Philippe Jordan © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper
Zwei Abende folgen noch, dann endet eine Ära. Musikdirektor Philippe Jordan verabschiedet sich an der Wiener Staatsoper mit Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ – mindestens ein weinendes Auge wird ihn begleiten. Aufgrund vieler Highlights, definitiv aber wegen des letzten Akts von „Die Walküre“ gestern Abend: „Wotans Abschied“ und „Feuerzauber“ – voller Nostalgie, Freuden, Tränen und Verzweiflung.
Richard Wagner, Die Walküre
Wiener Staatsoper, 22. Juni 2025
von Jürgen Pathy
Viel ist passiert zwischen 16:52 Uhr und 21:45 Uhr, Sonntagabend in der Wiener Staatsoper. Von dem Moment an, als ich das Staatsopernorchester beim Einspielen beobachte, bis zum Ende, das noch lange nachhallen wird.
Dazwischen liegen rund vier Stunden Nettospielzeit – Richard Wagners beliebtester Teil des Rings: „Die Walküre“.
Der Funke springt nicht gleich über
Die wichtigste Erkenntnis zuerst: Wagner im Sitzen kann anstrengender sein als Wagner im Stehen. Parkett, Reihe 13, Platz 6 – von da aus erlebe ich einiges. Andreas Schager als Siegmund, dessen „Wälse“-Rufe vermutlich kein anderer mit dieser Leichtigkeit hinausschmettert, mit dieser Klarheit in seiner Stimme, mit derart viel Atem, als könnte er sie noch stundenlang in die Länge ziehen. Eine Sieglinde, an die sich meine Ohren erst gewöhnen müssen – Simone Schneiders Sopran ist nicht gerade die offenste Stimme des Abends, dennoch mit viel Gefühl und Hingabe.
Iain Paterson, der beim „Wotan-Monolog“ noch nicht so überzeugend wirkt: fast wie Sprechgesang, der kaum zu fassen ist, dennoch immer präsent. Irgendetwas Edles liegt in dieser Stimme, das sich aber noch nicht ganz entfalten kann.

Großer Jubel für Andreas Schager
Doch das Publikum – und das ist die nächste Erkenntnis: Es ist dennoch entzückt, es ist begeistert. Während ich mit schweren Lidern kämpfe, reißt mein Nachbar rechts ruckartig die Hände in die Höhe, springt links die Dame beinahe auf, als Andreas Schager nach Akt 1 vor den Vorhang tritt – ebenso nach Akt 2. Heimvorteil womöglich, oder es ist allen egal, dass dieser Siegmund nur wenig Leidenschaft verbreiten kann.

Kräftig, ausdauernd – ja, wie ein Marathonläufer, der dazwischen noch einige Sprints einschiebt. Aber das feurige Flackern, die leidenschaftlichen Zwischentöne – ich mag sie nicht erkennen, schwerstens vermissen gar. Trotz des wirklich sanften „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, das Schager zart hineinhaucht, mit halber Stimme, wie man es vom österreichischen Heldentenor bislang kaum erlebt hat. Ansonsten aber stürmt hier ein pubertärer Jüngling über die Bühne, der die große Tiefe der Liebe noch nicht verinnerlicht hat.
Ein spätes Erblühen auf der Galerie
Ein Tapetenwechsel muss also her. Das ist die nächste Erkenntnis. Irgendwas ist faul im Staate Dänemark, wenn selbst die Celli im ersten Akt kein Herzflimmern verursachen – die großen weiten Bögen und das Wehwalt- oder Wälsungen-Motiv, das mich sonst eigentlich immer um den Finger wickelt. Und plötzlich, da schau her: Es zündet, das Feuer, das man bei einer „Walküre“ sucht. Dritter Akt, Stehplatz Galerie, ganz links, kein Nachbar, der stört. Nach fast drei Stunden Wagner haben einige bereits das Weite gesucht – die meisten Plätze sind aber noch besetzt, und wie so oft nur bei Wagner: Alle sind still, niemand wagt es, diese Prozession zu stören.
Plötzlich wirkt dieser Klangteppich, den Philippe Jordan im Graben der Wiener Staatsoper umsichtig aus der Tiefe hebt. Plötzlich lassen die Streicher die Noten sanft hin- und herschaukeln, als würde man im 4/4-Takt durch den Rhein treiben – getragen, nicht gehetzt.

Auf einmal wächst Iain Paterson als Wotan über sich hinaus, als hätte er zuvor nur auf Sparflamme gekocht, um genau da zu sein, wenn es zählt – zu Brünnhildes Abschied. Die straft von Anbeginn so manchen Zweifler Lügen, der gemeint hat, Anja Kampe sei keine Brünnhilde. Weit gefehlt! Mit wie viel Freude sie die „Hojotoho“-Rufe von sich gibt – kein Kreischen, kein Schreien, sondern eine subtile Wucht, die ihren dramatischen Sopran so auszeichnet.
Danach, nach diesem letzten Akt, stehe ich ebenso auf der Seite der Euphorisierten, der Bewunderer – ob rein des Platzwechsels wegen, ist nicht klar. Die Möglichkeit besteht, aber das Geheimnis der Oper ist viel größer: Jeder Akt hält Überraschungen bereit. Sei es der Partitur wegen, der Tagesform, die sich gar zwischen jedem Akt ändern kann oder feinstofflicher Gründe wegen. Immer kann Großes passieren.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begesitert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 20. Juni 2025
Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 21. Juni 2023
Richard Wagner, Die Walküre Wiener Staatsoper, 22. Juni 2023