Schweitzers Klassikwelt 133: Werden wir weiter Opernfans bleiben können? Unsere Vorstellung von Operngesang

Schweitzers Klassikwelt 133: Werden wir weiter Opernfans bleiben können?  klassik-begeistert.de, 18. März 2025

Deckenbeleuchtung Teatro la Fenice (Venezia) © Lothar Schweitzer

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Ein Operngenuss kann vielgestaltig sein. Als Heimoper analog dem Heimkino über das Fernsehen oder über den Hörfunk. Studioaufnahmen auf Compact Discs weichen immer mehr Live-Mitschnitten auf DVDs, was ehrlicher ist, denn die Studio-Aufnahmetechnik vermag auszugleichen. Freunde leisten sich da kostspielige Wiedergabegeräte.

Meine Frau Sylvia gewann ihre ersten Eindrücke von Kunstgesang direkt von der Bühne her in der Wiener Volksoper.

Vor dem Vorhang der Wiener Volksoper © Barbara Pálffy

Mein Weg war ein andrer zu einer Zeit, in der gerade der Wechsel von der Schellackplatte zur Langspielplatte begann. Es war dann ein dramatisches Erlebnis, die Lieblinge der Opernquerschnitte das erste Mal live im Opernsaal zu erleben. Das einschneidendste Erlebnis war der italienische Baritonkrösus Aldo Protti. Eine mächtige, nicht gerade feinsinnige Stimme, was ich damals im jugendlichen Übermaß an Begeisterung nicht wahrhaben wollte.

Aldo Protti als Rigoletto © Foto Fayer

Seine Stimme füllte über das Orchester hinaus den Raum bis an die Decke. Und das prägte unsere Vorstellung von Operngesang, nämlich das Raumfüllende. Wobei wir unter Raum, wie oben ausgeführt, eine eingegrenzte Ausdehnung verstehen, also kein Open-Air-Event auf einer Seebühne oder in einer offenen Landschaft, das heute mit seinen technischen Hilfsmöglichkeiten so viel Begeisterung auslöst.

Oper im Steinbruch, St. Margarethen im Burgenland: Turandot

Der technikverliebte Mozart, der Romantiker Verdi und der erfolgsverwöhnte Puccini wären vielleicht auf dieser Welle begeistert mitgeritten. Die Notwendigkeit von stimmverstärkenden Mikroports hätten sie wahrscheinlich nicht gestört. Das wirkungsvolle Ergebnis heiligt die Mittel.

Sehen Sylvia und ich Kunstgesang eher als Sport? Seit einiger Zeit meiden wir früher gern besuchte Theater, weil wir bei Operetten und weniger bewegungsintensiven Musicals in der Vorschau Kleinstmikrofone an Stirn oder Wange der Ausführenden entdecken. Die Bühne Baden hat das uns gegenüber einmal damit verteidigt, dass das ältere Publikum bei Sprechpassagen, wenn sie im Hintergrund der Bühne stattfinden, Hörschwierigkeiten hätten. Aber das wäre eine Sache der Regie, dieses Problem zu lösen.

Das ist nicht mehr unsre Musikwelt. Es erscheint uns heute unglaublich, vor Jahrzehnten „Showboat“ ohne Verstärkungstechnik erlebt zu haben. Die fantastischste Optik (siehe Bild vom Steinbruch oben) und das Bombastische der diesjährigen „Aida“ am selben Ort kann uns den natürlichen Fluss der Stimme nicht ersetzen. Sind wir Puristen? Kunstgesang bleibt eben, wie der Name schon sagt, nicht natürlich. Ist für den Menschen Gesang nicht eine Grenzsituation? Die Mozartzeit kannte noch nicht die Entwicklung des sogenannten Wagnergesangs. Manche Fiorituren in „Don Giovanni“ finden wir gekünstelt und störend. Die in Wien lebende englische Mezzosopranistin Anna Clare Hauf erforscht mit dem Komponisten Pierluigi Billone neue vokale Techniken.

Anna Clare Hauf © Michael Kneffel

Wird uns diese Art von Kunstgesang noch gefallen? In Alexander Raskatovs „Animal Farm“ nach George Orwell wird teilweise eine andere Stimmakrobatik gefordert als die klassische Koloratur. Da trat ein Sänger auf, dessen Repertoire sowohl Helden- als auch Countertenorpartien umfing. Außerdem war er Haute-Contre, der in hohen Lagen noch mit Bruststimme singt. Eine auffallend hohe Zahl an Charaktertenören waren im Ensemble vertreten. Eine ausgleichende Ergänzung zu den vielen stimmlichen Eskapaden schenkten uns dann zwei Mezzosopranistinnen, die ihre Stimme ohne exzentrische Ausschweifungen ruhig strömen lassen durften.

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz spricht von einer zu beobachtenden Tendenz einer Auslagerung körperlicher Eigenschaften. Das fängt mit der Brille und dem Feldstecher an und endet mit dem Herzschrittmacher und dem Lautsprecher.

War die Begeisterung für unsere Leserinnen und Leser – vor allem der Relativsatz – nachvollziehbar, als wir einmal schrieben: „Ihre dramatischen Höhenflüge und Temperamentsausbrüche erreichten eine Raumfülle, die das im Text Ausgesagte geradezu überstieg.“?

Lothar und Sylvia Schweitzer, 18. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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