Russisches vom Feinsten: Trifonov und Nelsons brillieren in der Philharmonie Berlin

Daniil Trifonov, Andris Nelsons,  Philharmonie Berlin, 22. Juni 2019

Foto: Andris Nelsons, © Marco Borggreve
Philharmonie Berlin, 22. Juni 2019

Daniil Trifonov Klavier
Andris Nelsons Dirigent
Alexander Skrjabin Klavierkonzert fis-Moll op.20
Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr.11 g-Moll op.103 „Das Jahr 1905“

von Peter Sommeregger

Der erst 28 Jahre alte Pianist Daniil Trifonov hat spätestens seit dem Gewinn des Rubinstein-Wettbewerbs 2011 in Tel Aviv zur internationalen Spitzenklasse der Pianisten aufgeschlossen. Neben der virtuosen Beherrschung „seines“ Instruments ist es vor allem die ungewöhnliche Mischung aus virilem, kräftigem Anschlag und verträumter Sanftmut, die für den Ausnahmekünstler einnehmen. Trifonov scheint am Flügel streckenweise wie entrückt, man meint ein leises Lächeln in seinen Zügen zu erkennen, dann wieder wirkt es, als würde er weinen. Vielleicht als Selbstschutz gedacht, versteckt er sein Gesicht teilweise hinter langen, in die Stirne fallenden Haaren, auch das ist inzwischen zu einem seiner Markenzeichen geworden.

An diesem Abend wagt er sich an Skrjabins einziges, selten gespieltes Klavierkonzert. Das Werk ist ungewöhnlich spröde, in den ersten beiden Sätzen gehen der Klavierpart und das Orchester permanent getrennte Wege. Das ist eine reizvolle Idee, erhöht aber den Schwierigkeitsgrad für alle Beteiligten erheblich. Erst im dritten Satz stellt sich eine größere Harmonie zwischen Solist und Orchester ein. Unbeirrt findet Trifonov seinen Weg durch die Tücken dieser Partitur und überzeugt mit seiner brillanten Technik und tiefen Sensibilität. Vielleicht sind es die hohen Anforderungen, die dazu führen, dass man dieses reizvolle Werk so selten zu hören bekommt.

Andris Nelsons und die Berliner Philharmoniker breiten für Trifonov einen wunderbaren, polyphonen Klangteppich aus, auf dem sich der junge Pianist ganz offenkundig wohl fühlt. Nicht von ungefähr applaudiert er am Ende immer wieder dem Orchester. Mit einer kurzen Zugabe bedankt sich Trifonov beim begeisterten Publikum.

Ebenfalls keineswegs leichte Kost ist Schostakowitsch‘ elfte Symphonie. In diesem ausladenden Werk bietet der Komponist alle Register seiner Instrumentationskunst auf, um dieser, einem festen Programm folgenden Schilderung des so genannten Blutsonntags von St. Petersburg im Jahr 1905, Farbe und Ausdruck zu verleihen. Die Einbindung von Melodien aus Liedern der Revolution und Variationen über einen sozialistischen Trauermarsch verstärken die Authentizität der auf historischen Fakten basierenden „Handlung“ der Symphonie.

Was die Berliner Philharmoniker unter Andris Nelsons an subtilen Nuancen ebenso, wie an gewaltigen Klangmassen in den großen Saal der Philharmonie wuchten, ist ein kleines Wunder an Präzision und facettenreichem Spiel. Die große Orchesterbesetzung- allein vier Harfen sind aufgeboten- bleibt auch in den lautesten Momenten unter Nelsons umsichtiger Leitung stets transparent und berührt mit kaum erträglicher Dichte und Intensität. Nelsons intensive Beschäftigung mit dem Komponisten Schostakowitsch- zur Zeit erarbeitet er mit dem Boston Symphony Orchestra einen kompletten Zyklus der Symphonien für Tonträger – trägt auch hier ihre Früchte.

Spätestens bei den finalen Sturmglocken wird auch der Letzte im Publikum mitgerissen, entsprechend explosionsartig fällt der Schlussapplaus aus. Ein denkwürdiger Abend!

Peter Sommeregger, 23. Juni 2019 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ein Gedanke zu „Daniil Trifonov, Andris Nelsons,
Philharmonie Berlin, 22. Juni 2019“

  1. Ein wahrlich denkwuerdiger, mitreißender Abend. Ein Klavierkonzert, dessen eindringliche Interpretation nicht verstehen laesst, warum die Programmmacher es jahrzehntelang quasi verbannt haben und eine Sinfonie, in der Schostakowitsch Grauen und Trauer in eine wahrlich überwältigende Tonsprache transformiert hat, die von den Philharmonikern beeindruckend authentisch vermittelt wurde. Allein das berückend sensibel von Dominik Wollenweber gespielte Englischhorn-Solo vor dem Schlussfuror im 4. Satz war ein bewegendes Ereignis. Eine Stern-Stunde!

    Eike Meier-Windhorst

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert