Hotel Metamorphosis 2025 © SF Monika Rittershaus
Alle Register. Schauspiel! Tanz! Historisch informierte Musikinstrumente! Konzentriertes Dirigat! Top-Hits von Vivaldi. Vier großartige Stimmen, locker, leichtgängig, flüssig, brillant! Kraftvolle Geschichten. Starke Emotionen. Voller Einsatz. Mehr geht nicht.
Hotel Metamorphosis
Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi in zwei Akten
Fassung von Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt
Musikalische Leitung Gianluca Capuano
Les Musiciens du Prince
Regie Barrie Kosky
Eurydice / Arachne Cecilia Bartoli
Statua / Myrrha / Echo Lea Desandre
Minerva / Nutrice / Juno Nadezhda Karyazina
Pygmalion / Narcissus Philippe Jaroussky
Orpheus Angela Winkler
Haus für Mozart, Salzburg, 6. Juni 2025
von Frank Heublein
Im Haus für Mozart in Salzburg wird an diesem Abend das Opernpasticcio Hotel Metamorphosis mit Musik von Antonio Vivaldi und Geschichten aus Ovids Metamorphosen auf die Bühne gebracht. Opernpasticcio? Ist ein „Best of“ in diesem Fall – fast ausschließlich – von Vivaldis Kompositionen.
Im 18. Jahrhundert ist das Pasticcio eine beliebte Art, Kasse mit Opern zu machen. Es gab da einen neuen Job, den des Impresarios. Der war für alles an der Oper verantwortlich: Stoff, Ort, Organisation, Beteiligte, Bezahlung. Er trug das volle wirtschaftliche Risiko. Schön finde ich die Pasticcio Definition des Programmbuchs: „Absicht, mit minimalem Aufwand ein möglichst effektives künstlerisches Ergebnis zu erzielen.“ Also: viel Wiederverwertung bekannter und beliebter Nummern, ein neuer Mix, hie und da neu Komponiertes und schwupps steht der Abend. Fällt dieser wirtschaftlich durch, kann er schnell durch ein nächstes Pasticcio ersetzt werden.

An diesem Abend ist der Aufwand mitnichten minimal. Schauspiel! Tanz! Historisch informierte Musikinstrumente! Konzentriertes Dirigat! Vier großartige Stimmen! Rauchende Seelen der Unterwelt und maximale Bühnentiefe (vor-hinter), ein Bühnenteil wird angelupft (hoch, runter). Sehr eindrucksvolle Videoinstallationen. Beispiele, dass die Inszenierung mit allem auffährt, was ich mir vorzustellen vermag. Ist das künstlerische Ergebnis effektiv? Ja, Wirkung ist da. Doch der Abend hat trotz großer Klasse in allen genannten Bereichen auch Längen. Fünf Geschichten aus Ovids Metamorphosen werden zum Opernabend zusammengefügt und fast ausschließlich Kompositionen von Vivaldi eingesetzt. Vier Stunden inklusive Pause verteilt auf zwei Akte mit Prolog. Schauspielerin Angela Winkler als Orpheus ist die Person, die durch den Abend führt. Als Sprechrolle angelegt, erzählt sie die Geschichten. Haucht ihnen pralles Leben ein. Dieses Nacheinander von „Erklärung“ und in Musik gesetzter Emotion erzeugt in mir die Längen. Inhaltlich notwendig, doch Emotionen erklärt zu bekommen, das wirkt auf mich bei dreieinhalb Stunden Länge netto zuweilen langatmig. Ich ärgere mich in diesen „jetzt könnt es weitergehen“-Momenten über mich selbst, sie dauern deshalb länger. Dass diese Zwischenräume entstehen, liegt für mich im Pasticcio als Machart begründet.

Im Prolog sehnt sich die bereits ins Totenreich hinabgeglittene Eurydice nach Orpheus. Hauchzart, fein und gut pointiert setzt das Orchester ein.
Vor der Pause dann Pygmalions Geschichte, wie er sich in die von ihm selbst gefertigte Statue verliebt, die von der Göttin Venus zum Leben erweckt wird. Arachne fordert die zuständige Göttin Minerva zum Webduell. Verliert und wird aus Mitleid in eine Webspinne verwandelt. Myrrha liebt den eigenen Vater auf ganz falsch! weiß sie selbst! aber trotzdem! erotische Weise, gelangt in sein Bett. Sündhaft schwanger wie sie ist, weder lebenswillig noch todessüchtig wird sie in den Myrrhe-Baum verwandelt – Timber! Gefällter Baum auf der Bühne.
Nach der Pause die Geschichte von Narcissus und Echo. Er verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild und braucht auch in dieser Inszenierung eine sehr lange Weile, um das zu checken. Echo verknallt sich in ihn. Oh menno Echo. Achtung! bei der Typwahl. Nur sein Spiegelbild lässt ihn innerlich erzittern 🙄. Sie kann aber, da sie Juno mit ihrer Wortgewandtheit auf die Nerven ging, nur noch die letzten Worte des Gegenübers wiederholen. Na? Genau! Wird so nix. Echo löst sich körperlich auf, wird bloßer Hall. Narcissus, Sie schließen gut!, wird zur Blume verwandelt. Zum Schluss des Abends dann das Ende Orpheus. Anfangs steht Eurydice auf dem Schlauch (Orpheus ist doof), doch nach seinem Tod sind sie wieder vereint. Die Bacchantinnen zerreissen ihn in Stücke. Kopf ab. Bäng. Eurydice besingt und küsst diesen. Bewegt der Kopfstumpf etwa die Lippen? In Reihe 21 habe ich diesen Eindruck. Abgefahren. Aus. Applaus.
Kraftvolle Geschichten voller Emotion. Top-Hits von Vivaldi. Wunderbar. Gianluca Capuano leitet Les Musiciens du Prince – Monaco einfühlsam und setzt exakte Tempi. Durch den Einsatz historischer Instrumente ist der Klang ziseliert, gebrechlicher als auf zeitgenössischen Instrumenten. Der Klang passt zum Inhalt der (vier von) fünf Geschichten des Scheiterns damit hervorragend. Eins der Hinhörschmankerl: die gedämpften Geigen in einer Szene Echos. Der Chor beeindruckt an stärksten am Ende mit „Arma, caedes, vindictae“ (Waffen, Gemetzel, Rache).

