Irgendwann ist genug. In Linz hatten pro-ukrainische Stimmen gewirbelt, weil Anna Netrebko bei „Klassik am Dom“ aufgetreten ist. Nachvollziehbar, betrachtet man Netrebkos Vergangenheit in den „Sozialen Medien“. 2014 hatte sie mit Oleh Zarjow posiert, einem prorussischen Separatistenführer in der Ukraine. Danach hat die Russin zurückgerudert, den Krieg verurteilt. Das muss reichen. Das künstlerische Dilemma nämlich: Es gibt (noch) keinen gleichwertigen Ersatz.
von Jürgen Pathy
Eigentlich dachte man, es sei Ruhe eingekehrt. In den Kulturkrieg, der nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vom Zaun gebrochen ist. Russische Künstler standen im „Westen“ unter Dauerkritik. Vor allem diejenigen, die nicht willig waren, aktiv Stellung zu beziehen – und zwar gegen Putin. Deren Karten standen und stehen schlecht.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Peter, zur vierteltausendsten Klassikwelt. Du bist ein Kreativmonster! Andreas
von Peter Sommeregger
Die Chancen, nach einer Geburt in ärmliche, aber gebildete Verhältnisse im oberösterreichischen Marktflecken Ansfelden eines Tages Weltgeltung zu erlangen, stehen eher gering. Dass dies Anton Bruckner gelang, ist ein wunderbares Beispiel für die Möglichkeit, aus sich selbst heraus zu wachsen und mit Beharrlichkeit sogar utopische Ziele zu erreichen. „Sommereggers Klassikwelt 250: Anton Bruckner klassik-begeistert.de, 4. September 2024“ weiterlesen
Dieses Konzert in Grafenegg hat bewusst gemacht, wie sehr der Weltklassedirigent in Wien fehlt. Riccardo Chailly hat das philharmonische Orchester der Scala, deren Chefdirigent er ist, auf ein Spitzenniveau gebracht. Gemeinsam mit dem Intendanten Rudolf Buchbinder machten sie ein Fest der Romantik.
Konzert am 1. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg
Leoš Janáček: Žárlivost (Eifersucht). Vorspiel zu Její pastorkyňa (1894)
Edvard Grieg: Konzert für Klavier und Orchester in a-moll op. 16
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Symphonie Nr. 5 in e-moll op. 64
Der 71-jährige Stardirigent Riccardo Chailly wurde am Anfang seiner Karriere auch von den Wiener Philharmonikern hofiert; machte als erste Schallplattenaufnahme gerade diese fünfte Symphonie von Tschaikowski, die auch an diesem Abend zu hören war. Später folgten Aufnahmen für den legendären „Rigoletto“-Film mit Gruberova und Pavarotti in den Rosenhügel-Studios. Später einige Konzerte in Salzburg und Wien; dort auch eine phantastische „Glagolitische Messe“ von Leoš Janáček. Aber seit 2014 ist komplette Funkstille bezüglich Wien/Salzburg und Chailly. „Rudolf Buchbinder, Filarmonica della Scala, Riccardo Chailly Konzert am 1. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg“ weiterlesen
Andris Nelsons, Daniil Trifonov und das Gewandhausorchester in der Philharmonie.
