Zwei Einspringer lassen die Stars vergessen

The Dream of Gerontius, Edward Elgar
Philharmonie Berlin, 19. September 2016

Es hätte leicht ein Flop werden können. Da sagt erst der Tenor ab, und was für einer: Jonas Kaufmann. Dann sagt dessen Einspringer ab. Und dann sagt auch noch die Mezzosopranistin ab – so dass von den Solisten nur noch der angesetzte Bariton, Thomas Hampson, auf der Bühne erscheint. Aber die beiden Einspringer machten am Montagabend ihre Sache ganz hervorragend, und so geriet „The Dream of Gerontius“ von Edward Elgar in der Philharmonie Berlin zu einem ganz wunderbaren und eindrucksvollen Konzertabend.

„The Dream of Gerontius“ ist der Titel eines Oratoriums von Edward Elgar, das 1900 beim Birmingham Triennial Festival uraufgeführt wurde und vor allem in Großbritannien große Popularität genießt. Das Werk verlangt eine für die Spätromantik sehr große Besetzung – die fand sich mit der Staatskapelle Berlin unter der Leitung des großen Daniel Barenboim auf der Bühne der Philharmonie zusammen. Auch die Chorbesetzung war mit 150 Frauen und Männern sehr beeindruckend: Es sangen der Staatsopernchor, der RIAS Kammerchor und der Konzert- und Jugendchor der Staatsoper Unter den Linden.

Der erste Teil des Traumes des Gerontius, der auf einem Gedicht des Kardinals John Henry Newman von 1865 basiert, schildert die Todesstunde eines alternden Menschen. Nach einem wunderbaren Instrumentalvorspiel, das deutlich Einflüsse Richard Wagners erkennen lässt, drückt Gerontius (der Solotenor Andrew Staples) seinen Seelenzustand auf dem Sterbelager durch Gebete aus. Ein Priester (der Bariton Thomas Hampson) spendet feierlich den letzten Segen.

Im zweiten Teil trifft die Seele des Verstorbenen auf ihren Schutzengel (die Mezzosopranistin Catherine Wyn-Rogers). Zum Schluss gelangt die Seele des Gerontius in die Gegenwart Gottes. Sie wird nach Fürsprache des Todesengels (der Bariton Thomas Hampson) gerichtet – und in diesem Moment gibt das Orchester wirklich alles; die Partitur vermerkt an dieser Stelle: „For one moment must every instrument exert its fullest force“. Nach der Reinigung im Fegefeuer wird die Seele unter die Gerechten aufgenommen.

Der Berliner Joachim Hilgard, 70, Musiklehrer im Ruhestand und Bass im Philharmonischen Chor Berlin, einem der renommiertesten und traditionsreichsten Oratorienchöre Deutschlands, hat das beeindruckende Werk 2008 bereits selbst gemeinsam mit einem Partnerchor aus dem englischen Salisbury in der Philharmonie und in der Kathedrale von Salisbury gesungen. Er war am Montag von der Darbietung aller Beteiligten sehr beindruckt: „Das ist wirklich eine sehr, sehr schöne Aufführung mit einem sehr großen Chor“, schwärmte der Berliner.

Der britische Tenor Andrew Staples ließ mit seiner leicht-luftigen, lyrischen Art als typisch englischer Oratorien-Tenor den Weltstar Jonas Kaufmann vollkommen vergessen. Manche Besucher fragten sich sogar, wie Jonas Kaufmann mit seiner Stimme die Partie gemeistert hätte. Im zweiten Teil sang Andrew Staples noch schöner als im ersten Teil; er hatte nur bei den forte-Stellen des Orchesters ein wenig Probleme, sich zu behaupten.

Die englische Mezzosopranistin Catherine Wyn-Rogers kennt das Werk bestens und hat es auch schon einmal für EMI aufgenommen. Ihre piano-Passagen setzte sie wunderschön einfühlsam um und zeigte auch in der Tiefe ganz hervorragende Qualitäten. Frau Wyn-Rogers ist für dieses anspruchsvolle Werk wirklich eine Besetzung der ersten Wahl.

Ja, und der US-Amerikaner Thomas Hampson zeigte trotz sehr kurzer Partien im ersten und zweiten Teil, dass er noch immer in einer ganz besonderen Liga spielt. Allein wie er als Todesengel den Ausruf „Jesu!“ mit Gefühl und Schmelz singt, war den Eintrittspreis schon wert. Mit seiner kräftigen und klangschönen Bariton-Stimme füllte Hampson jeden Winkel der Philharmonie mit Wohlklang.

Daniel Barenboim war in weiten Teilen des Abends ein wunderbarer Dirigent, der es meisterlich verstand, auch scharfe Übergänge vom fortissimo ins pianissimo punktgenau zu steuern. Manchmal allerdings schien er in den Noten zu suchen – und das Orchester spielte alleine weiter. Die Chorformation lieferte eine ganz überzeugende Leistung mit feinfühligen bis kräftigen Passagen ab. Schade nur, dass manche Sänger den bedeutenden Dirigenten Daniel Barenboim kaum eines Blickes würdigten und fast ausschließlich in die Noten schauten.

Andreas Schmidt, 20. September 2016
klassik-begeistert.de

 

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