Was höre ich in allen vier Singstimmen an diesem Abend nie? Anstrengung. Locker, leichtgängig, flüssig, brillant. Wer hat die höchste Stimme des Abends? Countertenor Philippe Jaroussky! Jede Silbe singt er prononciert, einfach perfekt. Voller Hingabe. Etwa Narcissus’ „Sento in seno ch’in pioggia di lagrime“ (Ich fühle in meinem Busen einen Schauer von Tränen).
Mezzo Nadezhda Karyazina hat in den tieferen Registern ein dunkles, fast rauhes Timbre, doch rein ist sie in den höheren. Wie macht sie das nur, fast als wären es zwei verschiedene Stimmen? Faszinierend! Etwa in Minervas „Se lento ancora il fulmine“ (War der Blitz bisher zu langsam). Lea Desandre lässt sich durch Tänzer mehrfach heben, integriert sich tanzend in die Choreografie. Sie hat eine strahlende elastische Mezzostimme. Wunderbar ausdrucksvoll in Myrrhas (sehr langer) Arie „Scenderò, volerò, griderò“ (Ich steige hinab, eile laut schreiend). Ihre Arie „Zeffiretti che sussurrate“ ist eine von zwei Top-Top-Topszenen des Abends. Atemlos andächtig lausche ich. Sie (als Echo) giggelt. Ich schmelze dahin. Atmosphäre zum Greifen. Sängerisch. Schauspielerisch. Tänzerisch.
Cecilia Bartoli setzt in der Schlussszene „Gelido in ogni vena“ (Eiskalt fließt mir das Blut) noch eins drauf. Ihre Bühnenpräsenz, Eurydices elegischen Schmerz auszudrücken. Welchen Schmelz, Wärme und Brillanz setzt sie in ihre Stimme. Ein intimer inniger zugleich unglaublich spannungsgeladener Moment. Meine gesamte innere Empfindungsmechanik ist komplett fixiert. Ich erliege der Sirene Bartoli. Zweites Highlight. Vorhang. Großer Applaus für die vier Hauptprotagonistinnen und den einen Hauptprotagonisten.

Nicht dass Sie auf den Gedanken kommen, der Abend würde langweilig sein, da ich Längen erwähne. Nein. Nein! Die Längen erwischen mich nur dumm zwischendrin. Quasi Nachteil des Pasticcios. Die üppigen Vorteile breiten sich aus vor mir, in mir. Ich labe mich an diesem musiktheatralischen Genuss. Köstlich komödiantisch etwa spielen Bartoli als Arachne und Karyazina als Minerva die „Herausforderung!- Szene“ (Theatersport Freunde aufgepasst). Oder die Szene Echo und Juno: sehr launig. Opulent die Chorszene bei Narcissus und Echo. Bunt, laut, Tänzerinnen und Tänzer stoßen ah! Laute aus. Brachial gewaltig beeindruckend setzt das Corps du Ballet die Szene, in der die Bacchantinnen Orpheus zerlegen.
Dieser Abend als Glas – ist randvoll! Und so lang, dass ich ganz Myrrha werde „Scenderò, volerò, ansimerò“ (ich steige hinab, eile keuchend), um vom hoch gelegenen Festspielhaus den letzten Zug zurück nach München zu erreichen. Unter 10 Minuten, check! Ich habe gute Strategien. Bezahlbare kurzfristigere Salzburg Übernachtungstipps sind als Alternative herzlich willkommen. Die Sommerfestspielzeit steht an.
Frank Heublein, 7. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Requiem(s), Angelin Preljocaj Haus für Mozart, Salzburg, 17. April 2025
Mozartwoche Salzburg Haus für Mozart & Großer Saal, Mozarteum, 26. Januar 2025
W. A. Mozart, La clemenza di Tito Haus für Mozart, Salzburg, 17. Mai 2024