Köln, Philharmonie, 2. September 2024
Thomas Adès (*1971) – Shanty – Over the Sea Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Konzert Nr. 25 für Klavier und Orchester C-Dur KV 503 Anton Bruckner (1824-1896) – Sinfonie Nr. 6 A-Dur
Daniil Trifonov, Klavier Gewandhausorchester Leipzig Andris Nelsons, Dirigent
Andris Nelsons (Foto: Marco Borggreve)
von Brian Cooper, Bonn
„Mit welcher Sinfonie sollte man anfangen?“ So die schüchterne Frage an meinen Musiklehrer, als ich endlich bereit war, mir den Bruckner’schen Kosmos zu erschließen. Er riet zur Dritten. Heute würde ich zur Sechsten raten. Sie hat alles, was Bruckners Sinfonien ausmacht; sie ist mit einer Spieldauer von unter einer Stunde vergleichsweise kompakt; es gibt nicht diese verwirrende Anzahl verschiedener Fassungen (Haas, Nowak usw.), zu denen sich der so leicht zu verunsichernde Bruckner von seinen Kritikern überreden ließ; und sie enthält herrliche Themen, große Bögen und einen der schönsten langsamen Sätze des gebürtigen Oberösterreichers, der am 4. September 200 Jahre alt geworden wäre. „Daniil Trifonov, Gewandhausorchester Leipzig, Andris Nelsons Köln, Philharmonie, 2. September 2024“ weiterlesen
Eine gelungene Performance aus mitreißenden musikalischen Ausführungen und packenden Tanzdarbietungen verleiht Antonio Vivaldis Top-Hit „Die vier Jahreszeiten“ üppigen Strahlglanz
Antonio Vivaldi „Le quattro stagioni“ op. 8, RV 269, 315, 293 und 297 Sinfonia aus „L’Olimpiade“ RV 725,
Sonate für Violoncello und B.c. RV 43, Konzert für vier Violinen RV 580,
Konzert für Streichinstrumente und B.c. RV 151
Foto: Musikfest Bremen (c)
Le Concert de la Loge
Julien Chauvin Violine und Leitung Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Käfig
Mourad Merzouki Choreografie und Regie
Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 2. September 2024
von Dr. Gerd Klingeberg
Die Saalbeleuchtung ist auf freischütz-düster abgedimmt; die ganze Atmosphäre erschein leicht diesig vernebelt, so dass das Publikum erst mit kurzer Verzögerung den stillen Einzug des Orchesters realisiert. Hinten am Rand der vergrößerten Bühne der Glocke positioniert, wirkt das französische Originalklang-Ensemble „Le Concert de la Loge“ anfangs fast ein wenig verloren, ebenso wie auch die eingangs noch einschmeichelnd zart gespielten Harmonien. „Le Concert de la Loge Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 2. September 2024“ weiterlesen
Unter der Leitung von Manfred Honeck spielen die Gäste aus Pennsylvania mit einer der prominentesten Geigerinnen der Konzertszene das Violinkonzert des Hamburger Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und die fünfte Sinfonie des ebenfalls in Hamburg für sieben Jahre schaffenden Komponisten Gustav Mahler – und das atemberaubend!
von Patrik Klein
Als gut informierter Hamburger weiß man ja, dass Felix Mendelssohn Bartholdy in Hamburg geboren wurde und dass man viel über sein Leben, seine Werke und seine sozialen Randbedingungen im Komponistenquartier in der Peterstrasse betrachten und bewundern kann. Die ganze jüdische Familie litt unter den antisemitischen Auswüchsen des 19. Jahrhunderts und auch kompositorisch lief nicht alles optimal. Sechs Jahre trug der emsige Komponist das Werk in seinem Kopf und seinem Herzen, bis es aus seiner Feder Form annahm. Mit dem Anfang tat er sich so besonders schwer, der kurz und prägnant in den Geist der Wiener Klassik flieht. „Klein beleuchtet kurz 44: Pittsburgh Symphony Orchestra Elbphilharmonie Hamburg, 3. September 2024“ weiterlesen
Was soll so ein Blödsinn, werter Herr „Regisseur“ Valentin Schwarz aus Oberösterreich? Dieser Schwach-Sinn hat nichts mit den Intentionen und dem Libretto Richard Wagners zu tun.
Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2024 Richard Wagner, Das Rheingold
von Andreas Schmidt (Text und Foto)
Eine gute Leistung in Bayreuth: „Das Rheingold“, der Vorabend des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“, startete mit überwiegend guten und einigen sehr guten Solisten und einer Inszenierung, die von Dummheit, Weltfremdheit, Borniertheit, Hass (Kindesmissbrauch) nur so trotzt. Richard Wagner wird diese Oper im Himmel nicht verstehen… und, sorry: kotzen… aber ich habe versprochen, nicht über die Inszenierung zu schreiben eines RINGES, der hoffentlich nach dem dritten Jahr abgesetzt wird, einem RING, der 2024 nur zweimal durchläuft auf dem Grünen Hügel.
Nur eine Frage: Was soll der depressiv-schwarze Hybrid-SUV mit reichlich PS, der für die Handlung vollkommen! bedeutungslos war – die Riesen steigen zweimal ein –, nicht bewegt wurde und offensichtlich nur penetrante Schleichwerbung für einen baden-württembergischen Automobilhersteller war.
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ Mit diesen Worten beschrieb Thomas Mann, immer der von Wagner inspirierte Autor, das Uranfängliche. Ein waberndes Kontra-Es steigt aus dem Graben, der Vorabend zum Ring nimmt seinen Anfang.
