Der Wechsel-Abend in Wiesbaden: „Siegfried“ bleibt immer ein guter Siegfried

Richard Wagner, Siegfried  Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 31. März 2024

Hessisches Staatstheater Wiesbaden ©  31. März 2024

Richard Wagner, Siegfried

von Dr. Bianca Maria Gerlich

Drama um „Siegfried“! Am späten Freitagabend hatte Klaus Florian Vogt die Hauptrolle indisponiert absagen müssen und es war gar nicht so leicht gewesen zu Ostern Ersatz für diese Wahnsinnsrolle zu finden. Zum Glück sprang Stefan Vinke ein. Dabei blieb es aber nicht. Nur zwei Stunden vor der Aufführung sagte der Dirigent Michael Güttler, plötzlich von Schüttelfrost und Fieber geplagt, ab. Es übernahm zum Glück Holger Reinhardt, der in Wiesbaden zwar als Dirigent arbeitet und u.a. „Lohengrin“ in dieser Saison schon geleitet hat, aber eben noch nie den „Siegfried“. Premiere für ihn!

Der „Sprung in kalte Wasser“ gelang Reinhardt wirklich sehr gut. Das Orchester spielte über weite Strecken schön transparent und auch sehr frisch, manchmal etwas zu laut, aber das war unter Güttler nicht viel anders gewesen. Reinhardt wurde ab dem zweiten Aufzug schon beim Hereinkommen förmlich bejubelt und natürlich auch ganz am Ende, zu Recht, denn er hatte den Abend im letzten Moment nicht nur gerettet, sondern ihn wirklich gut ge(kapell)meistert.

Zunächst entfaltete sich ein schöner Abend. Am besten gelang der erste Aufzug, szenisch die übliche Rumpelkammer der Männer-WG, wie sie gern gezeigt wird. Es deutet sich hier schon an, was im zweiten Aufzug zum Hauptthema wird: die Digitalisierung, die der junge Siegfried im Gegensatz zu den „Alten“ beherrscht und zum Konzernchef in Nachfolge der F&F- Bank wird, als er deren Chef Fafner ebenfalls virtuell auslöscht.

Game over für Fafner, Victory für Siegfried. Das leuchtet ein, auch wenn manche Wagner-Texte jetzt nicht mehr passen.

Vinke gestaltete den Siegfried besonders im ersten Aufzug sehr gut, wusste genau, was zu tun ist, was ja gar nicht so einfach in all dem Durcheinander ist. Vermutlich hatte der Tenor sich auf den ersten Aufzug noch intensiv vorbereiten können, im zweiten wurde es dann etwas weniger intensiv und im dritten mangelte es doch sehr an Interaktion, das ist aber vielleicht in großen Teilen der Regie geschuldet. Waren der erste und zweite Aufzug noch mit ansprechenden Bühnenbildern und plausiblen Regie-Einfällen gefüllt, versandete der dritte Aufzug in der Arena des Pferdestalls, in dem immer noch – folgerichtig – die Statue steht, in die Wotan Brünnhilde am Ende der „Walküre“ eingesperrt hatte. Doch dass dieses Bild schon zu den ersten beiden Szenen des dritten Aufzugs gezeigt wird, ist unpassend.

Ärgerlich ist auch, dass keine andere Möglichkeit gefunden werden konnte, Brünnhilde auf die Bühne zu bringen. Die Sängerin schreitet kurz vor ihrem Auftritt sehr sichtbar zur Statue und setzt sich von hinten hinein. Das kann man sicherlich auf einer kleineren Bühne mit wenig technischen Möglichkeiten so lösen, aber doch nicht im Hessischen Staatstheater! Dabei wäre es doch so einfach gewesen: Diese Statue hätte nur weiter hinten stehen müssen und dann passend zur Feuerdurchschreitung nach vorn geschoben werden können. Auch andere Varianten sind denkbar.

Sängerisch blieb die letzte Szene des dritten Aufzug hinter allem anderen zurück. Das mag natürlich auch dem Umstand geschuldet sein, dass sowohl der Dirigent als auch Vinke kurzfristig eingesprungen waren. Manuela Uhl musste sich zudem gleich auf zwei neue „Partner“ einstellen. Sie wirkte zeitweise verunsichert und es wäre fast besser gewesen, die beiden Hauptprotagonisten hätten sich an die Rampe gestellt und nur auf das Singen konzentriert. Jedenfalls ging die spürbare Überforderung zu Lasten des feinen Gesangs. Wagner hat nicht nur Forte in diese letzte Szene geschrieben.

Überragend war an diesem Abend der Sänger des Alberich, Kammersänger Thomas de Vries, der die Rolle so weiterentwickelte, wie er sie im „Rheingold“ angelegt hatte. Das war höchste Sangeskunst und eine hervorragende Darstellung. Auch Paul Kaufmann als Mime konnte stimmlich und darstellerisch überzeugen, er gefiel mir sogar noch besser als im „Rheingold“, hatte aber hier auch einen größeren Rollenumfang und konnte dadurch viele Facetten zeigen. Das gelang ihm wirklich gut. Zusammen mit Vinke brachte er die für mich überzeugendsten Szenen des ganzen Abends zustande. Sie harmonisierten hervorragend.

Simon Bailey hat mir als Wotan in der „Walküre“ etwas besser gefallen als jetzt als „Wanderer“, und auch Manuela Uhl lag die jugendliche Walküre deutlich mehr als die wiedererweckte. Young Doo Park (Fafner) und Helena Köhne (Erda) sangen ihre recht kurzen Rollen souverän. Im zweiten Aufzug ragte Anastasiya Taratorkina als „Waldvogel“ heraus, gesanglich und darstellerisch wunderbar.

Am Ende wirkten alle sehr zufrieden, ein Blick in den Orchestergraben zeigte frohe und erleichterte Gesichter über den gelungenen Abend!

Dr. Bianca Maria Gerlich, 1. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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