Foto: Lothar Schweitzer
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Irgendwo und irgendwann haben wir eine Definition des Begriffs Fetischismus gelesen, die uns besonders gefiel. Er sei der Versuch ein geistiges Erlebnis materialisieren zu wollen. Das Autogramm also ein Fetisch.

Die Portiere der Wiener Staatsoper machten die Autogrammjäger aufmerksam, dass die Oper sieben (oder gar mehr?) Ausgänge hat. Also bestand für die SängerInnen die Möglichkeit den Ort ihrer Triumphe oder Misserfolge unbemerkt zu verlassen. In der Regel machten unsere Lieblinge ihren Schritt zurück ins alltägliche Leben beim Bühnenausgang Kärntner Straße. Wer Eberhard Waechter treffen wollte, musste allerdings zum Ausgang Operngasse und auf die Begegnung mit den anderen Stars unter Umständen verzichten. Als ich zufällig vor einer Aufführung der „Salome“ mit dem Bühnenbild und mit den Kostümen Jürgen Roses unter den Arkaden aufseiten Operngasse vorbeikam, verabschiedete sich Waechter gerade von seinen weiblichen Fans mit dem Gruß: „Viel Freude am Jugendstil!“

Es gibt gleich neben dem Ausgang Kärntner Straße einen kleinen Raum, der auf Wunsch der SängerInnen manchmal geöffnet wurde. Da konnten dann die KünstlerInnen bequem an einem Tisch Platz nehmen, um die Autogrammwünsche zu erfüllen. Mann/frau wurde dann der Reihe nach eingelassen und es bildete sich kein wirres Knäuel von Opernenthusiasten. Diese Art des Autogrammegebens bevorzugten unsrer Erinnerung nach die Cotrubaş, die Lipovšek und Shicoff, der dort fast wie ein Banker wirkte.

Auf jeden Fall waren die Umjubelten so auf der sicheren Seite, wäre doch die Mezzosopranistin Shirley Verrett nach einem „Don Carlos“ an der Wand des Staatsoperngebäudes von den begeisterten Fans beinahe erdrückt worden. Etwas kopflos gestaltete sich die Autogrammjagd auch beim Gastspiel des Bolschoi-Theaters im Oktober 1971. Da die Sänger größtenteils noch unbekannt waren (Juri Masurok, Wladimir Atlantow), auch die fremde kyrillische Schrift spielte eine Rolle, wurden Mitglieder des künstlerischen Hilfspersonals zu ihrem großen Erstaunen um Unterschriften bestürmt.

Zu erwehren wusste sich die Wagner-Heroine Birgit Nilsson, als sie sich einmal wie ein Eisbrecher durch Leiber und ausgestreckte Hände hindurch, einige Autogramme kritzelnd zum vis-à-vis liegenden Hotel Sacher durchkämpfte, wo sich nach ihrem Eintritt die Pforten eisern schlossen.
Der ungarische Ritter vom hohen C Róbert Ilosfalvy wurde nach einem „Trovatore“ in den Arkaden von einer Masse von OpernbesucherInnen umringt und rief nervös nach seinem Begleiter, den er aus den Augen verloren hatte. Da hörte er von irgendwo her dessen Stimme, beruhigend: „Schreibe weiter.“ Belustigt zeigte er sich über den Autogrammwunsch auf einem Zettel in der Größe eines Straßenbahnfahrscheins. „Schweitzers Klassikwelt 49: Das Bühnentürl,
Klassik-begeistert.de,“ weiterlesen