In diese düster-ernstliche Stimmung mischt sich der Klang der Wellen, der Vorhang geht auf und die Rheintöchter verstecken sich unter der Bettdecke. Die Sopranistinnen Evelin Novak (Woglinde) und Natalia Skrycka (Wellgunde) und die Mezzosopranistin Marie Henriette Reinhold (Floßhilde) sind drei stimmlich starke Schwestern.
Aber die Musik!!!!! Was für eine hinreißende Musik. Schon der Beginn überwältigt mit dem tiefen Es der Kontrabässe – die Ursuppe, der Anfang allen Seins – erwidert vom Fagott, von den Hörnern mit einer aufsteigenden Melodie übernommen und schließlich in Woglindes vokalbetontem, aus dem Orchesterklang heraus entwickeltem Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege wagala weia! Walala, weiala mündend. Wellgunde und Floßhilde stimmen ein. Musikalisch nimmt der Rhein, Metapher des ewig dahin strömenden Lebens, Fahrt auf. Vom Grunde kommt ein Liebe suchender Alberich, missgestaltet, ein oben Ausgestoßener. Die Rheintöchter necken ihn, versprechen ihm Liebe, die sie ihm gleich wieder entziehen. Alberich schwört der Liebe ab, gewinnt dafür das im Rhein verborgene, Macht versprechende Gold. Wenn schon nicht Liebe, dann wenigstes Macht, mit der man sich Liebe erkaufen oder erzwingen kann.
Richard Wagners geniale Kunst hinterlässt in Summe ein staunendes Publikum im schönen Oberfranken zurück. Das „Rheingold“, dessen Uraufführung zuwider Richard Wagner am 22. September 1869 im Nationaltheater in München von seinem Gönner Ludwig II. in die Bahnen geleitet wurde, annähernd in Worte zu fassen, wird immer ein hoffnungsloses Unterfangen bleiben – man muss dieses alle Sinne erfassende Kunstwerk einfach live erleben!
Erst später im Jahr 1876 erklang der gesamte vierteilige Zyklus im Rahmen der ersten Bayreuther Festspiele.
Die Rheintöchter sind Wagners persönliche Schöpfung, die übrigen Figuren, Göttergestalten, Riesen und Zwerge, entspringen der nordischen Mythologie. Wasser und Wellen befinden sich in Aufruhr, Wagner lässt es wogen und wallen. Gleich zu Beginn der Aufführung wird man nassgemacht – vom Plätschern und Sprudeln der Musik, von strudelnden Es-Dur-Figurationen. Man wird mitten hineingesogen.
Die australische Dirigentin Simone Young und das Festspiel Orchester waren sehr gut, tief am Rheingrund und locker in den Höhen. Sie gaben der Komposition Noblesse und Würde.
Wir schreiben hier bei klassik-begeistert viel über Stimmen. Das fällt heute kürzer aus, da fast alle Stimmen leider „nur“ maximal gut waren, was ein Zuhörer in Bayreuth sicher auch mindestens erwarten darf.
Es gab nur vier Sänger, die herausstachen:
Weltklasse war Ólafur Sigurdarson als Nibelung Alberich. Was dieser kleine Mann an Energie, an Hingabe, an Vielfalt in der Klanggebung, an vollkommener Professionalität darbot, war von einem anderen Stern. Lieber Ólafur, Sie sind DER BESTE Alberich der Welt. Sie sind Power pur und stemmen vom piano bis zum fortissimo alles in Perfektion. Sie kommen mitten aus dem Meer, aus Island. Dass Ihr für deutsche Verhältnisse kleines Volk (380.000 Einwohner) einen so herausragenden Bariton hervorbringt, ist beachtlich und beneidenswert. 2000 Menschen waren aus dem Häuschen im Festspielhaus.
Okka von der Damerau als Erda, die Frau aus Hamburg ist die Inkarnation der Erda. Sie kommt aus der Tiefe, lässt die knapp 2000 Menschen im Festspielhaus mit ihrem tiefen Register vor Glück erschauern und bleibt trotz ihres kurzen Auftritts im Herzen und in der Seele der Wagner-Liebhaber zurück.
Der norwegische Bass Jens-Erik Aasbø war ein perfekter, tief-schwarzer Fasolt, tusen takk , lieber Norweger… Deine Stimme hat den Wohlfühlfaktor 10.
Auch Tobias Kehrer als Fafner war ein bärenstarker, männlicher Bass – beiden Sängern gehört die Zukunft… Diese Riesen sind riesig.
Die Wortdeutlichkeit ALLER Sänger – besonders des Polen Tomasz Konieczny als Wotan – ließ sehr zu wünschen übrig.
