Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung und der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Lust auf eine Pizza? Oder ein paar Nudeln al dente aus dem Topf mit Parmesan und frisch gefangenem Fisch? Das alles in der fein rötlichen italienischen Abendsonne zu einem guten Glas Chianti? Weckt das den Appetit? Perfekt. Und mit welcher Musik könnte man solch einen Freudenschmaus wohl besser genießen als mit einer italienischen Oper? Ja – richtig gelesen, zu mediterranen Köstlichkeiten konsumieren wir bewusst oder unbewusst regelmäßig ein Stück original klassischer Opernmusik mit. Die Rede ist von einem weltbekannten „Hit“: „La donna è mobile“.
Die wohl bekannteste Begleitmusik für den Besuch beim Italiener um die Ecke hat Sage und Schreibe bereits über 170 Jahre auf dem Buckel und ein Ende ist nicht in Sicht. Giuseppe Verdi hieß der gute Mann, der sie 1851 als Kanzone in seiner Oper Rigoletto verfasste. Als „bravura aria“ – also ein Glanzstück zur Präsentation musikalischer Fähigkeiten – findet sich der Gesang zum Beginn des dritten Aktes. Eingebettet in den Kontext aus Frauenentführung, Rache und einen sich umkehrenden Fluch war diese kleine Passage bereits zur Uraufführung ein regelrechter Schlager.
Die Wirksamkeit dieser Arie lässt sich wohl auf zwei wesentliche Aspekte zurückführen. Zunächst sind Melodie und Orchesterbegleitung dermaßen eingängig, dass Verdi den Sängern von „Rigoletto“ unter Eid verboten haben soll, die Arie außerhalb der Proben zu trällern oder zu summen. Berichte darüber, dass am Tag nach der Uraufführung Opernbesucher durch die Straßen schlendernd genau diese Melodie vor sich hin summten oder pfiffen, bestätigen ebenfalls ihren Ohrwurmcharakter.
Der zweite, nicht zu vernachlässigende Grund dürfte der Inhalt dieses kleinen Liedes sein. Frei übersetzt lautet er in etwa: „Die Frau ist so launisch wie Federn im Wind, leicht ändert sie ihre Meinung (…) immer ein liebreizendes hübsches Gesicht (…)ist trügerisch. (…) Unglücklich wird der, der sich auf sie verlässt, der ihr leichtgläubig sein Herz anvertraut.“ Ein wahrer Schmähgesang auf vermeintlich weibliche Befindlichkeiten und einen eigenen Willen. Damals wohl in Mode muss man diesen Text heutzutage doch als latent weinerlich einordnen.
So einen Inhalt kann man aber noch verschmerzen, wenn man den Kontext bedenkt. Schließlich trägt in der Oper der Herzog von Mantua diesen Gesang vor. Frisch nachdem er die Tochter vom Titelhelden Rigoletto entführt und sich mit ihr vergnügt hat, lamentiert er in dieser Form über Maddalena, die ihm dieselbe Freude verweigert und ihm stattdessen seine Untreue vorwirft. Insofern unterstreicht dieses Lied nur die Wollust des Herzogs. Die heutzutage auch stets überenthusiastische Intonation der Sänger weckt sogar das ein ums andere Mal den Eindruck einer regelrechten Degradierung des Charakters auf seine niedersten Triebe.
Fest steht, dass Verdi hiermit eine Sternstunde italienischer Opernkunst hinterlassen hat. Dass sein Liedchen aber mal synonym zu einem ganzen Kulturempfinden herhalten muss – das hätte er sich wohl nie träumen lassen. Von Spaghetti über Schokolade, Pizza, Tomatenpaste bis hin zum Ferrari – „La donna è mobile“ ist heutzutage der wohl weltweit klischeehafteste Gesang zum Ausdruck des leichten mediterranen Lebensgefühls. Allein beim Blick auf die Werbung fällt sofort die Dominanz der ersten Strophe aus dieser nicht einmal drei Minuten langen Arie auf. Aber sehen Sie selbst einen kleinen Ausschnitt aus der mittlerweile atemberaubenden Vita, die diese Kanzone bereits aufweisen kann:
Dass die Musik dadurch platt, wenn nicht sogar peinlich wirkt, ist inzwischen sogar zu einer anerkannten Trope geworden. So trifft man sie nicht nur in mal mehr, mal weniger dümmlichen Werbespots, sondern inzwischen auch als regelrechte Komödien-Einlage in anderen Formaten. Videospiele, Filme, Serien – sie ist inzwischen so sehr ausgelutscht, dass selbst das weltbekannte Science Fiction-Universum „Star Trek“ ihn sich ausgeliehen hat, um eine wahre Fremdschämorgie auf die Besatzung des Raumschiffes Voyager abzufeuern:
Und der gefühlte Wahnsinn endet nicht einmal dort. Denn in Zeiten von Internet und Meme-Kultur sind auch Internetportale nicht mehr sicher davor. Besonderen Unterhaltungswert hat beispielsweise auch die Interpretation vom Device Orchestra:
Diese Erfolgsgeschichte mag zwar für sich selbst stehen. Aber mit dieser plakativen Fokussierung auf Werbung und Albernheit verliert der in sich selbst bereits ambivalente Gesang seine komplette Wirksamkeit. Wenn er nicht lächerlich erscheint, wie in „Star Trek“, dann nervt er. Sowohl wegen des launenhaften Textes, als auch der Eingängigkeit und schließlich der absichtlichen Assoziation mit mediterraner Gelassenheit. Man könnte auch sagen, die Musik wird als platter Werbejingle regelrecht verheizt.
Was damit gewonnen wird, das können wohl nur Marketing-Büros beantworten. Der Wiedererkennungswert mag ja offensichtlich sein, aber dass sich dadurch ein Produkt besser verkauft, wage ich doch zu bezweifeln. Ich weiß jedenfalls eines: Wenn ich noch einmal beim Italiener um die Ecke „La donna è mobile“ höre, schmeiße ich die Pizza in den Müll! Denn wer sich auf so ein ausgelutschtes, plattes Klischee berufen muss, um sein Produkt an den Mann zu bringen, dem traue ich wahre Qualität schlicht und einfach nicht zu.
Daniel Janz, 27. August 2021, für
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Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.