Sommereggers Klassikwelt 110: Ginette Neveu – Ein nur kurz leuchtender Stern

Als der Pilot der Air France Maschine am 28. Oktober 1949 beim Anflug auf die Azoren die Inseln Santa Maria und São Miguel verwechselte, da er auf Sicht flog, prallte die Maschine gegen einen Berg. Alle 48 Menschen an Bord verloren dabei ihr Leben.

von Peter Sommeregger

Der Flug Paris-New York sollte auf den Azoren zum Auftanken unterbrochen werden. Flüge in die USA waren zu dieser Zeit noch wenigen privilegierten und wohlhabenden Menschen vorbehalten, daher befanden sich unter den Toten nicht wenige bekannte Persönlichkeiten. Unter ihnen war der ehemalige Boxweltmeister Marcel Cerdan, der auf dem Weg zu seiner Geliebten Edith Piaf war. Prominenteste Opfer aber waren die bereits weltberühmte Geigerin Ginette Neveu und ihr Bruder Jean, der seine Schwester auf der vorgesehenen dreimonatigen Tournee durch die USA als Pianist begleiten sollte. „Sommereggers Klassikwelt 110: Ginette Neveu“ weiterlesen

Ladas Klassikwelt 83: Eine Nachtigall im Warschauer Ghetto 

 von Jolanta Łada-Zielke

Der Roman „Sing, Luna, sing. Ein Mädchen erlebt das Warschauer Ghetto“ ist im Urachhaus-Verlag Stuttgart erschienen. Dieses Buch habe ich zufällig in der Vitrine der Bartels-Buchhandlung in Bremen gemerkt. Mein erster Gedanke war: Hätte jemand an einem solchen Ort wie dem Warschauer Ghetto überhaupt singen können? Man weiß nicht, was dort schlimmer war: die allgegenwärtige Armut, der drohende Tod oder die Angst vor dem Tod. Irgendjemand muss hier eine ausgelassene Fantasie gehabt haben, über so etwas zu schreiben. Aber ich beschloss, den Roman trotzdem zu lesen. „Ladas Klassikwelt 83: Eine Nachtigall im Warschauer Ghetto “ weiterlesen

Ein intellektuell weltgewandter Haydn strahlt beim 2. Philharmonischen Konzert in der Elphi

Elbphilharmonie, Hamburg, Großer Saal, 25. Oktober 2021

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Dirigent Andreas Spering
Sopran Layla Claire

Foto: Claire outside the Metropolitan Opera, May 2015. © Wikipedia.com

Joseph Haydn

Symphonie Nr. 75 D-Dur Hob. I:75
Cantata „Miseri noi, misera patria“ Hob. XXIVa:7
Rezitativ und Arie “Misera! Chi m’aiuta” – “Dove fuggo” aus der Oper La vera costanza Hob. XXVIII:8
Symphonie Nr. 102 B-Dur Hob. I:102

von Elżbieta Rydz

Ich muss meine leichten Zweifel beim Studieren des Programms gestehen: Haydn und Symphonie ja, aber Haydn und Solo-Sopran? Kann das gut gehen? Ich bin gespannt auf dieses Konzert, freue mich auf diesen Abend.

Die Symphonie Nr. 75 entstand wohl im Jahr 1779 während Haydns Anstellung als Kapellmeister beim Fürsten Nikolaus I. Esterházy. Schon der erste Satz: Grave – Presto mit der Fortissimo Einleitung und anschliessend aufsteigender  Dreiklangsfigur im Piano erfüllt den Großen Saal der Elbphilharmonie mit harmonischer Wärme und Wohlgefühl. Die Musiker entwickeln sehr schnell eine gemeinsame Mitte, ergänzen sich, folgen spielerisch dem kompositorischen Thema. „Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Andreas Spering, Layla Claire
Elbphilharmonie, Hamburg, Großer Saal, 25. Oktober 2021“
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Strahlendes Nordlicht!

Nicht wenige aus dem beseelten Publikum hätten nach dem langanhaltenden Applaus gerne gleich eine Fähre nach Oslo oder Helsinki bestiegen.