Bislang hat nur Georg Zeppenfeld als König Marke in „Tristan und Isolde“ und Gurnemanz im „Parsifal“textstark vollkommen überzeugt.
Andreas Schmidt, 29. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Fast nur Beifall, Riesenbeifall auch am Ende für diesen großartigen „Parsifal“ – nur das Regieteam bekam auch Buh-Rufe… für die Inszenierung und vielleicht auch für die AR-Brillen für 330 Menschen im 1.937-Zuschauer-Saal.
Mit diesen „Augmented-Reality-Brillen“ sieht man vor der Bühne Bienen, Totenköpfe, Gesteine, einen Fuchs… einen blutenden Schwan, Äste, Blumen… sie fliegen durch „den Raum“, ist schon toll gemacht, diese erweiterte Realität, allein, sie verdeckt immer wieder (mit dieser ungewöhnlichen Brille, die 1000 US-Dollar kostet) das Geschehen auf der Bühne. „Richard Wagner, Parsifal, Andreas Schager, Georg Zeppenfeld Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2024“ weiterlesen
Here we are tonight. Bayreuth, Oberfranken, 27 Grad. Kaiserwetter, als am Donnerstagnachmittag kurz vor 16 Uhr Menschen, die das Land führen, mit Karossen deutscher Provenienz eintreffen. Die Eröffnung der Festspiele.
Wie immer bleibt der Eindruck eines großen Abends im Bayreuther Festspielhaus. Die Bayreuther Festspiele sind state of the art für Wagner-Liebhaber. Die Akustik auf dem Grünen Hügel ist amazing. Die Oper an diesem Abend eine der schönsten dieses Planeten: „Tristan und Isolde“. Komponiert in Liebe zu seiner Geliebten Mathilde Wesendonck, auf deren Grundstück er in Zürich mit seiner ersten Ehefrau und Mathildes Ehemann lebte… Uraufgeführt am 10. Juni 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater, München.
Anhaltenden Beifall bekam als einziger vor dem Festspielhaus vorfahrenden Prominenten der Sänger Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“), der das Bad vor der Menge genoss und vor den Fotografen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder posierte. Auch der Schauspieler Heiner Lauterbach sowie die Sängerin Vicky Leandros fuhren vor. Ex-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte abgesagt, sie verfolgt mit Ihrem Ehemann Professor Joachim Sauer seit vielen Jahren die Bayreuther Festspiele. Mögen zukünftige Kanzlerinnen und Kanzler ein Quäntchen von Angelas Kultursinn übernehmen! Warum waren Sie nicht in Bayreuth, werter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz? Sie waren als Hamburger Bürgermeister doch auch regelmäßiger Besucher der Hamburgischen Staatsoper. Allein, das Haus an der Dammtorstraße in Hamburg ist verglichen mit Bayreuth eine Provinzbühne.„Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025“ weiterlesen
Klaus Florian Vogt bekommt als Tannhäuser zurecht den meisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel. Es ist auch der Klaus-Florian-Vogt-Tag in Bayreuth. Aber auch Elisabeth Teige als Elisabeth, Irene Roberts als Venus, Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach und Günther Groissböck als Landgraf Herrmann ernten reichlich Applaus und Bravi.
Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2024 Richard Wagner, Tannhäuser
von Andreas Schmidt
„Tannhäuser“ in Bayreuth – das ist die Oper der Zukunft! Die Inszenierung von Tobias Kratzer (neuer Intendant der Staatsoper Hamburg) ist intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Das ist cool, emotional, sexy und berührend. Es singen in ihren Rollen die überwiegend besten Sänger der Welt. Das Orchester ist eine Wucht, und die Französin Nathalie Stutzmann (Beifall 8 / 10) zeigt mit ihrem einfühlsamen wie energetischen Dirigat, dass man in Bayreuth auch getrost auf „den großen Thiele“ verzichten könnte.
Und dann diese Musik: Jedem der knapp 2000 Menschen im Festspielhaus schlägt das Herz, brennt vor Sehnsucht die Seele, wenn die besten Musiker aus ganz Europa und dieser fulminante Chor (Leitung: Eberhard Friedrich) alles geben und diese göttlichen Noten spielen und singen.
Richard would have been happy!
