstes – nein, das höchste – Wunder der Klassik. Plötzlich lässt sich auch diese an sich schwer verdaulich Musik herzhaft goutieren.
Doch jedes gute, deftige Mahl braucht ein umso besseres Amuse-Gueule. Sanft und selig segelt ein edler Bach-Klang durch den Saal der Elbphilharmonie. Das Doppelkonzert des Thomaskantors, ein Klassiker. Man fühlt sich wie in einer anderen Zeit. Ganz weit weg von der verrückten Welt des heutigen Wahns.
Die bringt dann Schnittke höchste präsent und unmissverständlich zum Klingen. Dieses Werk hat es in sich. „Concerto grosso“, so der Titel im Programmheft. Klingt auch ganz klassisch. Und prompt legt er auch mit einem Klaviersolo los. Aber irgendwas klingt da schief, schräg. Ja, das Klavier ist präpariert, mit Münzen und Gummi.
Und aus dieser Welt eines verstörten Präludiums reißt Julia Fischer gemeinsam mit ihrer künstlerische Partnerin Lena Neudauer die Elbphilharmonie ganz sanft ins Jahr 1976. Eine unbegreifliche Energie fegt durchs Haus, die Musik tobt mindestens genauso verrückt wie die Welt, in der wir alle leben. Diese erschütternden Emotionen fliegen wie ein Schwarm wild gewordener Bienen durch den Saal, dass man nur auf der Stuhlkante sitzt. Und am Ende ist es doch alles nur Bach, halt angekommen im geistigen Zustand der Menschheit des 20. Jahrhunderts…
Nach diesen höchst turbulenten Klängen braucht es erst mal ein bisschen romantische Tonmalerei und wieder runterzukommen. Als Zwischenspiel also die Elgar-Streicherserenade, wunderbar musiziert von der Academy of St. Martin in the Fields… die sich die ganze Zeit hinter den Solistinnen einreihen und – natürlich im übertragenen Sinne – die zweite Geige spielen musste. Ach ja, Julia Fischer sitzt jetzt am ersten Pult, auch das Ensemble kann ihrem Klangzauber anscheinend nicht widerstehen und lässt die Serenade durch den Saal strahlen.
Das alles ist aber nur ein Vorspiel zum eigentlichen Höhepunkt des Abends mit der Tschaikowsky-Streicherserenade. Ich hätte nicht gedacht, dass irgendjemand nach diesem packenden, mitreißenden Schnittke-Konzert noch einen drauf setzten kann. Doch wie konnte ich mich nur irren. Sanft schwimmt und schwingt diese Musik dahin wie ein stiller, warmer Stadtparksee an einem sommerlichen Augustabend. Schwerelos schwebt man dahin, noch bevor einen der Walzer in Gedanken durch prächtige Barocksäle tanzen lässt und die Elegie mit voller Innigkeit durch die tiefe Nacht singt. Am Ende tobt auch diese Musik, doch diesmal streicheln die Streicher mit hellem C-Dur-Klang die Ohren des Publikums. Kunst ist eben auch was Schönes.
Eine Zugabe gab’s auch noch: Eine flotte Gavotte von Janáček. Der Abend ist perfekt.
Julia Fischer beweist sich wieder einmal als einzigartige Ausnahmekünstlerin und zieht wie eine Zehnkämpferin durch die ganze Welt der Klassik. So lässt sich auch Schnittke richtig köstlich goutieren!
Johannes Karl Fischer, 22. Mai 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Symphoniker, Philippe Jordan, Julia Fischer, Musikverein Wien