2. Symphoniekonzert in der Musik- und Kongresshalle Lübeck (MUK),
25. Oktober 2021

Foto: Lilya Zilberstein, © ANDREJ GRILC

Jean Sibelius: Karelia-Suite op. 11
Edvard Grieg: Klavierkonzert a-Moll op. 16
Niels Wilhelm Gade: Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 20
Jean Sibelius: Finlandia op. 26

Leitung: Takahiro Nagasaki
Klavier: Lilya Zilberstein

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

von Dr. Andreas Ströbl

Leidenschaftliche Rhythmik und aufbrandende Emotionen sind nicht gerade das, was man mit dem Adjektiv „nordisch“ assoziiert. Aber genau das gab es mit Entschiedenheit im 2. Lübecker Symphoniekonzert, dem musikalischen Begleitprogramm zur „Nordischen Woche“, die heuer ihr 100-jähriges Jubiläum feiert. Diese Veranstaltung sollte nach dem Ersten Weltkrieg die jahrhundertalten Beziehungen Lübecks zu den skandinavischen Nachbarn wieder mit Leben erfüllen.

Quicklebendig präsentierte sich sowohl programmatisch als auch von der spielerischen Darbietung her das Konzert in der Musik- und Kongresshalle, die endlich wieder ihrem eigentlichen Zweck dienen darf, nachdem sie die Corona-Zeit hindurch das zentrale Impfzentrum der Hansestadt war. „Takahiro Nagasaki, Lilya Zilberstein, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck“ weiterlesen

Über den Dächern von Nürnberg

Die Oper Leipzig glänzt mit einer herausragenden Produktion von Richard Wagners „Meistersingern“.

Oper Leipzig, 23. Oktober 2021
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg

Fotos: Oper Leipzig, Die Meistersinger von Nürnberg © Kirsten Nijhof

Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Regie: David Pountney
Bühne: Leslie Travers
Kostüme: Marie Jeanne Lecca
Licht: Fabrice Kebour

Hans Sachs: James Rutherford
Walther von Stolzing: Magnus Vigilius
David: Matthias Stier
Eva: Elisabet Strid
Magdalene: Kathrin Göring
Veit Pogner: Sebastian Pilgrim
Gewandhausorchester
Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig

von Kirsten Liese

Ulf Schirmer und David Pountney sind ein bewährtes Team wie einst Daniel Barenboim und Harry Kupfer. Mehrfach haben Dirigent und Regisseur bei den Bregenzer Festspielen packende Produktionen auf die Beine gestellt, ihre allererste Gemeinschaftsarbeit war 1989 der „Fliegende Holländer“ auf der Seebühne. Wie gut die beiden miteinander harmonieren, konnte man zur jüngsten Premiere in Leipzig wieder erleben. Dort galt es  – um das vorwegzunehmen –  die trefflichsten und ansprechendsten „Meistersinger“  seit Jahren zu erleben. Dies vor allem auch deshalb, weil Pountney sich nicht an der NS-Rezeptionsgeschichte und an Wagners Antisemitismus abarbeitet wie so viele Andere in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, sondern sich wieder ganz auf das Stück selbst besinnt.  Folglich ist es auch das mittelalterliche, im Titel verankerte Nürnberg, das hier in nie gesehener Weise Raum erfährt. „Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Oper Leipzig, 23. Oktober 2021“
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Testen Sie Ihr Wissen im Klassik-Quiz – Folge 62

In der letzten Woche ging es in unserer Preisfrage um eine zeitgenössische Oper. Der Preis, auf den wir anspielten, war der Grammy Award. Den Grammy für die beste Opernaufnahme gewann im Jahr 2012 Alan Gilbert, als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters seit 2019 in Hamburg engagiert. John Adams heißt der Komponist, der sich seinen Namen mit dem zweiten Präsidenten der USA teilt (Amtszeit 1797 – 1801). Die Oper, um die es ging, befasst sich mit dem „Manhattan-Projekt“, also der Entwicklung der Atombombe in den USA. Zu einem Opernstoff machte Adams dies unter dem Titel Doctor Atomic, was somit unser Lösungswort war. Wir gratulieren Jennifer Schmitt aus Maintal, die unter den richtigen Einsendungen als Gewinnerin der Überraschungs-CD gezogen wurde! „Das Klassik-Quiz – Folge 62“ weiterlesen

Der Schlauberger 62: Unerhört! Der neue Promi ist leider nicht bekannt

Tritt den Sprachpanschern ordentlich auf die Füße! Gern auch unordentlich. Der Journalist und Sprachpurist Reinhard Berger wird unsere Kultur nicht retten, aber er hat einen Mordsspaß daran, „Wichtigtuer und Langweiler und Modesklaven vorzuführen“. Seine satirische Kolumne hat er „Der Schlauberger“ genannt.

von Reinhard Berger

Die Zeitungswelt ist voll von Unbekannten. Sie kommen vor allem auf der Straße und in Wohn- und Geschäftshäusern vor, am liebsten nachts, wenn alles schläft. Dort treiben die Wesen ihr Unwesen als unbekannte Unerkannte. Und die Polizei hat dann die Gleichung mit manchmal sogar mehreren Unbekannten zu lösen. „Der Schlauberger 62: Unerhört! Der neue Promi ist leider nicht bekannt“ weiterlesen