Ja, and the very best of the best ist der Klang. Für ihn sollte jeder, der Wagner liebt, einmal im Leben nach Bayreuth pilgern. Wer seinen Focus auf Stimmen richtet, wer die optische Imagination eines Puppentheaters sucht, dem hat Richard Wagner das absolute Wunderland auf den Grünen Hügel gezaubert. Zu einer Zeit, als der Rundfunk noch in seinen Kinderschuhen steckte, als Thomas Alva Edison gerade erst dabei gewesen war, die ersten Tonaufzeichnungsverfahren zu entwickeln, schuf Richard Wagner bereits den Vorreiter des heutigen Dolby Surround Sounds.
In Bayreuth lautet die Devise: Hinsetzen, stillhalten und großes Kino erleben! Ein Erlebnis, das zur Eröffnung des Festspielhauses im Sommer 1876 bahnbrechend gewesen sein muss.
Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?
Die Mezzosopranistin Irene Roberts, USA, als Venus meistert die Anforderungen bravourös – aber an Elena Zhidkova vor fünf Jahren reicht sie nicht heran. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin (mit etwas zu viel Vibrato) und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte, auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab.
Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Der Tenor Klaus Florian Vogt singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll und sicher, ohne Ermüdungserscheinungen. Im 1. Aufzug fängt er etwas zu verhalten an. Im Sängerkrieg ist er der Hämische, Besserwisserische, sich über die „Romantiker“ Stellende. Die Titelrolle verlangt vom Dithmarscher ein Äußerstes an Stimmtechnik – KFV verfügt über eine exzellente, sodass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen.
Vogt ist der strahlende Tannhäuser unserer Zeit, einen solchen hörte ich zuletzt 2016 in Berlin an der Deutschen Oper. Der Sänger damals: Stephen Gould, der viel zu früh verstorbene US-Amerikaner, bester Freund der Prinzipalin Katharina Wagner.
Vogt ist ein gestandener Heldentenor mit einem besonders hellen Timbre, seine Kraftreserven bis zum Schluss sind beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe herausragend. Er beschert den 2000 Menschen MAGISCHE MOMENTE.
Der Bariton Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach berührt durch eine hervorragende Leistung und lässt im dritten Aufzug einen hochemotionalen und berührenden „Abendstern“ strahlen. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroën für ein Schäferstündchen zurück. Lieber Markus Eiche, Ihr Wolfram berührt, Sie sind ein Bariton, der sich auf die hohe, verloren gehende Kunst des Legatosingens versteht und sein Lied an den Abendstern wunderbar leise, lyrisch und zärtlich gestaltet.
Seit 2007 ist Markus Eiche regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen zu Gast und war dort als Kothner in „Die Meistersinger von Nürnberg“, Donner im „Rheingold“, Gunther in der „Götterdämmerung“ und Wolfram in „Tannhäuser“ zu erleben. Seit 2019 gestaltet der Künstler dort die Partie des Wolfram in der aktuellen Inszenierung des „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer. Dieser Weltklassebariton gehörte auch als Wolfram wieder zu den Besten, sein Timbre hat einen Wiedererkennungswert der Extraklasse. Er möge bitte auch größere Partien in Bayreuth singen.
Die norwegische Sopranistin Elisabeth Teige verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung. Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend.
Elisabeth Teige bekommt zurecht den drittmeisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel wie bei Vogt und Stutzmann. Es ist – auch – der Elisabeth-Teige-Tag in Bayreuth. Als „Farben“ zu ihrem phantastischen Gesang passen Sonnenblumen, Bernstein, Gold und Kardamom.
Der Landgraf Hermann wird vom Niederösterreicher Günther Groissböck (Bass) gesungen. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann. Groissböcks Kernkompetenz ist der mittlere und tiefere Bereich – kernig und volltönend! Sehr entspannend. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, eine absolute Wohlfühlstimme. Ganz selten hatte er im höchsten Register leichte Probleme beim richtigen Ansingen des Tones.
Bewegend schön, stilvoll mit einem Klaus-Florian-Voigt-Timbre gestaltet der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo seine kleine Rolle als Walther von der Vogelweide. Yes he can, von diesem Spietzensänger möchte ich gerne mehr hören.
Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Flurina Stucki hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „Da strahlte warm die Sonnen – der Mai war ’kommen“ ist die wärmende wohlige Sonne förmlich zu spüren.
Insgesamt war die Textverständlichkeit vieler Sängerinnen und Sänger ausbaufähig (gehört in Reihe 29, Platz 12, Parkett links) – nur Groissböck, Voigt und Eiche – in dieser Reihefolge – überzeugten auch sprachlich.
Andreas Schmidt, 28. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mit Dank an Autorinnen und Autoren von klassik-begeistert.de.