Daniels Anti-Klassiker 34: Giuseppe Verdi – Triumphmarsch aus „Aida“ (1871)

Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung und der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.

von Daniel Janz

Erlangen Komponisten (zu) viel Berühmtheit, können ihnen schon mal die Pferde durchgehen. Manches Mal verlieren sie dann das Gespür für Grenzen, gehen in Wahn über, sich alles erlauben zu können oder fordern sogar Spezialanfertigungen und -Instrumente für ihre Musik. Aus solchem Größenmut ist auch das ein oder andere Gute entstanden – man erinnere sich nur an die Wagnertuba. Viel zu oft aber endet solcher Narzissmus im Kuriosen, in Absurdität oder in Unikaten. Eines jener Unikate muss man dann auch dem berühmten italienischen Opernkomponisten Giuseppe Verdi unterstellen. Die Rede ist von seiner Oper Aida, die er mit einem instrumentalen Kniff versah, der bestenfalls als „Gag“ herhalten kann. „Daniels Anti-Klassiker 34: Giuseppe Verdi – Triumphmarsch aus „Aida“ (1871)“ weiterlesen

"Ein Abend voller Menschlichkeit" – Die lyrisch-dramatische Sopranistin KS Anke Berndt bezaubert an der Oper Halle

Liederabend, Oper Halle, 17. Oktober 2021

KS Anke Berndt, Sopran

von Dr. Guido Müller

Auch in ihrem dreißigsten Bühnenjahr an der Oper Halle vermag uns die Sängerin KS Anke Berndt (Berlin / Halle) mit ihrer unverbrauchten Stimme im Repertoire zwischen Mozart und Operette, Beethoven und Glanert zu bezaubern. Ihre Stärken liegen im lyrisch-dramatischen Fach.

Trotz gelegentlicher Ausflüge in die Rollen der Musikdramen von Richard Wagner – besonders in Erinnerung ist ihre Senta im „Fliegenden Holländer“ in der aufsehenerregenden Inszenierung von Florian Lutz in der Raumbühne zu Beginn seiner Spielzeit an der Oper Halle vor einigen Jahren, blieb KS Anke Bernd in ihrem vertrauten eher lyrischen als hochdramatischen Fach, dass sie sich allerdings in den nächsten Jahren vor allem mit den großen Wagner-Partien erarbeiten möchte. Die Eva in den „Meistersingern von Nürnberg“ und einige Rollen im „Ring“ hat sie in Halle bereits gestaltet. „KS Anke Berndt, Liederabend, Oper Halle, 17. Oktober 2021“ weiterlesen

Rising Stars 17: Lucienne Renaudin Vary – die mit der Trompete tanzt

Foto: © Simon Fowler

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

Lucienne Renaudin Vary spielt „María de Buenos Aires“ (Piazzolla) bei der OPUS KLASSIK 2021 Gala

von Lorenz Kerscher

Mein künstlich intelligenter „Großer Bruder“ in der Google-Zentrale glaubt immer zu wissen, was für mich gut ist. Also versorgt er mich regelmäßig mit Videovorschlägen in YouTube! Skeptisch wie ich bin, misstraue ich ihm natürlich. Wenn da ein nettes Mädel als Wunderkind präsentiert wird, das auf der Trompete mal Klassik, mal Jazz und in letzter Zeit vor allem Crossover spielt, halte ich das zunächst einmal für ein Internetphänomen mit einer guten Marketingstrategie. Ich bin gewiss nicht abgeneigt, mir von einer hübschen jungen Dame schöne Klänge vorspielen zu lassen, und so war ich auch gleich angetan von der 1999 geborenen Lucienne Renaudin Vary aus Frankreich, ihrem klangschönen, sauberen Spiel und ihrem ausgeprägten Sinn für Melodie. Die zierliche Solistin gibt sich ein mädchenhaftes Äußeres und tritt dazu passend gerne barfuß auf. Während andere Blechbläser in der Regel stocksteif dastehen, um die nötige Atemstütze aufzubauen, beherrscht sie ihr Instrument mit solcher Lockerheit, dass sie ihre Darbietungen noch mit eleganten Tanzschritten bereichert. So gut mir das auch gefiel, verdächtigte ich mich doch zunächst einmal selbst, in erster Linie das Wunschbild einer idealen Enkeltochter zu bewundern. „Rising Stars 17: Lucienne Renaudin Vary – die mit der Trompete tanzt“ weiterlesen